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Balkan Lange vergessen, jetzt bedroht: Das Schicksal der letzten Almen in Montenegro

Mann auf Pferd
Die Bewohner der Almen im Sinjajevina-Gebirge sind meist auf Pferden unterwegs
© Giacomo Lai/Parallelozero
250 Familien leben auf den größten Almen des Balkans, dazu seltene Tier- und Pflanzenarten. Doch nun will das Militär dort Krieg üben

Keine Stromleitungen, kein fließendes Wasser, keine asphaltierten Straßen. Wer hier vorankommen will, setzt sich meist auf den Rücken seines Pferdes. Auch, um zu telefonieren: Im Sinjajevina-Gebirge wissen alle, zu welcher Anhöhe sie reiten müssen, um dort – mit etwas Glück – ein Mobilfunksignal zu erwischen. Die Täler dagegen sind abgeschnitten von jeglichem technischen Komfort: Frisch gemolkene Milch etwa kühlen die Almbauern mit Schnee aus dem Winter, wie ihre Vorfahren. Wer eine Melkmaschine besitzt, treibt sie mit einem Generator an. Zu abgeschieden sind die im Schnitt 1600 Meter hoch gelegenen Almen im Norden Montenegros.

250 Familien leben zwischen den felsigen Bergrücken: Im Frühling treiben sie ihre Tiere die grünen Hänge hinauf. Die Almen sind die größten des Balkans und die zweitgrößten Europas. Kühe, Schafe und Ziegen halten dort seit Jahrhunderten die Vegetation im Zaum.

Eine Siedlung am Rand eines Weges
Die Berghöfe unter den Gipfeln liegen sehr abgeschieden, Aktivisten wollen ihren Fortbestand sichern – auch zum Wohle der Natur
© Giacomo Lai/Parallelozero

Solche Almwiesen gelten als ökologisch besonders wertvoll: Etliche spezialisierte Pflanzen und Tiere leben dort, mehr als in vielen Wäldern. In der Sinjajevina-Region entdeckten Forschende und Naturschützer mehr als 1300 Arten, darunter auch viele, die anderswo selten geworden sind, die Karstotter etwa, Europas am stärksten bedrohte Schlange. Gemeinsam mit der EU plante Montenegro deshalb, in dem Gebiet einen weiteren Nationalpark zu errichten. Auch den Bauern wollten beide Partner helfen: Diese wünschen sich besser ausgebaute Straßen, damit sie Milch und Käse, Obst und Gemüse leichter zu den Märkten bringen können.

Doch dann entdeckte die Weltpolitik den vergessenen Winkel im Südosten Europas: Die leeren Weiten der Gebirgsregion sollen als Übungsplatz für das Militär dienen, über die Größe des geplanten Areals will sich das Verteidigungsministerium nicht äußern. Trainieren würden dort voraussichtlich nicht nur die rund 2400 Soldaten von Montenegro, sondern vor allem NATO-Verbände.

Männer sitzen auf einer Bank und unterhalten sich
Bauern beim Protestcamp (o.): Sie fürchten um ihre Weidegründe
© Giacomo Lai/Parallelozero

Kaum wurden diese Pläne 2019 bekannt, bildete sich eine lautstarke Allianz aus Bauern, Forschern und Naturschützern: Sie fürchten das Ende der traditionellen Lebensweise auf den Almen. Als rund um den See Savina Voda eine erste Militärübung stattfinden sollte, organisierten sie 2020 deshalb ein Protestcamp. 150 Menschen besetzten die Weideflächen dort – bis in den schneereichen Winter hinein.

Doch dann wurden überraschend die über Jahrzehnte in Montenegro regierenden Sozialisten abgewählt. Die neue Regierung versprach zunächst, die Region unter Schutz zu stellen – passiert ist seitdem jedoch nichts. Stattdessen gilt weiterhin der Beschluss der Vorgängerregierung für ein Militärcamp.

Eine Frau tanzt in einem traditionellen Kostüm
Bei den Demonstrationen auf den Almen traten auch Tänzerinnen auf
© Giacomo Lai/Parallelozero

Seit gut einem halben Jahr führt nun eine neue Koalition das Land. Auch deren Verteidigungsminister erklärte, im Sinjajevina-Gebiet werde es kein Militärgelände geben. Sind die Almen also gerettet? Die letzte NATO-Übung zumindest fand 2023 in anderen Regionen Montenegros statt.

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