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Langzeitstudie Überraschende Erkenntnis: Wie Eltern ihre Kinder vor einer Erdnussallergie schützen

Ab und zu mal ein Erdnussbutter-Toast? Eine neue Studie liefert Hinweise, dass das keine schlechte Idee ist
Ab und zu mal ein Erdnussbutter-Toast? Eine neue Studie liefert Hinweise, dass das keine schlechte Idee ist
© Elena Shashkina / Stocksy
Jahrelang dachte man, für Allergien anfällige Kinder sollten Erdnussprodukte meiden. Nun zeigt eine Studie das Gegenteil: Eine zeitige Gewöhnung kann vor der Allergie schützen – und zwar langfristig

Die Resultate dieser Langzeitstudie 
stellen frühere Empfehlungen zum Umgang mit Allergien auf den Kopf:
 Frühzeitiger Kontakt zu Erdnussprotein schon im ersten Lebensjahr
 senkt das Risiko für eine Erdnussallergie deutlich – und zwar bis 
mindestens ins Jugendalter. Kinder, die bereits sehr zeitig mit dem 
Lebensmittel in Kontakt kommen, haben demnach langfristig ein um mehr
als 70 Prozent geringeres Risiko, diese Allergie zu entwickeln, als
 Kinder, die solche Produkte nicht erhalten. Das berichtet ein
 Forschungsteam aus Großbritannien und den USA im Fachmagazin "NEJM
Evidence". 



"Die Datenlage ist eindeutig", betont Studienleiter Gideon Lack vom 
King’s College London. "Eine frühe Einführung von Erdnuss in der
 Kindheit führt zu einer Langzeittoleranz und schützt Kinder bis ins 
Jugendalter vor einer Allergie." Die Praxis könnte demnach jedes Jahr
 weltweit mehr als 100 000 Fälle von Erdnussallergien verhindern. 



In Deutschland sind etwa 0,4 Prozent der Kinder im Alter bis zwei
 Jahre betroffen



"Diese Studie bestätigt, dass frühzeitiges und regelmäßiges Essen von 
Erdnussprodukten eine stabile Toleranz ermöglicht", sagt Kirsten
Beyer. In Deutschland seien etwa 0,4 Prozent der Kinder im Alter bis
 zwei Jahre von einer solchen Allergie betroffen, erklärt die Leiterin
 des Kinderallergologischen Studienzentrums der Berliner Charité -
deutlich weniger als etwa in den USA, Australien oder Großbritannien,
 wo Erdnussprodukte wesentlich gängiger sind. Die Symptome können von 
Kribbeln und Nesselsucht über Erbrechen und Atembeschwerden bis hin
 zu einer lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktion reichen. Die 
Allergie beginnt meist in den ersten drei Lebensjahren und hält in
 der Regel lebenslang an.


Lange empfahlen Fachleute Eltern, besonders gefährdete Kinder von dem
 Lebensmittel fernzuhalten. "Jahrzehntelange Ratschläge, Erdnüsse zu 
meiden, haben Eltern Angst davor gemacht, ihren Kindern in jungem
 Alter Erdnuss zu geben", sagt Lack. Diese Meidung könnte, so sein
 Verdacht, sogar zur Häufung der Allergien beigetragen haben. Davon
 geht auch die Berliner Expertin Beyer aus.



Die Vorgängerstudie sorgte für ein Umdenken



Die nun veröffentlichte Untersuchung ist eine langfristige 
Fortsetzung der sogenannten LEAP-Studie (Learning Early About Peanut 
Allergy), deren erste Ergebnisse im Jahr 2015 publiziert wurden - und 
die in der Fachwelt für enormes Aufsehen und ein Umdenken sorgten.
 Einbezogen waren damals mehr als 640 Babys im Alter von 4 bis 11 
Monaten, die eine Neurodermitis oder eine ausgeprägte Allergie gegen
 Hühnereiweiß hatten – und damit als besonders gefährdet galten. 
Kinder mit einem starken Verdacht auf eine bereits bestehende 
Erdnussallergie waren ausgeschlossen. 



Eine Hälfte der Kinder nahm bis zum Alter von fünf Jahren regelmäßig 
Erdnussprotein in Form von Mus oder Pulver zu sich – pro Woche 
mindestens sechs Gramm Erdnussproteine -, die andere Hälfte nicht.
 Ohne Kontakt zu dem Lebensmittel entwickelte mehr als jedes sechste 
Kind (17,3 Prozent) eine Erdnuss-Allergie, mit Kontakt waren es 
dagegen nur 3,2 Prozent. Das entsprach einer Risikosenkung um 81 
Prozent. 



