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Doppelte Staatsgründung Die Spaltung Deutschlands, die keiner wollte

Konrad Adenauer
Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, im Sonderzug: Das Bündnis mit dem Westen ist dem CDU-Politiker wichtiger als die Wiedervereinigung
© Erich Lessing/akg-images
Deutschland soll besetzt, aber nicht zerrissen werden – darin sind sich die Alliierten nach dem Krieg einig. Doch schon Anfang 1946 beginnt, was zunächst keine der Siegermächte geplant hat: die schrittweise Teilung des Landes

Sommer 1945: Europa ist vom Zweiten Weltkrieg gezeichnet. Auch jenseits der Alten Welt herrscht Chaos: Unruhen im Nahen Osten, auf dem indischen Subkontinent und in Indochina. Bürgerkrieg in China, Kriegszerstörungen in Korea und in Japan. Verminte Küsten, zerstörte Häfen, gesprengte Brücken. 55 Millionen Menschen sind umgekommen, zahllose verkrüppelt. Millionen irren als Flüchtlinge über die Kontinente.

Was mit jenem Land geschehen soll, das einmal Hitlers „Drittes Reich“ gewesen ist, ist in diesem Sommer nur eines der vielen Probleme, mit denen sich die Staatsmänner der großen Drei beschäftigen müssen – die Führer jener Nationen, die allein fähig zu sein scheinen, Ordnung in das globale Chaos zu bringen. Geeint hat die USA, die UdSSR und Großbritannien der Kampf gegen Deutschland*. Nun wird sie kaum etwas so entzweien wie das Ringen um Deutschland.

* Frankreich gilt seit der Konferenz von Jalta im Februar 1945 als offizielle Siegermacht, wird aber nach Potsdam nicht eingeladen.

Doch schnell zeigt sich, dass jeder Alliierte die „vier D’s“ anders definiert. Und so führt nicht etwa ein gemeinsamer Plan der Siegermächte zur späteren Teilung Deutschlands – sondern deren Unvermögen, sich auf einen Plan zu einigen. Die handelnden Personen sind:

Winston Churchill, Großbritanniens Premier. Er weiß, dass der Zweite Weltkrieg sein Land an den Rand des Staatsbankrotts geführt hat. Nun steht das Empire in Europas Mitte und Südosten, im Iran und an der Grenze Indiens Russland gegenüber – jener Macht, mit der London in diesen Regionen seit Zarenzeiten konkurriert.

Doch inzwischen ist Großbritannien nicht mehr in der Lage, sich gegen russische Ambitionen zu wehren. London muss deshalb Verbündete gewinnen, vor allem die USA, und diese als Gegengewicht militärisch und wirtschaftlich in Europa halten. Das bedeutet aber auch: Ein wirtschaftlich, vielleicht gar militärisch starkes Deutschland, das sich in ein Bündnis gegen die UdSSR einbinden lässt, liegt im britischen Interesse.

Charles de Gaulle, Frankreichs Regierungschef. Der General ist zwar der Held der Grande Nation, doch selbst sein Charisma kann die fundamentalen Schwächen des Landes nicht überspielen. Die Vierte Republik kommt innenpolitisch nicht zur Ruhe und leistet sich schon bald einen Kolonialkrieg in Indochina, den es nicht gewinnen kann. Dabei hält Paris an einer Deutschlandpolitik fest, die aus dem 18. Jahrhundert stammt: Den östlichen Nachbarn sähe man am liebsten in Kleinstaaten zersplittert, das linke Rheinufer und das Ruhrgebiet mit seiner Kohlen- und Stahlindustrie unter zumindest indirekter französischer Kontrolle. Ein geeintes, wirtschaftlich starkes Deutschland ist also das Letzte, was Frankreich will.

