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Interview Robert Marc Lehmann: "Der Einkaufszettel ist unser Stimmzettel für die Erde"

Robert Marc Lehmann auf Expedition im Wald
Unermüdlich im Einsatz: Als Naturfotograf, Kameramann und Umweltschützer ist Robert Marc Lehmann auf der ganzen Welt unterwegs
© Robert Marc Lehmann
Robert Marc Lehmann ist studierter Meeresbiologe, weltweit renommierter Wildlife-Fotograf und Umweltschützer aus tiefster Leidenschaft. Der Abenteurer hat schon über hundert Länder bereist und begibt sich regelmäßig auf Expeditionen rund um den Erdball – immer im Auftrag des Umweltschutzes. Wir haben mit ihm über seine Liebe zur Natur und zur Fotografie gesprochen. Und über nichts Geringeres, als seine Mission, die Erde retten zu wollen

GEO: Robert, du bist gerade frisch von einer Auslandsreise zurück. Wo warst du unterwegs?

Robert Marc Lehmann: Ich war auf einer Expedition in Mittelamerika unterwegs. Aus Sicherheitsgründen darf ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nichts Genaueres zu diesem Projekt verraten. Aber es hat natürlich etwas mit meiner Tätigkeit als Natur- und Tierschützer zu tun.

Du bist ein großer Naturenthusiast und zugleich weltweit renommierter Naturfotograf. Was war zuerst da? Die Liebe zur Natur oder die zur Fotografie?

Die Begeisterung für die Natur war schon immer da. Diese Euphorie spüre ich, solange ich denken kann und dieses Gefühl ist es auch, das schon früh in mir den Wunsch geweckt hat, die Momente, die ich erlebe, festhalten zu wollen. Ich möchte meine Erlebnisse vor allem auch für andere greifbar machen. Damit die Menschen das gleiche sehen und diesen Moment erleben können, wie ich es getan habe.

Ein einziges Foto kann unglaublich viel bewegen und verändern. Mehr als Worte. Und diese Jagd nach dem einen Foto ist es auch, die mich oft antreibt. Ich möchte mit meinen Bildern, die ich von meinen Recherchereisen aus aller Welt mitbringe, die Menschen erreichen und zum Nachdenken anregen.

Fällt dir ein Motiv ein, das dir aus ebendiesem Grund sehr viel bedeutet?

Ja. Das Bild der fünf Orang-Utan-Waisen, die ich auf Borneo in einer Auffangstation fotografiert habe. Als ich dieses Foto geschossen habe und es im Display meiner Kamera sah, habe ich die Welt ein Stückchen mehr verstanden.

Warum?

In dem Moment, als ich in die Augen der Orang-Utans sah, ist mir vollends bewusst geworden, welches Ausmaß der Einfluss unseres Konsums auf das Leben der Tiere in Indonesien hat. Sie alle müssen für unseren Lebensstandard ihren Lebensraum für riesige Palmölplantagen hergeben.

Orang-Utans in einer Auffanggstation auf Borneo
Auf Borneo leben heute nur noch etwa 50.000 Borneo-Orang-Utans
© Robert Marc Lehmann

Je mehr Produkte wir kaufen, in denen Palmöl enthalten ist, desto mehr fördern wir die weltweite Zerstörung von Regenwald. Unser Einkaufszettel ist quasi wie ein Stimmzettel für unseren Planeten – entweder stimmen wir für oder gegen ihn.

Es ist mir aber auch wichtig zu betonen, dass dies nicht bedeutet, auf alles verzichten zu müssen. Nehmen wir das Beispiel Schokocreme. Enthält diese Palmöl, dann kann man einfach auf eine andere Creme umsteigen, die diesen Inhaltsstoff nicht enthält.

Die Aufnahme der fünf jungen Affen habe ich auch als Bild für die Rückseite des Einbands meines Buches „Mission Erde“ gewählt. Es ist wirklich ein sehr besonderes Foto für mich.

In deinem neuen Buch schreibst du auch, du hättest dich schon immer mit Tieren enger verbunden gefühlt als mit Menschen. Was genau meinst du damit?

