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Gefährliche Altlast Granaten, Minen, Sprengstoff: In Nord- und Ostsee ticken Zeitbomben – wie werden wir sie los?

In der Kolberger Heide in der Kieler Bucht rostet dieser Torpedokopf – nur eine von vielen gefährlichen Altlasten aus zwei Weltkriegen
In der Kolberger Heide in der Kieler Bucht rostet dieser Torpedokopf – nur eine von vielen gefährlichen Altlasten aus zwei Weltkriegen
© Jana Ulrich / CAU KIEL
Viele Jahrzehnte nach Ende der beiden Weltkriege liegen noch rund 1,6 Millionen Tonnen konventionelle Munition im deutschen Teil der Nordsee und Ostsee – und werden zur immer größeren Gefahr für Mensch und Umwelt. Was soll mit diesem explosiven Erbe passieren?

Es war gegen Mittag des 15. Dezember 2020, als die "Galwad-Y-Mor" aus Grimsby in Ostengland den Notruf absetzte. Kurz zuvor hatte die Besatzung drei laute Knalle gehört, dann wurde ihr knapp 15 Meter langer Kutter emporgehoben. Seewasser überschwemmte das Deck, Maschine und Elektrik fielen aus. Über ein Handfunkgerät alarmiert, eilten zwei Schiffe und ein Rettungshubschrauber an den Unglücksort in der westlichen Nordsee, knapp 40 Kilometer vor der Grafschaft Norfolk. Rasch wurde die Besatzung geborgen. Fünf der sieben Männer kamen verletzt ins Krankenhaus.

Kurz vor der Havarie waren sie gerade dabei gewesen, mit der Winde eine Leine mit 100 Krabbenfallen vom Meeresboden nach oben zu ziehen. Einen Teil der Körbe hatten sie bereits an Deck, als die Detonation die "Galwad-Y-Mor" erschütterte, ihren massiven Stahlrumpf eindrückte und den Kiel knickte.

An Bord fanden Fachleute ein fremdes Metallfragment, daran Spuren des Sprengstoffs TNT. Ebenso an der Leine der Krabbenkörbe. In ihrem Bericht kam die britische Behörde zur Untersuchung von Seeunfällen zu dem Schluss, dass das Fanggeschirr der "Galwad-Y-Mor" eine in 30 Metern Tiefe liegende Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg zur Explosion gebracht hatte. Ob sie von den Deutschen oder den Alliierten stammt, konnten die Fachleute nicht mehr ermitteln. Allerdings, dass der Unglücksort unterhalb einer Flugroute liegt, die beide Kriegsparteien damals oft benutzten.

Aus allen Rohren feuert dieses deutsche Kriegsschiff bei der Schlacht vor dem Skagerrak 1916. In beiden Weltkriegen sanken Tausende Schiffe. In vielen Wracks lagert bis heute der gefährliche Sprengstoff TNT
Aus allen Rohren feuert dieses deutsche Kriegsschiff bei der Schlacht vor dem Skagerrak 1916. In beiden Weltkriegen sanken Tausende Schiffe. In vielen Wracks lagert bis heute der gefährliche Sprengstoff TNT
© Friedrich / INTERFOTO

Unexploded Ordnance, kurz UXO, nennen Fachleute diese Blindgänger: nicht explodierte Munition. Heute, fast acht Jahrzehnte später, bedrohen nicht nur einzelne Sprengkörper die Fischerei oder den Bau von Offshore-Windparks. Die Dimension ist immens: Hunderte Wracks von Kriegsschiffen und unendlich viel Munition aus beiden Weltkriegen liegen noch immer auf dem Grund der Nordsee und der Ostsee – Berechnungen zufolge rund 1,6 Millionen Tonnen konventionelle Kampfmittel allein in deutschen Gewässern. Ein damit beladener Güterzug würde von Paris bis nach Moskau reichen, rund 2500 Kilometer. Dazu kommen chemische Kampfstoffe wie Senfgas, Sarin und Tabun. Manches stammt von Seegefechten oder Minensperren, das meiste wurde bewusst verklappt. Die Gifte aus diesen Waffen sind ein zunehmendes Risiko für die Umwelt.

Die Frage wird dringlicher: Wie werden wir das explosive Erbe wieder los, das uns die Vorfahren hinterließen?

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