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Thailand Warum es mir ein Bedürfnis war, in meinem Urlaub Müll zu sammeln

Koh Adang, Strand
Auf den ersten Blick konnte unsere Autorin hier keinen Müll entdecken, auf den zweiten dann gleich mehrere Müllsäcke damit füllen
© Julia Großmann
Plastikmüll ist allgegenwärtig, auch auf der Weltreise unserer Autorin. Sie konnte sich auf der thailändischen Insel Koh Lipe nicht eher wohlfühlen, bis sie selbst beim Aufräumen mitgeholfen hat. Ein Plädoyer dafür, dass wir auch im Urlaub nicht die Augen vor den Problemen der Welt verschließen dürfen

Da stehen wir, leibhaftig in dieser Kulisse, die uns vor Monaten so schön und ursprünglich erschien, dass wir es nicht erwarten konnten uns auf der kleinen thailändischen Insel Koh Lipe von den ersten Eindrücken unserer Weltreise zu erholen. Auch abzüglich der möglichen technischen Beschönigung sahen die Bilder im Internet traumhaft aus. Doch irgendwas stimmt nicht. Es ist nicht traumhaft. Kaum haben wir die Anleger am Pattaya Beach hinter uns gelassen, laufen wir über Straßen deren Ränder von Plastikmüll und Bauschutt gesäumt werden. Aus einem Wassertümpel ragt der Rest eines ausrangierten Mototaxis und es riecht streng.

Optimistisch waren wir barfuß losgestapft, schließlich lässt sich auf der gerade einmal fünf Quadratkilometer großen Insel alles fußläufig erreichen. Jetzt wühle ich im Rucksack nach meinen Schuhen. "Guck dir das an", sage ich zu meinem Freund. Er nickt nur mit einem Gesichtsausdruck zwischen Enttäuschung und Ekel. Die kleine Optimistin in mir regt derweil an, dass es sich hinter der nächsten Ecke ja noch ändern könne, so wie hinter deutschen Hauptbahnhöfen oft der Fall ist. Ich möchte ihr glauben. Wir laufen weiter und die Optimistin wird still. Wenige Schritte von unserer Unterkunft entfernt, liegen Plastikflaschen und Essensreste in Styroporschalen in dachlosen Bambushütten. Ein kleines Feuer vernichtet, was nicht auf der Straße liegt. Verschwitzt und etwas desillusioniert sitzen wir schließlich in unserer Definition von traumhaft.

Türkisschimmernd zieht sich das Meer bis zum Horizont, durchsetzt von karstig-buschigen Eilanden und hölzernen Longtailbooten. Vor uns liegt der Sunrise Beach. Die sichelförmige Bucht ist eine der drei großen Strände auf Koh Lipe und zählt die meisten Unterkünfte. Dass die Besucher sich am Müll stören, den sie im Zweifel selbst produzieren, hat man hier bereits verstanden und so werden die Hauptstrände während der Saison gereinigt. „Wie es hier außerhalb der Hauptsaison aussieht, möchtet ihr gar nicht wissen“, sagt William der europäische Manager des kleinen Resorts mit ökologischem Ansatz beim Einchecken. „Dann wird die Unachtsamkeit der Menschen weltweit hier in Form von Müll an Land geschwemmt und niemand räumt mehr auf.“ In leuchtendem Gelb hängt ein T-Shirt an der Bambuswand hinter ihm. Trash Hero steht in großen Lettern darauf geschrieben. Auch Flaschen und Jutebeutel gibt es. Wie passend denke ich zugegeben etwas sarkastisch. William klärt uns auf. Dies sei eine Initiative, die sich dem Problem stelle und jeden Montag Müll sammeln gehe, die Metallflaschen könne man an mehreren Stellen auf der Insel umsonst auffüllen und die Einnahmen gingen an das Projekt. Mein Freund und ich kaufen nicht nur eine Flasche für das gute Gewissen, sondern entscheiden uns sofort dafür auch selbst mit anzupacken – auch wenn uns bereits jetzt bewusst ist, dass es ein Tropfen auf den heißen Stein sein wird.