Ich fühle mich in der Gegenwart von Tieren einfach wesentlich wohler als in der Gegenwart von Menschen. Das war schon immer so. Und ich hatte auch schon immer das tiefe Gefühl, ihnen eine Stimme geben zu müssen.

Daraus ist der Wunsch entsprungen, etwas für ihren Schutz und den ihrer Lebensräume zu tun. Seien es die Orang-Utans auf Borneo, deren Lebensraum immer kleiner wird, oder die Haie in den Ozeanen, die massiv wegen ihrer Flossen gejagt werden und deren Bestände von Jahr zu Jahr dramatisch schrumpfen.

Du hast schon über hundert Länder bereist und auf deinen Expeditionen viel Tierleid und Zerstörung gesehen. Gibt es einen Moment, der dich auch im positiven Sinne ganz besonders berührt hat?

Ja, auf jeden Fall. Ein Moment, der mir sofort einfällt, ist meine letzte Begegnung mit einem der letzten Sumatra-Nashörner der Welt im Jahr 2019. Stand heute gibt es nur noch 79 Tiere dieser Art. Die Jagd nach ihren Hörnern hat ihre Art beinahe komplett ausgerottet. Nur auf der Insel Sumatra gibt es sie noch. Ich habe sie schon zwei Mal besuchen dürfen.

Als ich im Jahr 2019 zum zweiten Mal nach Sumatra reiste und dort die Sumatra-Nashorndame „Bina“ wiedersah, hörte, wie sie durch ihre zwei riesigen Nasenlöcher die Luft einsaugte und mir in die Augen blickte, war das ein unbeschreiblicher Moment für mich. Ich war so fasziniert, das ich zuerst gar nicht auf den Auslöser drücken konnte.

Sumatra-Nashorn auf der Insel Sumatra
Die Begegnung mit dem Sumatra-Nashorn beschreibt Robert Marc Lehmann als einen der eindrücklichsten Momente seines Lebens
© Robert Marc Lehmann

Ich war unendlich glücklich, dass dieses Tier noch lebt. Bina ist schon alt, fast 40 Jahre. Gleichzeitig wurde mir auch bewusst, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit einer der letzten Menschen sein werde, der diese Tiere noch lebendig erleben darf. Das hat mich unfassbar traurig gemacht. Umso wichtiger ist es mir, solche Momente mit der Kamera festzuhalten und meine Fotos mit den Menschen weltweit zu teilen.

Auch deine Hündin trägt den Namen „Bina“. Hast du sie nach diesem Sumatra-Nashorn benannt?

Ganz genau. Die Nashorn-Dame und meine Hündin haben einiges gemeinsam. Für beide zählt nur: Schlafen, Schlamm, Fressen und ein wenig Liebe. (lacht)

Das Sumatra-Nashorn wird übrigens auch die Hauptrolle in der ersten Folge meiner neuen Fernsehserie spielen, die voraussichtlich im Oktober auf VOX laufen wird.

Ein anderes Tier, das dich sehr fasziniert ist der Hai. Auf deinen über 2600 Tauchgängen hast du schon Tausende Haie aus nächster Nähe erlebt. Was fasziniert dich an den Tieren? Und weshalb haben Haie noch immer ein so schlechtes Image?

Ja, das stimmt. Der Hai ist mein absolutes Lieblingstier, besonders der Große Hammerhai. Und der ist wirklich groß. Wir reden hier über einen fünf bis sechs Meter langen Hai – ein großes, sehr schnelles und ausgesprochen intelligentes Tier. Bei all meinen Tauchgängen hat die Faszination für diese Tiere nie nachgelassen, im Gegenteil.

Das schlechte Image, mit dem Haie heute leider noch immer zu kämpfen haben, tragen sie zu Unrecht. Geschichten und Filme wie „Der weiße Hai“ bedienen unsere Urängste und befeuern das Bild vom Hai als tödlicher Räuber der Meere. Tatsächlich aber gibt es nur sechs bis sieben Todesfälle pro Jahr durch Haiangriffe. Im Gegensatz dazu gibt es viel gefährlichere Tiere – vom Löwen über das Nilpferd bis hin zum Hund - die jährlich weitaus mehr Menschen töten.

