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Neuropsychologie Wie soziale Ängste das Hirn lahmlegen – und wie Betroffene gegensteuern

Ein Mann guckt erschrocken und hält sich seine Hände an den Kopf
Soziale Ängste verändern die Hirnaktivität – und erschweren dadurch beherztes Handeln 
© Old Visuals / mauritius images
Manche Mensche fühlen sich in sozialen Situationen vor Angst wie gelähmt. Nun haben Forschende eine mögliche Ursache identifiziert: Die Hirnregion, die das Handeln der Betroffenen leiten sollte, schaltet aus lauter Überforderung ab. Doch es gibt Wege, die Angst zu überwinden

Emotionale Entscheidungen sind häufig schwieriger zu treffen als rein sachliche. Das gilt besonders für ängstliche Menschen. Sie wagen zum Beispiel nicht, eine Person anzusprechen, in die sie schon länger verliebt sind, oder schweigen, wenn sie das Verhalten eines Freundes verletzt. Anstatt den Mund aufzumachen, bleiben sie im Widerstreit zwischen dem Impuls zum Handeln und ihren angstbehafteten Gefühlen und Gedanken gefangen. 

Bislang ist nicht genau bekannt, was in solchen Situationen im Gehirn abläuft. Forschende  der Radboud Universität im niederländischen Nijmegen sind der Antwort aber einen Schritt näher gekommen. Das Team um die Neurowissenschaftler Bob Bramson und Sjoerd Meijer hat dafür 52 besonders ängstliche Probandinnen und Probanden untersucht. Die Kontrollgruppe bestand aus 41 zufällig ausgewählten Personen.

Die Studienteilnehmenden wurden in einem Magnetresonanztomographen untersucht. Dort bekamen sie zwei Bilder nebeneinander gezeigt: ein Foto zeigte ein fröhliches Gesicht, das andere ein wütendes Gesicht. Zunächst waren die Proband*innen aufgefordert, einen Joystick in Richtung des fröhlichen Gesichts zu bewegen. Dann sollten sie ihn in die umgekehrte Richtung schieben, hin zur wutverzerrten Visage.

Solche Tests werden in der psychologischen Forschung häufig verwendet. Sie simulieren Situationen, in denen soziale Ängste eine Rolle spielen. Denn auch bei derart einfachen Aufgaben müssen Menschen ihre Tendenz überwinden, alles vermeintlich oder tatsächlich Negative zu vermeiden. Dafür nutzen sie eine hinter der Stirnmitte gelegene Region ihres Großhirns. 

In der niederländischen Studie erledigten die ängstlichen Teilnehmenden den Test mit dem Joystick genauso gut wie diejenige, die nicht von Angst geplagt waren. Doch die Scans zeigten: Die Gehirnregion, die ihr Handeln steuerte, war sozusagen verrutscht. Um den Joystick zum wütenden Gesicht zu bewegen, griffen sie auf einen etwas seitlicher gelegenen Teil ihres Großhirns zurück. Dieser Bereich ist für die Handlungskontrolle weniger gut geeignet. "Das könnte erklären, warum ängstliche Menschen es so schwierig finden, über ihren Schatten zu springen und neues Verhalten auszuprobieren", erklärt Bob Bramson. 

Eine Überstimulation legt die zuständige Hirnregion lahm

Doch wie entsteht die ineffizienten Handlungskontrolle? Weitere Untersuchungen von Bramsons Team lassen vermuten, dass eine starke Aktivität im "richtigen" Hirnbereich die Ursache ist. Dadurch wird dieser Bereich vermutlich überstimuliert und in der Folge blockiert. Womöglich verursacht ein starker Input aus angstverarbeitenden Gehirnzentren die Überstimulation. Sollte sich ihre Hypothese bestätigen, hätten sie erstmals nachgemessen, wie Angst den Verstand – zumindest teilweise – lähmt.

Ineffiziente Regelkreise im Gehirn lassen sich prinzipiell positiv beeinflussen. Dazu muss man die herausfordernde Situationen trainieren, obwohl (oder vielleicht gerade weil) sie sich unbehaglich anfühlt. So kann das Hirn die fehlerhafte Verknüpfung zwischen Auslöser und gefürchteter Folge nach und nach ummodeln: Es lernt, dass die Realität weit weniger schlimm ist, als unsere Ängste uns glauben lassen. Eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und Schlaf sowie Entspannungstechniken tragen ganz grundsätzlich dazu bei, das Stresslevel zu senken und Unangenehmes gelassener anzugehen. 

Mehr Mitgefühl, weniger Selbstkritik

Gelingt die Überwindung der Ängste nicht Eigenregie, kann ein Expositionstraining im Rahmen einer Verhaltenstherapie helfen. Dabei stellen sich Betroffene die furchteinflößende Situation unter Anleitung möglichst lebhaft vor, tasten sich in Rollenspielen oder kleinen Alltagsexperimenten schrittweise heran und lernen, nicht auf gewohnte Vermeidungsstrategien zurückzugreifen. Sie üben außerdem, angemessen zu reagieren, wenn sich ihre sozialen Ängste bewahrheiten, sie sich also blamieren, zurecht- oder zurückgewiesen werden. 

Teil der Therapie ist meist auch, Denkmuster zu identifizieren und zu überwinden, die soziale Ängste treiben. Etwa: "Alle warten nur darauf, dass ich etwas falsch mache" oder "Bestimmt sage ich wieder etwas Unpassendes, und dann mag mich mein Gegenüber nicht mehr" oder "Die anderen Menschen auf dieser Veranstaltung sind viel klüger als ich. Sicherlich halten sie mich für dumm." Statt sich kleinzumachen, lernen die Patientinnen und Patienten, die Situation und ihr Verhalten positiver und realistischer einzuschätzen – und sich selbst Nachsicht und Mitgefühl entgegenzubringen, falls doch etwas schiefläuft.

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