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Von Ai Weiwei bis Surrealismus Tartu, Bodø und Bad Ischl – was die neuen Kulturhauptstädte zu bieten haben

Am Kai liegen zwei Schiffe, dahinter sieht man bunte Häuser und verschneite Berge.
Im Land der Samen: Der Hafen von Bodø in Nordnorwegen
© John Bentley / Alamy Stock Photos / mauritius images
Der Titel "Kulturhauptstadt Europas" weckt die Neugier auf Unbekanntes, setzt Altes neu in Szene, spült Geld in die Kassen der darbenden Kulturinstitutionen. Und lockt Touristen in kleine Städte und Regionen abseits der großen Metropolen: Tartu in Estland, Bodø in Norwegen und Bad Ischl in Österreich. Drei Kurzporträts.

Der erste Titel ging 1985 an Athen. Bislang haben rund 70 europäische Städte die Auszeichnung erhalten. Was dieses Jahr neu ist? Erstmal dürfen sich nicht nur urbane Zentren wie Bodø in Nordnorwegen oder Tartu in Estland Kulturhaupstadt nennen, sondern auch 23 österreichische Gemeinden rund um Bad Ischl im Salzkammergut.

Vorne der Fluss, rechts und links die kleinen Häuser der kleinen Stadt, es liegt Schnee auf den Hügeln im Umland.
Bad Ischl, noch im Winterschlaf: Die Traun plätschert durch den kleinen Ort
© Westend61 / Getty Images

Wirtshaus als Popup: Bad Ischl, Salzkammergut, Österreich

"Kultur ist das neue Salz". So lautet der Slogan der ländlichen Alpenregion für das Festjahr, das mit 500 Programmpunkten gespickt ist. 

Doch vielerorts sind engagierte Initiativen entstanden, die das Salz in der Suppe bei einer Reise durch die von Bergen, Seen und idyllischen Dörfern geprägten Region um Bad Ischl sein werden.

Auf dem Altausseer See wird ein schwimmender Künstlersalon auf einem Ausflugsdampfer unterwegs sein. In Bad Goisern wird der Film des palästinensischen Regisseurs Bashir Qonqar gezeigt, der sein Exil in Österreich verarbeitet hat.

Christoph Held coacht als Koch das Bad Ischeler Projekt "Genusslabor", bei dem das verlassene Bahnhofsgasthaus durch Schüler der örtlichen Tourismusschule Wiederauferstehung feiert. "Wir wollen in diesem Jahr mindestens 40 Tage öffnen, plus ähnlich viele Tage mit Pop-ups mit anderen Gastronomen", sagt Held. Damit, so der 39-Jährige, wolle man ein Zeichen gegen das Wirtshaussterben auf dem Land setzen und demonstrieren, was die Jugend in Zeiten von Fachkräftemangel auf die Beine stellen kann.

Der Kurort Bad Ischl ist an Rampenlicht gewohnt. Die Kaiservilla bewahrt die Erinnerungen an Franz Joseph und Sisi, einst fand in Hotels und Kaffeehäusern die Wiener High Society zusammen. Im ehemaligen Sudhaus läuft die Hauptausstellung "Kunst mit Salz und Wasser", bestückt mit Skulpturen, Installationen und Videokunst. Kurator Gottfried Hattinger hat Werke von Künstlern aus zwölf Ländern zusammengestellt.

Die Keramikstadt Gmunden zeigt zwischen April und November hochkarätige Keramikkunstausstellungen im neuen Kunstquartier Stadtgarten.

Auch Touristen-Magneten wie das von tausenden Tagesgästen besuchte Hallstatt am Hallstättersee ist dabei. Ai Weiwei, Konzeptkünstler aus China, hat unter anderem einen chinesischen Tempel im Kurpark nachgebaut. Was nicht einer gewissen Komik entbehrt, weil eine Kopie der Häuser und Kirchen Hallstatts seit 2017 in China steht.

Es geht auch um übergeordnete Themen wie Overtourism, Landflucht und Alpenverkitschung. Jazz, Theater, Performances und neue junge Volksmusik werden reichlich zu sehen und zu hören sein. Was die Österreicher dazu motivierte, zu ihrer Auftaktveranstaltung einen Jodelchor einzuladen.

www.salzkammergut-2024.at

Kopfsteinpflaster, alte Häuser, Lichterketten in einer Abendstimmung
Perfekt restauriert: die Altstadt von Tartu mit dem historischen Rathaus
© Kertu Saarits / Alamy Stock Photos / mauritius images

100 Jahre Surrealismus: Tartu, Estland

Aus dem Schatten der Metropole Tallinn dürfte Tartu wohl nie heraustreten, aber zumindest den Blick auf den Südteil Estlands weiten. Denn auch das Umland ist bei den Feierlichkeiten, die über tausend Termine umfassen, quasi eingemeindet.

