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Wüstendrachen Für die Jagd: Älteste Baupläne der Menschheit im Nahen Osten entdeckt

Blick aus der Luft auf den Wüstendrachen Jebel az-Zilliyat
Blick aus der Luft auf den Wüstendrachen Jebel az-Zilliyat in Saudi Arabien
© O. Barge, CNRS
Die Tierfallen sind so riesig, dass man sie nur aus der Luft erfassen kann. Zu ihrer Errichtung nutzten Menschen schon vor 9000 Jahren recht maßstabsgetreue Pläne, so eine Studie. Es sind die ältesten Baupläne der Menschheit

In Jordanien und Saudi-Arabien haben Forschende die ältesten bekannten Baupläne der Menschheit entdeckt. Mit Hilfe dieser recht präzisen Darstellungen errichteten Menschen damals gewaltige Anlagen aus Steinen und Gruben, um Wildtiere zu fangen. Ein internationales Forschungsteam datiert zwei solche Anlagen samt Plänen im Fachblatt "PLOS One" auf ein Alter von 8000 und 9000 Jahren - und damit Jahrtausende vor Erfindung der Schrift.

Solche riesigen Tierfallen wurden erstmals in den 1920er Jahren von Flugzeugen aus entdeckt. Sie bestehen aus bis zu fünf Kilometer langen Steinaufschüttungen, die trichterförmig in eine Art Gehege führen, die von bis zu vier Meter tiefen Gruben begrenzt werden. Wegen ihrer Form aus großer Höhe betrachtet werden diese Anlagen auch Wüstendrachen (Desert Kites) genannt.

Das Team um Rémy Crassard von der Universität Lyon geht davon aus, dass die Menschen damals Tierherden wie etwa Gazellen entlang der Steinreihen in die Gehege getrieben haben. Noch bemerkenswerter als die Anlagen selbst sind die in Stein gravierten präzisen Baupläne, über die das Team nun berichtet.

In Stein gemeißelt: Baupläne teilweise 9000 Jahre alt

Einer davon zu einem Wüstendrachen in Saudi-Arabien ist der Datierung der Forscher zufolge rund 8000 Jahre alt, ein anderer aus Jordanien sogar 9000 Jahre alt. Damit seien es die ältesten bekannten, maßstabsgetreuen Baupläne der Menschheitsgeschichte. Solche Pläne waren wohl auch notwendig, sind die Anlagen doch so riesig, dass sie nur aus der Luft als Ganzes erkennbar sind.

Allein die Gehege der Wüstendrachen, die von bis zu 20 Gruben begrenzt werden, messen im Schnitt einen Hektar - also 10 000 Quadratmeter. Auch aus diesem Grund nutzte das Team aus Frankreich, Deutschland, Saudi-Arabien und Jordanien Satellitenbilder für ihre Ausgrabungen.

Eingemeißelter Bauplan des Wüstendrachens von Jebel az-Zilliyat
Überraschend genau und realistisch beschreiben die Forschenden den Bauplan zu dem Wüstendrachen Jebel az-Zilliyat
© Crassard et al. 2023 PLOS ONE/dpa

Der älteste Bauplan stammt aus dem Südosten von Jordanien. Dort gibt es in der Gegend von Jibal al-Khasabiyeh acht bekannte Wüstendrachen. Der nun vorgestellte Plan wurde vor etwa 9000 Jahren in einen Felsen geritzt. Er ist rund 80 Zentimeter lang und 32 Zentimeter breit. In Zebel az-Zilliyat in Saudi-Arabien gibt es ebenfalls zwei Megafallen, die rund 3,5 Kilometer voneinander entfernt liegen. Die dazugehörigen Baupläne sind auf einem Felsen mit einer Länge von 382 und einer Breite von 235 Zentimetern. Sie wurden nicht in Stein geritzt, sondern wahrscheinlich mit Werkzeugen eingemeißelt.

"Überraschend realistisch und genau"

Das Besondere an den Plänen sei, dass sie "überraschend realistisch und genau" seien, schreibt das Team. Angefertigt wurden sie in den Maßstäben 1:175 (Saudi-Arabien) und 1:425 (Jordanien). Die Präzision unterscheidet sie auch von früher gefundenen, lediglich groben Darstellungen größerer Bauwerke.

Der Fund zeige, dass Menschen schon damals dazu fähig waren, derart große Räume gedanklich zu erfassen und auf kleinere zweidimensionale Flächen zu übertragen. Das Entwerfen von Plänen und zweidimensionalen Bildern von dreidimensionalen Räumen in einem verkleinerten Maßstab sei ein Meilenstein in der kognitiven Entwicklung im Bereich des abstrakten Denkens. "Es scheint, dass die drachenbauenden Jäger eine Vermessungstechnik beherrschten, die uns heute unbekannt ist und bei der sie sich auf Ideen von Messen und sogar Rechnen stützten", schreiben die Forscher.

Möglich sei, dass die damaligen Menschen die Zeichnungen auch genutzt haben, um ihre Jagdstrategien zu verbessern. Denn anhand der Pläne könne man die Anzahl und Position der Jäger festlegen, ihre Aktionen koordinieren und Reaktionen der Beutetiere vorherplanen. Damit könnten die Gravuren auch so etwas wie ein steinzeitliches Kommunikationsmittel gewesen sein.

Der Fund trägt den Autoren zufolge dazu bei zu verstehen, wie Menschen einst beim Bau auch von anderen Großobjekten vorgegangen sein könnten. Denn bisher gab es nur wenige Pläne und Karten aus der Zeit vor Entstehung der Schrift in Mesopotamien und Ägypten. Auch über die Jagd mit solchen Großfallen ist bisher noch wenig bekannt - obwohl man bis heute bereits weit über 6200 Wüstendrachen im Nahen Osten, im Kaukasus und in Zentralasien registriert hat.

Lena Johanna Philippi, dpa

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