Menschen aus aller Welt packen mit an

Montag um Punkt zehn erreichen wir den angegebenen Treffpunkt am Pattaya Beach. Versprengt stehen noch andere Menschen rund um die Abbiegung zur Walking Street und scheinen auf etwas oder jemanden zu warten. Dann kommt ein junger Mann mit Schlapphut und Leinenhemd. Er stellt sich als Darius vor, und ist Mitbegründer der Initiative Trash Hero, die inzwischen unter anderer Leitung an 61 Standorten auf der ganzen Welt aktiv ist und hier auf Koh Lipe ihren Anfang gefunden hat. Als sein thailändischer Freund Pi-o dann bepackt mit großen Säcken eintrifft, formiert sich aus den versprengt stehenden Menschen die Gruppe des heutigen Montags, dem 225 sogenannten Cleanup auf der Insel. 17 Menschen aus aller Welt möchten mitanpacken. Unser Ziel ist die nahezu unbewohnte Nachbarinsel Koh Adang. Per Longtailboot fahren wir hinüber. Holländer, Deutsche, Dänen und Brasilianer kommen dicht gedrängt auf den Bänken ins Gespräch. Pi-o sorgt mit Gruppenbildern für ein wenig Teambuilding. Ein Raunen geht durch die Reihen, als jener Strand vor uns liegt, den wir heute von Müll befreien sollen. Im Gegensatz zum Hinterland von Koh Lipe sieht er traumhaft aus. Der Sand ist gleißend weiß und verliert sich im dichten Mangrovengrün. Kein Boot liegt in der Bucht und keine Unterkunft steht diesem Idyll im Weg. „Ihr werdet schon sehen, der meiste Müll versteckt sich in den Mangroven“, sagt der charismatische Schweizer Darius und läuft vorweg.

Jeder bekommt einen Sack und Handschuhe ausgehändigt. Dann geht es los. Jeder Teil der Bucht hat nun einen müllsammelnden Paten. Eine Plastikflasche ist mein erstes Fundstück, es folgt ein Deo-Roller, dann ein einsamer Flip Flop. Während ich noch im sandigen Bereich unterwegs bin, ist mein Freund schon im Dickicht der Mangroven verschwunden. „Wow, hier ist so viel, das schaffe ich gar nicht allein“, höre ich ihn. Durch die verzweigten Äste und raschelndes Laub bahne ich mir meinen Weg zu ihm und tatsächlich, sein erster Müllsack ist schon fast gefüllt. In unmittelbarer Umgebung liegen noch immer viele Flaschen, Strohhalme und kleine Plastikteilchen. Eine halbe Stunde später schleifen wir unsere beiden vollen Säcke zurück zum Boot. Wir sind nicht die ersten. Hier liegen bereits sieben prallgefüllte 120 Liter-Säcke und ein kaputter Gartenstuhl aus Plastik.

Koh Adang, Müll

So viel Müll sammelt sich in nur einer kleinen Bucht

00:25 min

Mit dem Strom kamen die Probleme

Gegen die Hitze reichen Pi-o und Darius Wasser und Melone. Wann ist der Müll auf Koh Lipe und den umliegenden Inseln des Adang-Rawi-Archipels zum Problem geworden, möchte ich wissen. „Das kam eigentlich mit dem Strom vor acht, neun Jahren. Seither wurde die Insel immer mehr erschlossen. Es kamen viele Menschen, um hier zu arbeiten und noch mehr, um hier Urlaub zu machen und mit ihnen der Müll“, erklärt mir Darius, der auf Koh Lipe selbst ein Café betreibt. Alle zwei Wochen kommt die Müllfähre vom Festland und sammelt das ein, was die Resorts, Geschäfte und Restaurants gesammelt haben. Alles andere bleibt liegen, so lange, bis es jemand aufhebt und in einen Mülleimer tut. Diese seien allerdings sehr rar auf Koh Lipe. Do it by hearts – Save Koh Lipe, wie Darius und Pi-o ihre Initiative auf der Insel nun nennen, hatte in den touristischen Gebieten einst nachhaltige Mülleimer aus Bambus aufgestellt, doch die fand die regionale Regierung hässlich und montierte sie kurzerhand wieder ab. Für einen besser aussehenden Ersatz wurde nicht gesorgt. Seitdem gibt es kaum Mülleimer oder Möglichkeiten seinen Müll loszuwerden. Und so landet viel davon irgendwann da, wo wir nun stehen. Ich fülle einen weiteren Sack dieses Mal mit Glas. Andere Freiwillige kämpfen mit alten Fischtauen und finden gar ganze Reisetaschen mit Inhalt. Wir sammeln und sammeln, füllen Müllsack um Müllsack und kommen nach rund vier Stunden gemeinsam auf 46 an der Zahl. Und das in nur vier Stunden.

Koh Adang, Müll
Ein Teil der Ausbeute nach nur drei Stunden Arbeit auf Koh Adang lässt erahnen von welchen Müllmassen die Strände hier heimgesucht werden
© Julia Großmann

„Hier auf Koh Adang sehen wir inzwischen einen Erfolg unserer Arbeit. Als wir 2013 damit begonnen haben, sind wir selten unter 200 Säcke gekommen. Inzwischen füllen wir nur noch zwischen 30 und 50 Säcke“, erklärt Darius, als wir zusammenpacken. Allein in Thailand wurden bis Ende Juni 2018 im Rahmen der Cleanups über 330.000 Kilogramm Müll eingesammelt. Ein trauriger Rekord, der zugleich Mut macht. Sie zeigt, dass es möglich und wichtig ist mitanzupacken, auch im Urlaub. Als ich mich am Nachmittag wieder in unserem aufgeräumten Idyll am Sunrise Beach niederlasse, habe ich das erste Mal seitdem ich hier bin das Gefühl, es mir verdient zu haben.

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