Josef Stalin, Führer der UdSSR. Der Diktator wird von an Paranoia grenzendem Miss trauen gegenüber Deutschland beherrscht: Zweimal binnen einer Generation haben deutsche Truppen Russ land verwüstet. Ein drittes Mal soll es nicht geben. Zugleich hat sich seit mindestens 1944 seine Dis tanz zum militärisch und wirtschaftlich ungeheuer erfolgreichen Westen verstärkt – besonders zu den USA, die über die schrecklichste aller Waffen verfügen, die Atombombe. Also umgibt Stalin die UdSSR mit einem Ring abhängiger Staaten. Aus Deutschland will er so viele Reparationen wie möglich pressen und es als Gesamtstaat nur zulassen, wenn es an der Seite der Sowjetunion steht.

Harry Truman, Präsident der USA. Die meisten US-Diplomaten und -Militärs raten ihrem Präsidenten dringend, sich nach dem Sieg über Deutschland in Europa zu engagieren – anders als nach dem Ersten Weltkrieg. Damals hatten die USA den Alliierten zwar militärisch entscheidend geholfen, sich dann aber zurückgezogen. Aus diesem Grunde sei in den zwanziger Jahren die deutsche Wirtschaft kollabiert und habe sich eine Situation entwickelt, in der das Hitler-Regime überhaupt erst entstehen konnte. Deshalb müssten die USA jetzt um ihrer eigenen Sicherheit willen – und um die eigene Wirtschaft zu stärken –, Europa wirtschaftlich und politisch helfen.

Dabei ist in Washington von vornherein klar, dass eine solche Politik den Gegensatz zur Sowjetunion verstärken wird. Aber niemand hat vergessen, dass Stalin im Sommer 1939 einen Pakt mit Adolf Hitler geschlossen hatte. Und jetzt erlebt man entsetzt, wie rücksichtslos Stalin im von der Sowjetunion eroberten Osteuropa bürgerliche Politiker entmachtet und ihm hörige Regimes installiert.

Die Führer der DDR: Regierungschef Otto Grotewohl, Staatspräsident Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, Generalsekretär des ZK de…
Die Führer der DDR: Regierungschef Otto Grotewohl, Staatspräsident Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, Generalsekretär des ZK der Staatspartei SED (v. l.)
© Jochen Moll/bpk-images

Der Kalte Krieg bricht aus – und die inoffizielle Kriegserklärung ist eine mehrere Seiten lange Depesche, die George F. Kennan, Attaché an der US-Botschaft in Moskau, am 22. Februar 1946 an sein Außenministerium schickt: „Wir haben hier eine politische Macht, die fanatisch dem Glauben anhängt, dass es mit den Vereinigten Staaten keinen permanenten Modus vivendi geben kann, dass es wünschenswert und notwendig ist, die innere Harmonie unserer Gesellschaft zu vernichten, unsere traditionelle Lebens weise zu zerstören und die internationale Autorität unseres Staates zu brechen.“

Von nun an reagieren die USA offensiv auf die sowjetische Politik. Am 12. März 1947 gibt Truman eine Doktrin zur „Eindämmung“ sowjetischer Macht mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln bekannt. Drei Monate später wird der (nach dem US-Außenminister benannte) „Marshall-Plan“ verkündet: Im Lauf der nächsten Jahre sollen rund 14 Milliarden Dollar an Hilfe nach Europa fließen – auch nach Deutschland. Das Programm steht zwar offiziell allen Nationen offen, doch Stalin verbietet seinen Satellitenstaaten, daran teilzunehmen, und so erhält auch die deutsche Sowjetzone nicht einen Dollar.

Die Deutschen haben in diesen politischen Auseinandersetzungen nicht mehr als Statistenrollen. Ihr Land ist zu einer Bühne des Kalten Krieges geworden, und ihre Politiker können nur jene Spielräume nutzen, die durch Uneinigkeit der Alliierten entstehen (und manchmal auch durch deren Großmut).

Drei Männer tun sich hierbei vor allen anderen in Ost und West hervor: Konrad Adenauer, CDU, 1876 geboren, von 1917 bis 1933 Zentrumspolitiker und Oberbürgermeister von Köln, bis ihn die Nazis aus dem Amt jagen; ein genialer Taktiker und als katholischer Rheinländer erfüllt von tiefem Miss trauen gegenüber Preußen und somit Berlin.

