Es war wunderbar ruhig. Nicht flüsterleise, den Wind draußen haben wir natürlich gehört und auch die Reifen, wie sie über die Straße rollten. Ein bisschen habe ich mich gefühlt wie in einem Flugzeug-Cockpit. Und gerade als wir das erste Mal nachgeladen hatten, fand ich den Gedanken irre, dass wir kein stinkendes Benzin, nichts Giftiges in diesen Wagen füllen müssen, das dann in die Luft gepustet wird. Alles war sauber!
Mit meiner Familie – das sind meine Frau Katrin, mein Sohn Fietje und meine Tochter Jule – wollte ich im Wortsinne herumstromern: Ein kleiner E-Roadtrip war unser Plan, vier Tage elektrisch fahren durch unsere norwegische Wahlheimat, knapp 800 Kilometer von Ålesund nach Bergen. Wir besitzen einen alten Subaru und einen ganz alten VW-Bus; mit E-Autos hatte ich bislang noch keinerlei Erfahrung. Außer natürlich, dass ich sie hier ständig sehe: Egal, wo man steht, spätestens nach drei Minuten rollt ein Tesla vorbei oder ein E-Golf oder ein anderes Modell. Norwegen gilt in Sachen E-Mobilität als Vorreiter: Der Marktanteil der E-Autos lag vergangenes Jahr bei knapp 65 Prozent! Und auch wir spielen mit dem Gedanken, uns als Familienauto einen E-Wagen zuzulegen.
Für den Roadtrip aber haben wir uns erst einmal einen Polestar 2 gemietet, für mich gerade eines der schönsten E-Autos auf den Straßen, mit einer Reichweite von fast 500 Kilometern. Am ersten Tag, nachdem wir in Ålesund noch das Meeresaquarium besucht hatten, haben wir den Wagen mit einem Ladestand von 66 Prozent übernommen. Ein gutes Gefühl, genügend Reichweite. Ich hatte mir vorab mehrere Apps heruntergeladen, die Stromtankstellen anzeigen. Doch als wir unterwegs in der ersten App herumsuchten, sah es nicht gut aus, rund um unser Tagesziel Leikanger kein Ergebnis … Die Erkenntnis: Ein niedriger Batteriestand fühlt sich auf jeden Fall anders an als ein sich leerender Tank im Verbrenner – zu einer Tankstelle schafft man es schließlich fast überall auf der Welt. Aber mit einem E-Auto? Zum Glück zeigten die anderen Apps aber doch noch Ladestationen an.
Leikanger liegt an der Westküste, auf der Halbinsel Stadlandet am Vanylvsfjord. Hinter dem Ort und auf der gegenüberliegenden Fjordseite ragen Berge auf. Typisch Norwegen. Wegen solcher Landschaften habe ich mit meiner Familie vor drei Jahren Hamburg verlassen, um in den Norden zu ziehen. Ich war zuvor schon gut 30-mal in Norwegen gewesen, ich liebe dieses Land. Überall kann man sein Zelt aufstellen. Und egal, wo man ist: Man wandert durch ein Tal oder steigt auf einen Berg und könnte noch fünf Tage weiterlaufen oder auch zwanzig. Norwegens Natur ist wild.
Eines aber hatte ich trotz all der Lebenszeit, die ich hier schon verbracht habe, noch nicht geschafft: surfen zu gehen. Darum hatte ich einen Stopp in Hoddevik im Vestland eingeplant. Das ist ein Surfstrand mit super Brandung, ein Top-Spot in Norwegen. Meine Kinder, neun und sechs Jahre alt, sollten hier zum ersten Mal auf die Bretter steigen. Doch als wir am nächsten Tag die Serpentinen zum Strand hinunter‑rollten, zeigte das Thermometer gerade einmal drei Grad Celsius. Es stürmte. Ende April ist das in Norwegen natürlich keine Seltenheit, aber ein wenig Nachsicht hätten die Wettergötter mit den kleinen Surf-Novizen schon haben können. Doch alle Sorgen waren unbegründet. Niemand fror, und das Lachen auf den Gesichtern von Jule und Fietje wuchs mit jeder Welle. Die dicken Neopren-Anzüge, Schuhe, Handschuhe und Kapuzen halfen genauso grandios wie unsere Surflehrer Emil und João. Seither steht der Entschluss meiner Tochter fest: Sie möchte Surflehrerin werden. Und einen Surfurlaub wünschen sich nun beide Kinder.