"Wir sind das Tor in den Süden, wo sich bis heute eine einzigartige traditionelle Kultur lebendig hält", so Kommunikationsexpertin Kaidi-Lisa Kivisalu und führt als Beispiele fünf Lokalsprachen an.

Tartu selber besitzt die älteste Universität im Baltikum. In der Hochschulstadt geht es bunt zu, die 100 000 Einwohner verstehen es zu feiern. Das historische Zentrum ist detailverliebt restauriert, die Start-Up-Szene boomt.

Laut Kivisalu erwarte man in diesem Kulturjahr eine Million zusätzliche Besucher, davon sieben bis zehn Prozent aus dem Ausland. Das Leitmotiv lautet "Künste des Überlebens" und ist geknüpft an "das Wissen, die Fähigkeiten und die Werte, die uns helfen werden, ein gutes Leben in der Zukunft zu führen", heißt es von Veranstalterseite.

Das klingt vielleicht etwas unkonkret, doch im Programm gibt es bemerkenswerte kulturelle Highlights. Im Eesti Rahva Museum wird das 100-Jährige Jubiläum des Surrealismus mit einer großen Ausstellung gefeiert. In der Navi Academy wird über Einsamkeit in der Gesellschaft diskutiert, es gibt Schneeschuhwanderungen ins Umland und zeitgenössischen Porzellan- und Textilausstellungen, Tanztage und ein Lichterfestival in der Nachbarstadt Viljandi und im Juni ein Konzert von Superstar Sting.

http://tartu2024.ee

Am Kai liegen zwei Schiffe, dahinter sieht man bunte Häuser und verschneite Berge.
Im Land der Samen: Der Hafen von Bodø in Nordnorwegen
© John Bentley / Alamy Stock Photos / mauritius images

Verrückt zur Sommersonnenwende: Bodø, Norwegen

"Die erste europäische Kulturhauptstadt nördlich des Polarkreises" – so jubelt man in Bodø, das im Nordwesten des Landes in der Region Salten liegt und gerade einmal 54 000 Einwohner zählt. Die Gegend ist vom fischreichen etwa 200 Kilometer langen Vestfjord geprägt, der das Festland von den Lofoten trennt, hat zwar eine der weltschönsten Bibliotheken, war bislang aber nicht sonderlich im Fokus. In Bodø, das knapp 1200 Kilometer nördlich von Oslo liegt, kommt niemand zufällig vorbei. Vielleicht ist der Kulturhauptstadttitel die einmalige Chance, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren.

Für Insider ist die Wahl Bodøs als Kulturhauptstadt weniger überraschend. Die kleine Stadt hat eine florierende Kulturszene, es gibt viele lokale Brauereien und Manufakturen für freches nordisches Modedesign, das architektonisch spannende Hamsun Center für Literatur in Hamarøy, reichlich Restaurants für die trendige Nordküche und eine Kneipenszene, die in den taghellen Nordnächten kein Ende findet. Zudem ist die Stadt wie keine andere von der Kultur der indigen Nordland-Bevölkerung, den Samen, geprägt.

Marketingdirektor Helge Grønmo verspricht: "Der wahre Superstar des Programms ist die breite Vielfalt. Mit über tausend Veranstaltungen, aus denen man wählen kann, wird definitiv für jeden Geschmack etwas dabei sein. Und viele der Events werden kostenlos sein."

Am Fuß der Gletscher, am Ufer der Fjorde und entlang der wilden Küste werden Performances und Konzerte stattfinden. Die Kultur der Samen spielt das ganze Kulturjahr hindurch eine große Rolle, Anfang Mai zum Neujahrsfest der Samen, Ende Sepember wird es eigene "Sprachtage der Samen" in Bodø geben, im Dezember dann einen Markt mit Gastrokultur, wo nach Samentradition aufgekocht wird.

Weitere Höhepunkte im Jahresprogramm sind das Skilanglauf-Event "Marcialonga Arctic Ski Race" am 9. März und das, was liebevoll als "Midsummer Madness" etikettiert wird: die Verrücktheit um die Sommersonnenwende mit Feuer, Musik, Tanz und natürlich auch Theater.

https://www.bodo2024.no

dpa

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