Kurt Schumacher, SPD, Jahrgang 1895, Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, Reichstagsabgeordneter, dann jahrelang Häftling der Nazis; ein Mann, der als Soldat einen Arm und als Folge der Nazi-Haft ein Bein verloren hat, der die Kommunisten verabscheut, aber den Westen nicht unbedingt mag; ein Sozialist, der das Großkapital abschaffen will, aber ein Patriot, der leidenschaftlich für ein neutrales, sozialistisches und pazifistisches Gesamtdeutschland plädiert; ein mitreißender Redner, der das geschundene, aber aufrechte Deutschland verkörpert.

Walter Ulbricht, 1893 geboren, erst SPD-, dann KPD-Mitglied, Reichstagsabgeordneter, als Emigrant in Moskau Überlebender der Stalin’schen „Säuberungen“; zäh, skrupellos, Stalin gegenüber bedingungslos loyal, aber mit der Vision eines kommunistischen Gesamtdeutschland. Ulbricht ist im April 1945 im Gefolge der Sowjetarmee heimgekehrt.

Bereits am 6. Mai 1945 gründet Schumacher in Hannover einen SPD-Ortsverein, aus dem später die SPD in Westdeutschland hervorgehen wird. Am 11. Juni wird unter der Regie der „Gruppe Ulbricht“ die KPD in Berlin neu begründet (ein Jahr später inszeniert Ulbricht in der Sowjetzone die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED).

Am 17. Juni bildet sich in Köln ein Vorläufer der CDU – anders als die Linksparteien eine echte Neugründung: Während in der Weimarer Republik Katholiken meist das Zentrum gewählt haben und Protestanten liberal oder deutschnational, soll nun die „Christlich Demokratische Union“ diese Stimmen bündeln. Die entscheidende Rolle in der CDU spielt Konrad Adenauer, wenn er auch erst 1950 Parteivorsitzender wird.

Das Jahr 1948 wird zum Jahr der Entscheidung

Adenauer sieht in einer Westintegration Deutschlands einzige Chance, einer braunen oder roten Diktatur zu entkommen – auch um den Preis, dass die 18 Millionen Landsleute in der Ostzone auf Dauer im sowjetischen Machtbereich verbleiben. Mit dieser Überzeugung fügt er sich ideal in das amerikanischbritische Konzept und ist auch für die Franzosen akzeptabel. Für Schumachers Vision dagegen erwärmt sich keine der vier Mächte.

1948 ist das Jahr der Entscheidung. Die Abschaffung der Zwangswirtschaft und die Einführung der D-Mark in den Westzonen am 20. Juni besiegeln die ökonomische Spaltung Deutschlands – denn drei Tage später bekommt auch die Sowjetzone eine Währungsreform.

Nun hat das Land zwei Währungen – und zwei Wirtschaftsordnungen. Denn während in Westdeutschland die Marktwirtschaft zu greifen beginnt, sind im Osten durch Enteignungen von Grund und Boden sowie Fabrikeigentum die Grundlagen einer sozialistischen Planwirtschaft geschaffen worden.

Stalin ist von nun an mit einem erstarkenden, potenziell feindlichen Westdeutschland konfrontiert. Beherrscht von den Westmächten, unterstützt mit Marshallplan-Dollars, ist es auf bestem Wege, zu einem potenten Gegner an der Westgrenze des sowjetischen Imperiums heranzuwachsen – ein Szenario, das Stalin bei Kriegsende auf jeden Fall hatte vermeiden wollen.

Getrieben von seiner Urangst vor Deutschland und der fast verzweifelten Hoffnung, diese Entwicklung doch noch zu stoppen, startet er die wohl spektakulärste Aktion des Kalten Krieges: die Berliner Blockade.

Am 24. Juni 1948 unterbrechen sowjetische Truppen alle Land- und Kanalverbindungen nach Westberlin. Zwei Tage darauf antworten die USA und Großbritannien mit einer Luftbrücke. „Rosinenbomber“ fliegen fortan Lebensmittel, Kohle und Versorgungsgüter in die eingeschlossene Stadt, insgesamt rund 1,5 Millionen Tonnen.