Kein Wunder, dass wir beim Stromtanken bald schon Videos von Wellenreitern auf Youtube guckten. Irgendwie mussten wir die "Tank-Zeit" – nie unter einer halben Stunde – ja überbrücken. Tatsächlich war es manchmal auch gar nicht so einfach, Säulen zu finden. Beziehungsweise: Man findet immer welche, aber manch eine ist besetzt, manch andere langsam. In Måløy nahe des Westkaps zum Beispiel hat die Kommune Ladestationen installiert – aber sie funktionierten nicht. In größeren Städten ist das Stromtanken sicher kein Problem. Unterwegs im Land aber steht man gern mal auf Supermarktparkplätzen oder Tankstellen herum, vielleicht in einer Warteschlange, und das alles nicht unbedingt an einem romantischen Ort mit Fjord-Blick. Wer allein fährt, kann während des Ladens lesen, E-Mails beantworten oder ein Nickerchen machen. Mit Kindern muss man sich was überlegen. Nur einmal hatten wir das Glück, den Wagen ganz angenehm zu laden, während wir nebenan aßen.
Das war am Abend unseres dritten Reisetages, der uns 288 Kilometer weit von Nordfjordeid nach Sogndal führte. Am Morgen noch hatten wir das Sagastad Wikingerzentrum besucht, wo eines der weltgrößten Wikingerschiffe steht, das 30 Meter lange Myklebust-Schiff. 1874 wurden verkohlte Überreste davon in der Nähe von Nordfjordeid gefunden. Bootsbauer der Gegend haben das Holzschiff komplett rekonstruiert. Und wir konnten dem Chef-Drechsler Rolf Taraldset beim Bearbeitete des Vorstevens zusehen, des vorderen Bugteils. Einmal im Jahr wird das Schiff sogar zu Wasser gelassen. Der Antrieb: pure Muskelkraft! Damit ist es noch nachhaltiger als all die E-Fähren, die in Norwegen längst zum ÖPNV gehören.
Als wir uns schließlich Richtung Stryn zum Briksdalsbre aufmachten, waren wir viel später dran als geplant. Der Gletscherarm des Jostedalsbre, der in einen kleinen Schmelzwassersee mündet, ist seit jeher ein Besuchermagnet. Doch unser Timing passte perfekt: Fast alle Tagesausflügler waren schon wieder abgereist und wir somit fast allein vor Ort. Nach solch einem vollen Tag war es herrlich, nicht mehr lange nach einer Ladestation suchen zu müssen. Während wir im Restaurant aßen, fütterten wir das Auto mit Strom, denn beim Lokal gab es eine Säule gleich nebenan.
Und dann war er auch schon da, unser letzter E-Roadtrip-Tag. Die Strecke bis Bergen ist wunderschön; eigentlich kann man alle paar Meter aussteigen, ein bisschen wandern und viel gucken. Weil wir aber für den Abend Tickets für die Hurtigrute gebucht und zuvor noch eine Verabredung in Bergen hatten, blieb wenig Zeit für Pausen. In Deutschland wären wir vermutlich einfach schneller gefahren, um Zeit zu sparen. Aber in Norwegen gilt die stromsparende Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde. Ein großer Vorteil, um Akku-Reichweiten voll auszuschöpfen. Einen Stopp in Undredal aber hatten wir fest eingeplant: Von unserem ersten gemeinsamen Norwegen-Trip ist Katrin und mir dieser winzige Ort am Aurlandsfjord mit der wuchtigen Felswand gegenüber besonders im Gedächtnis geblieben. Es ist das Dorf mit der "eventuell kleinsten Feuerwehrstation" des Landes, wie es am Gebäude heißt. Außerdem ist dort Ziegenkäseherstellung mittlerweile eine große Sache. Der goldprämierte Hartkäse aus dem Dorfladen schmeckte jedenfalls unglaublich lecker!
Dass das Abschluss-Highlight unserer Tour ausgerechnet in einem Gewerbegebiet in Norwegens zweitgrößter Stadt Bergen auf uns wartete, damit hatten wir natürlich nicht gerechnet. Wir trafen Christopher Haatuft, einen Sternekoch, der mehrere Restaurants in der Stadt betreibt und seit einigen Jahren in einem spannenden Projekt involviert ist – "Mattak", wörtlich übersetzt Essensdach. Zusammen mit Landschaftsarchitekten, einem Uni-Projekt und dem Architekturbüro Snøhetta hat er eine Konstruktion entwickelt, die es ermöglicht, Gemüse nachhaltig auf Dächern anzubauen. Das "Pilotdach" auf einem Gartenbaucenter hat er uns gezeigt.
In Norwegen gibt es viele Initiativen dieser Art. Nachhaltigkeit ist ein großes Thema. Darum wollten wir als Familie auch diese elektrische Reise probieren. Insgesamt haben wir fünf Ladestopps eingelegt, unser Gesamtverbrauch lag bei 232 Kilowattstunden. Dafür haben wir 1480 Norwegische Kronen gezahlt, also knapp 145 Euro. Vielleicht hätten wir es mit etwas mehr Vorarbeit und Recherche hier und da einfacher gehabt, Ladestationen zu finden. Doch trotz mancher Sucherei würde ich solch einen E-Roadtrip auf jeden Fall wieder machen, zumindest hier. Schließlich wird Strom in Norwegen zu einem Großteil aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen – noch ein großer grüner Vorteil."