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Interview Was Olli Dittrich an Hamburg liebt - und was nicht

Das wirklich wahre Leben in der Eppendorfer Grillstation mit Dittsche
Der vierfache Grimme-Preisträger Olli Dittrich beschreibt sich selbst als Menschendarsteller. Zu seinen größten Erfolgen zählt seine Figur "Dittsche"
© WDR/Beba Franziska Lindhorst
"Pass mal auf!" sagt Dittsche gern – Olli Dittrichs wohl berühmteste Figur. Ein Gespräch mit dem Hamburger Schauspieler und Komiker über hanseatischen Humor, Dittsches Geburt und Vintage-Bademäntel

GEO Special: Herr Dittrich, das Wichtigste zuerst: Sie sind Fan des HSV. Warum nicht von St. Pauli?

So eine Entscheidung ist reine Gefühlssache. Ich bin ein Kind der 1960er-Jahre, und mein großer Held war Uwe Seeler, der überragende Fußballer seiner Zeit. Uwe Seeler spielte beim HSV, also wurde ich HSV-Fan.

Der HSV steht momentan ganz oben in der Tabelle. Was freut Sie mehr: der erste Platz in der zweiten Bundesliga oder eine gewonnene Relegation in der ersten? Natürlich wollen wir alle den HSV in der ersten Liga sehen, er ist und bleibt ein Erstligaverein. Aber für mich als Fan war nach all den Jahren Abstiegskampf diese erholsame Phase nötig. Man merkt auch im Stadion, dass die Zuschauer wieder mehr Spaß haben.

Sitzen Sie in der Loge, oder stehen Sie in der Nordkurve?

Weder noch. Ich will gar nicht in die VIP-Lounge, ich gehe ja nicht zum Essen ins Stadion! Ich zahle meine Dauerkarte selbst, sitze auch bei Schnee und Kälte auf der Osttribüne und zittere um den Sieg.

Ist das die Welt des kleinen Mannes, die Sie so sehr mögen, wie Sie in einem anderen Interview gesagt haben?

Vielleicht. Ich mag Leute, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen – Menschen, die im besten Sinne einfach, fleißig und diszipliniert sind. Menschen, die Freundschaften und soziale Bindungen wertschätzen. Menschen, die versuchen, halbwegs die Tassen im Schrank zu halten und gute Dinge zu tun.

Gibt es einen typischen Hamburger?

Für mich ist das der Hanseat. Er ist klar, direkt, aber nie verletzend, er fällt nicht mit der Tür ins Haus und hat nicht so viel vom rheinischen Frohsinn...

Der Hanseat geht zum Lachen in den Keller?

Nein, das nicht. Ich trete vor hanseatischem Publikum auf und weiß: Hanseaten sind zunächst zurückhaltend, aber wenn man sie einmal erobert hat, sind sie enorm begeisterungsfähig.

Begeistern Sie sich auch für Hamburg?

Absolut! Mein Herz schlägt für diese Stadt. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Wenn ich den Ballindamm entlanggehe oder über die Lombardsbrücke fahre und auf die Alster gucke, dann erfüllt es mich immer mit Glück, dass ich hier lebe.

Sie sind in den 1960er-Jahren im Stadtteil Langenhorn aufgewachsen. Wie war das Hamburg Ihrer Kindheit?

Wir wohnten Am Ohlmoorgraben, wo sich rotgeklinkerte Mehr­familienhäuser aneinanderreihten und in der keine Autos fahren durften. Und im Hinterhof habe ich mit den Nachbarsjungen Fußball gespielt.

Wie hat sich Hamburg verändert?

Ich finde gigantisch, was in der Hafencity passiert. Jedes Mal, wenn ich dort bin, bin ich wieder fasziniert, was dort entsteht. Ich mag den Stil, diese Kombina­tion aus moderner, fast amerikanischer Architektur und der alten Speicherstadt. Ich war dort vor Kurzem mit meinem Sohn in der Astor-Lounge – ein sogenanntes Premium-Kino. Das war wirklich ein Ereignis, ein Kinoerlebnis wie früher. Fantastisch!

Gibt es auch etwas, das Ihnen gegen den Strich geht?

Die Mietenexplosion! Ich lebe seit fast 20 Jahren in Eppendorf. Hier werden teilweise Mieten von 25 Euro pro Quadratmeter genommen. Das verändert die soziale Ausgewogenheit enorm. Es gibt schon noch altein­gesessene Eppendorfer, aber der Stadtteil verändert sich. Ich wundere mich jeden Tag wieder, wie viele Waxing-Studios wir mittlerweile in der Eppendorfer Landstraße haben.

In Eppendorf ist auch Ihre wohl berühmteste Figur zu Hause: Dittsche – Arbeitsloser, Pommes- buden-Philosoph, Bademantelträger. Die Sendung, in der die komplette Handlung live improvisiert wird, läuft seit 2004 im WDR Fernsehen.