Die Netflix-Dokumentation „Seaspiracy“ hat jüngst für große Diskussionen gesorgt und auch das Problem der massiven Jagd auf Haie in den Fokus genommen. Was hältst du von dem Film?

Ich bin zwiegespalten. Auf der einen Seite hat die Dokumentation sicherlich ihren Zweck erfüllt, nämlich die Grausamkeiten der Meere und der Fischereiindustrie darzustellen. Das hat einen Nerv getroffen und die Menschen weltweit aufgerüttelt. Das ist hervorragend.

Auf der anderen Seite enthält die Dokumentation viele Falschinformationen. Ein Beispiel ist die Szene mit den Pottwal-Strandungen, in der behauptet wird, diese seien in England gewesen. Tatsächlich aber zeigen die Aufnahmen Pottwal-Strandungen auf Texel in den Niederlanden. Das weiß ich deshalb so genau, weil das meine Aufnahmen sind, die – übrigens ohne Nachfrage und ohne meine Erlaubnis – für diese Dokumentation verwendet worden.

Robert Marc Lehmanns Buch "Mission Erde" ist am 19. April 2021 im Ludwig Verlag erschienen
Robert Marc Lehmanns Buch "Mission Erde" ist am 19. April 2021 im Ludwig Verlag erschienen
© Robert Marc Lehmann / Penguin Random House Verlagsgruppe

Der Filmemacher nennt außerdem völlig übertriebene Zahlen und erklärt wissenschaftliche Zusammenhänge falsch. Damit macht er sich selbst angreifbar und spielt damit auch der Fischerei-Industrie in die Karten. Die kann den Film leicht diskreditieren und sagen „Die Dokumentation ist schlecht, die Fakten sind falsch“ – und das zu Recht.

Dazu ärgert mich, dass „Seaspiracy“ aus der Sicht von weißen privilegierten Menschen gedreht worden ist. Denn das Fazit der Dokumentation „Hört auf, Fisch zu essen und rettet damit die Meere“ ist schlicht für viele Menschen gar nicht umsetzbar. Rund 1,3 Milliarden Menschen leben vom Ozean und haben keine andere Möglichkeit, ihre Familien zu ernähren. Die können sich nicht einfach wie du und ich dazu entscheiden, auf Fisch zu verzichten und im Supermarkt nur noch Tofu-Würstchen zu kaufen. Und dieser Punkt wird in der Dokumentation völlig außer Acht gelassen.

Durch die Corona-Pandemie ist das Reisen schwierig geworden. Hast du trotzdem schon ein nächstes Projekt geplant?

Zu vielen Projekten, die im Ausland stattfinden, darf ich schon allein aus Sicherheitsgründen gar nichts sagen. Sonst wären mir die Wilderer ja immer einen Schritt voraus und wüssten, wann ich wo anzutreffen bin. Das wäre schlecht.

Aber tatsächlich mache ich auch einiges in Deutschland. Zum einen veranstalte ich die „Woche der Geisternetze“, bei der ich auf eigene Faust Geisternetze aus den deutschen Gewässern berge. Die herrenlosen Fischernetze sind ein riesiges Problem in unseren Meeren.

Außerdem werde ich im Oktober die „größte Baumpflanz-Aktion Mitteleuropas“ in Husum veranstalten. Da kann – nein, da soll - auch jeder mitmachen. Und wer mag, kann diese und weitere Aktionen auch durch Spenden an meinen Verein „Mission Erde e.V.“ unterstützen. Wer mich in den sozialen Netzwerken verfolgt, wird dazu bald näheres erfahren.

Roberts Tipps, um im Alltag die Welt zu retten:

  1. Eröffnen Sie Ihr Konto bei einer nachhaltigen Bank.
  2. Leisten Sie Freiwilligenarbeit bei heimischen Naturschutzprojekten.
  3. Nehmen Sie aktiv an Citizen Science teil, zum Beispiel an Vogelzählungen.
  4. Wenn Sie reisen, tun Sie dies sanft und nachhaltig.
  5. Essen Sie möglichst keine Meerestiere, besonders keine bedrohten Fischarten.

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