Die Luftbrücke wird zum Triumph des Westens. Knapp zwölf Monate später gibt die UdSSR auf und öffnet die Wege nach Westberlin – ohne Konzessionen erreicht zu haben.

Aus den westlichen „Besatzern“ sind in den Augen vieler Deutscher nun Verbündete geworden (wahrscheinlich hat die Luftbrücke die Deutschen wie nichts sonst auf die Westintegration eingestimmt). Und bei den West alliierten gilt die einstige Nazihauptstadt fortan als das „tapfere“ Berlin, als ein Symbol der freien Welt. Noch während der Berliner Blockade engagiert sich vor allem Washington für die zügige Gründung eines eigenständigen Staates aus den drei Westzonen.

Auf alliierte Initiative treffen sich im Sommer 1948 Verfassungsexperten der bereits 1945 und 1946 in den Westzonen gebildeten Länder, um eine demokratische Verfassung zu entwerfen. Um sie auszuarbeiten, bildet sich am 1. September 1948 aus Abgesandten der Länderparlamente der Parlamentarische Rat.

Den meisten Politikern ist bewusst, dass die Gründung eines westdeutschen Staates zugleich die endgültige Teilung des Landes bedeutet. Doch die Deutschen beugen sich den Alliierten, weil sie keine Wahl haben: Die Einheit können sie nicht erzwingen – und ein Provisorium aus drei irgendwie miteinander verbundenen Besatzungszonen scheint auf Dauer politisch und wirtschaftlich wenig stabil zu sein.

Einer indes hat von Anfang an gegen die westdeutsche Lösung keine Bedenken: Konrad Adenauer, der Vorsitzende des Parlamentarischen Rates, der so zum wichtigsten Partner der Alliierten und zum prominentesten Repräsentanten des gerade entstehenden Staates wird.

Um das Provisorische des neuen Gebildes zu betonen, heißt die Konstitution, die der Parlamentarische Rat am 8. Mai verabschiedet und am 23. Mai 1949 verkündet, nicht „Verfassung“, sondern „Grundgesetz“. Die Bundesrepublik Deutschland wird der wohl einzige Staat der Welt, dessen Verfassung ihn ausdrücklich als vorübergehendes Phänomen kennzeichnet: als Staat auf Abruf, bis es vielleicht doch zu einer Wiedervereinigung kommt.

Am 14. August wählen die Westdeutschen den ersten Bundestag

Deutschlands Teilung ist nun auch formal vollzogen. Am 14. August wählen die Westdeutschen den ersten Bundestag; die Union wird mit 31 Prozent stärkste Partei vor der SPD (29,2 Prozent). Einen Monat später wählt der Bundestag Konrad Adenauer zum ersten deutschen Bundeskanzler.

Stalin zögert die Gründung seines deutschen Staates hinaus – so kann er sich als Befürworter der deutschen Einheit darstellen, der nur auf vollendete Tatsachen im Westen reagiert. Tatsächlich aber hat schon seit dem 6. Dezember 1947 der von der SED dominierte „Deutsche Volkskongress“ in Ostberlin die Verfassung einer Deutsche Demokratischen Republik beraten, deren Gründung schließlich am 7. Oktober 1949 verkündet wird. Unter Ulbrichts Führung wird die DDR zum Musterstaat des Stalinismus.

In der Bundesrepublik verabschiedet der Bundestag in den ersten vier Jahren 545 Gesetze – das Fundament des neuen Staates. Zu den großen Leistungen jener Gründerjahre zählen Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Soziale Marktwirtschaft, die Aufnahme von rund acht Millionen Flüchtlingen – und die Westintegration.

Zwar ist der westdeutsche Staat außenpolitisch noch ein Mündel der Westalliierten. Aber schon jetzt werden entscheidende Weichen gestellt: Am 18. April 1951 unterzeichnet Bonn den Vertrag über die Montanunion – die Urzelle der Europäischen Union. Und am 23. Oktober 1954 führt das zweite Kabinett Adenauer das Land in die Nato.

Die Bundesrepublik ist endgültig im Westen angekommen.

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