Zum ersten Mal als Dittsche eine Bühne betreten habe ich aber 1991 im »Quatsch Comedy Club«. Thomas Hermanns hatte damals die Idee zum ersten Stand-up-Comedy-Club in Deutschland. Wigald Boning machte uns miteinander bekannt, und ich habe sehr schnell gesagt: »Gut, ich bin dabei!« Allerdings habe ich erst danach überlegt, was ich überhaupt ­machen will – und da erinnerte ich mich an Dittsche.

Die Figur existierte schon?

Ja, aber sie war nur eine Stimme auf meinem Anrufbeantworter. Ich habe damals Hörspiele für Freunde aufgenommen, um die zu hören, konnten sie bei mir anrufen. Irgendwann riefen viel zu viele an, und es wurde mir zu aufwendig, ständig neue Hörspiele aufzunehmen. Da habe ich nur noch einen Typen erzählen lassen: »Pass mal auf, ich bin gerade nicht da. Aber wartet mal eben, ich hab noch ’nen Tipp für euch: Heute, Wandsbek Kaufhalle, da könnt ihr das und das kaufen.« Das war Dittsche.

Und der musste nun vom Band auf die Bühne.

Lohoff und Dittrich
Ein Selfie zwischendurch: GEO-Special-Redakteurin Margitta Schulze Lohoff und Olli Dittrich
© Margitta Schulze Lohoff

Jetzt war die Frage: Wie sieht er aus? Bei meinem WG-Kumpel fand ich einen blau gestreiften Bademantel im Schrank, und mir fiel dieser Mann ein, den ich in einem Sommer auf der Straße gesehen hatte: Er schlurfte aus seinem Haus und kaufte ein Eis – in T-Shirt, Jogginghose und Bademantel. Textideen hatte ich genug, damit ich nichts vergesse, habe ich mir ein paar Stichworte aufgeschrieben und sie in eine Plastiktüte gesteckt. Damit die auf der Bühne nicht zusammenfällt, habe ich ein paar Bierflaschen reingelegt. So kam es zu der Aldi-Tüte, die Dittsche mit sich herumträgt.

Tragen Sie immer noch den gleichen Bademantel?

Ja, in der Tat – und er war damals schon Vintage.

Ist Dittsche Ihnen ein Stück näher als andere Figuren wie Trixie Dörfel, Mike Hansen oder Schorsch Aigner?

Es gibt sicher Figuren, die mir nicht so nah sind. Sich trotzdem in sie hineinzufühlen, ist aber gerade das Spannende an meinem Beruf. Bei Dittsche ist die Nähe sicherlich am größten. Vieles, was seiner Empörung entspricht, entspricht zum Beispiel auch meiner Empörung, aber seine ist natürlich übersteigert.

Was würde Dittsche über Olli Dittrich sagen?

(schmunzelt und überlegt) Vielleicht: »Was will der denn hier?« Vielleicht würde er aber auch wie ein scheues Kind gar nichts sagen. Das tut er manchmal, wenn er jemanden nicht kennt. Dittsche ist ein Schaumschläger, der alles besser weiß, aber er weiß auch, dass er ein ­Loser ist. Es ist seine Überlebens­strategie: Je größer die Klappe, desto ­geringer die Angriffsfläche.

Es klingt so, als hätten Sie ihn wirklich gern.

Ich sympathisiere sehr mit solchen gescheiterten Existenzen. Ich bin jeden Tag dankbar für das Leben, das ich führen kann. Aber es wurde mir auch nichts geschenkt, ich habe mir diese Möglichkeiten, die ich heute habe – Filme zu drehen, Menschen darzustellen, zu improvisieren – hart erarbeitet.

Sie hatten selbst eine Phase, in der Sie am Existenzminimum lebten.

Ja, in den 1980er-Jahren. Ich hatte in einer Plattenfirma als Produktmanager gearbeitet, konnte dort mein kreatives ­Potenzial aber nicht entfalten. Also habe ich mich nach einer längeren Phase der Entscheidungsfindung entschlossen, meinen eigenen Weg zu gehen.

Inzwischen haben Sie knapp 250 Folgen »Dittsche« hinter sich. Ende Mai startet die nächste Staffel im WDR Fernsehen. Wird die Figur gar nicht langweilig?

Überhaupt nicht! Das Leben ist ja auch nicht langweilig. Diese Woche bewegen uns Donald Trump oder der HSV, nächste Woche die Merkel oder die Nachbarn. Zur Vorbereitung auf die ­Sendung stöbere ich vor allem durch die Boulevardzeitungen. Die kleinen Meldungen sind meist die großen, weil die in Dittsches Augen richtig wichtig sind.

Ende des Jahres tourt »Dittsche« durch 18 deutsche Städte. Was wird da passieren?

Auf der Bühne stehen ein Mikrofonständer und ein Mikrofon, angeleuchtet von nur einem Spot. Und dann kommt einer im Bademantel raus und sagt: »Pass mal auf!« Und dann erzählt er aus seiner kleinen Welt.

GEO Special Nr. 02/2019 - Hamburg

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