Der Allergologe Anthony Fauci, damals Direktor des US-Nationalen
Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten (NIAID), nannte die
 Größenordnung für die Verhinderung einer Erdnussallergie beispiellos:
 "Die Resultate haben das Potenzial, unsere Herangehensweise zur
 Vermeidung von Lebensmittelallergien umzukrempeln." Die Behörde
 überarbeitete ihre Empfehlungen zum Umgang mit einer Erdnussallergie.
 Auch in Deutschland habe man damals die Leitlinien angepasst, sagt
 Beyer.

 "Das hat die Welt auf den Kopf gestellt."

 "Das war die wichtigste Studie zu Lebensmittelallergien des letzten 
Jahrzehnts", sagt Lars Lange von der allergologischen Ambulanz der
GFO-Kliniken Bonn. 

"Das hat die Welt auf den Kopf gestellt."



"Das war die wichtigste Studie zu Lebensmittelallergien des letzten
 Jahrzehnts", sagt Lars Lange von der allergologischen Ambulanz der 
GFO-Kliniken Bonn. "Das hat die Welt auf den Kopf gestellt."


In der nun veröffentlichten Folgestudie - genannt LEAP-Trio - durften 
insgesamt rund 500 der ursprünglichen Teilnehmer ab dem Alter von
 sechs Jahren nach Belieben Erdnüsse essen – unabhängig davon, ob sie
 deren Inhaltsstoffe im ersten Teil der Studie gemieden hatten oder 
nicht. Resultat: Im Alter von 13 Jahren hatten immer noch gut 15
 Prozent jener etwa 250 Kinder, die vorher Erdnüsse gemieden hatten, eine solche Allergie. In der konsumierenden Gruppe waren es nur gut 4 
Prozent. 



Der Schutzeffekt hatte sich also in der Zwischenzeit leicht
 abgeschwächt, lag aber immer noch bei 71 Prozent. Dass die 
Präventionswirkung etwas schwächer wurde, erklärt das Team damit,
 dass in der Zwischenzeit neun Kinder aus der ursprünglichen
 Abstinenzgruppe das Lebensmittel tolerierten. Lediglich eines jener 
Kinder, die bereits ursprünglich Kontakt zu Erdnussprodukten hatte, 
entwickelte noch nach dem Alter von 6 Jahren eine Allergie dagegen.



Der Schutzeffekt galt übrigens unabhängig davon, ob und wie viel
 Erdnussprodukte die jeweiligen Kinder im Untersuchungszeitraum aßen.
 Das bedeutet, dass eine in der frühen Kindheit erworbene Toleranz 
auch dann noch anhält, wenn man später nicht dauerhaft Kontakt zu
 einem Lebensmittel hält. 



"Dies ist eine sichere und hocheffektive Maßnahme, die schon ab dem 
Alter von vier Monaten umgesetzt werden kann", sagt Erstautor George 
Du Toit, ebenfalls vom King’s College. "Das Kleinkind muss von der
 Entwicklung her bereit sein für Beikost." Erdnuss solle etwa als
 weicher, pürierter Brei eingeführt werden. 



Keinesfalls, so warnt der Bonner Allergologe Lange, solle man kleinen 
Kindern ganze Erdnüsse geben. In Australien führten die Ergebnisse
 der LEAP-Studie in den Folgejahren gehäuft zu Krankenhausbehandlungen
von Kindern, denen Erd- und andere Nüsse in die Luftröhre geraten
 waren, wie Forschende aus Melbourne 2021 im "Journal of Allergy and
 Clinical Immunology" berichteten.



"Füttern Sie Ihrem Kind das, was Sie selbst zu Hause essen"

Die Allergologin Beyer rät, gefährdete Säuglinge etwa mit
 Neurodermitis – wenn sie in einer Familie leben, die regelmäßig
 Erdnussprodukte isst – mit der Beikost kindgerechte Erdnussprodukte
 anzubieten. Und zwar, so betont sie, regelmäßig: "Wenn man das nur
 selten anbietet, dann sollte man es besser ganz lassen", sagt sie. 
"Eine kontinuierliche Exposition ist wichtig." Eine Erdnussallergie
 sollte allerdings vorher ausgeschlossen werden. Das könne der 
Kinderarzt durch einen Bluttest auf Allergie-Antikörper gegen Erdnuss 
ermitteln. 





Unabhängig vom Lebensmittel empfiehlt die Expertin: "Füttern Sie
 Ihrem Kind das, was Sie selbst zu Hause essen – und das regelmäßig."
 Das gelte auch für Hühnerei. Eine Allergie dagegen ist in Deutschland
 viel verbreiteter als eine Erdnussallergie – davon sind etwa 2 
Prozent der Kinder betroffen. Hier, so Beyer, sollten Kinder Ei nicht
 weich gekocht oder als Rührei bekommen, sondern gebacken oder
 durcherhitzt.


Walter Willems, dpa dpa

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