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Impfung bei Kindern Soll ich mein Kind impfen lassen? Das sagen die Fakten

Impfung bei Kindern: Die Angst vor der Spritze ist mitunter größer als die vor Ansteckung mit gefährlichen Krankheiten
Die Angst vor der Spritze ist mitunter größer als die vor Ansteckung mit gefährlichen Krankheiten
© JGI/Jamie Grill/Blend Images/Corbis
Ist der Schutz vor Masern, Keuchhusten und anderen Infektionskrankheiten sinnvoll? Viele Eltern sind verunsichert – doch die Medizin kann eindeutige Antworten geben

Aus dem kollektiven Bewusstsein waren die Masern fast schon verschwunden. Doch dann tauchte das Virus im Herbst 2014 wieder auf: In Berlin erkrankten innerhalb weniger Monate 1400 Einwohner der Stadt. Erst Monate später ging die Welle zurück. Jeder vierte Betroffene musste im Krankenhaus behandelt werden, ein 18 Monate alter Junge starb.

Die Schuldigen waren von Ärzten und Medien schnell ausgemacht: Impfgegner, die ihre Kinder wissentlich großer Gefahr ausgesetzt hätten. Politiker beklagten eine angeblich grassierende Impfmüdigkeit, manche forderten gar eine Pflicht zur Immunisierung. Tatsächlich ist die Zahl der konsequenten Impfverweigerer klein: Nach Schätzungen lassen nur wenige Prozent der Eltern ihre Kinder aus Überzeugung nicht immunisieren. Und die meisten Betroffenen in Berlin waren auch keine Kinder im Impfalter, sondern Erwachsene ohne Impfschutz oder Migranten aus Ländern ohne gute Gesundheitsversorgung.

Die bundesweiten Schuleingangsuntersuchungen 2013 belegen zudem, dass mehr als 90 Prozent der Neuschüler die wichtigsten Spritzen, etwa gegen Tetanus, Diphtherie und eben auch Masern, erhalten hatten. Dennoch ist die Verunsicherung bei vielen Müttern und Vätern groß: Sind tatsächlich alle der bis zu 37 Standardimpfungen gegen zwölf Krankheiten nötig, die die Ständige Impfkommission (STIKO; ein vom Bundesgesundheitsministerium berufenes Expertengremium) für alle Kinder in den ersten zwei Lebensjahren empfiehlt? Vielen Eltern ist der Gedanke unerträglich, ihrem Kind mit einer Spritze voller abgeschwächter Krankheitserreger womöglich Schaden zuzufügen.

Demgegenüber tritt die Angst vor einer Ansteckung oft in den Hintergrund. „Was wir aktiv verursachen, das fürchten und bereuen wir im Zweifelsfall stärker als etwas, das scheinbar von allein passiert“, erklärt die Erfurter Psychologin Cornelia Betsch die Motive mancher Impfskeptiker. Auf den ersten Blick scheint die Angst verständlich, denn in einschlägigen Internet-Foren finden sich etliche Berichte über angebliche Impfschäden. Es ist unbestritten, dass Immunisierungen bei zahlreichen Kindern eine Rötung an der Einstichstelle sowie moderate Krankheitssymptome wie Abgeschlagenheit und erhöhte Temperatur hervorrufen – all das sind jedoch Anzeichen dafür, dass das körpereigene Abwehrsystem wie gewünscht auf den Impfstoff anspricht und Antikörper entwickelt. Derart gewappnet, vermag das Immunsystem die jeweilige Infektion dann gut abzuwehren.

Unberechtigt ist auch die Angst vor plötzlichem Kindstod

In extrem seltenen Fällen aber können dabei tatsächlich schwere Nebenwirkungen auftreten. So erhöhte das Vakzin Pandemrix, mit dem sich vor einigen Jahren Hunderttausende in Finnland und Schweden gegen die sogenannte Schweinegrippe impfen ließen, dort offenbar deutlich das Risiko, eine Narkolepsie zu entwickeln (die „Schlafkrankheit“, die sich durch exzessive Tagesschläfrigkeit mit unwiderstehlichen Einschlafattacken bemerkbar macht). Pandemrix war allerdings ein neues, aus Furcht vor einer Pandemie hastig hergestelltes Präparat. Ganz anders ist der Fall bei den seit Langem erprobten Impfstoffen, die Ärzte bei der Grundimmunisierung von Kindern verabreichen. Bei ihnen liegt das Risiko schwerer Nebenwirkungen um ein Vielfaches unter der Wahrscheinlichkeit, gefährliche Komplikationen der Krankheit selbst zu erleiden. So tritt statistisch gesehen nur nach einer von rund einer Million Masernimpfungen eine Gehirnentzündung auf – aber bei etwa jedem tausendsten Masernfall.

Unberechtigt ist auch die Angst vor plötzlichem Kindstod durch Vakzine, die manche Impfgegner haben. Zwar kommt es vereinzelt vor, dass ein Baby in zeitlicher Nähe zu einer Impfung überraschend stirbt. Doch wenn jährlich allein in Deutschland Hunderttausende Kleinkinder immunisiert werden, dann ist es schon nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass ein solch tragisches Ereignis zeitlich manchmal mit einer Impfung zusammenfällt – ohne dass die etwas damit zu tun hat. Wäre die Immunisierung die Ursache des Kindstods, müsste es zu einer statistischen Häufung solcher Fälle kommen. Die aber gibt es nicht. Kritiker misstrauen besonders den Zusätzen, die neben dem eigentlichen Wirkstoff in der Spritze enthalten sind. Darunter sind Substanzen, die der Gesundheit tatsächlich nicht zuträglich sind: Aluminium als Bestandteil von Wirkverstärkern (Hilfsstoffen, die die Immunantwort auf das Vakzin stimulieren), Formaldehyd zur Inaktivierung von Impfviren oder Quecksilber in Konservierungsmitteln.

Keuchhusten gerade für Babys höchst gefährlich

Allerdings liegen diese Substanzen nur in winzigen Mengen vor, weit unterhalb der toxikologischen Grenzwerte. In einem Apfel etwa ist schon von Natur aus weit mehr potenziell krebserregendes Formaldehyd enthalten als in einer Impfdosis. Zudem sind die Hersteller dazu übergegangen, das umstrittene quecksilberhaltige Konservierungsmittel Thiomersal vollständig aus ihren Rezepturen zu entfernen. Besorgte Eltern können ihren Arzt fragen, ob er bereits quecksilberfreie Produkte einsetzt. Da Impfstoffe auf das Immunsystem einwirken, liegt für manche Eltern auch die Befürchtung nahe, sie könnten für die Zunahme der Allergien und Autoimmunerkrankungen in den letzten Jahrzehnten verantwortlich sein.

Dafür fehlt indes jeglicher wissenschaftliche Beweis. In der DDR, wo viele Impfungen Pflicht waren, traten Allergien sogar seltener auf als in der Bundesrepublik. Auch der Verdacht, die Masern- Mumps-Röteln-Spritze könne Autismus hervorrufen, gilt mittlerweile als ausgeräumt. Ein britischer Arzt hatte Ende 1998 in der angesehenen Fachzeitschrift „The Lancet“ eine Studie publiziert, die diesen Zusammenhang nahelegte. Mit nur zwölf Kindern war die Probandenzahl allerdings viel zu gering, um eine wissenschaftlich gesicherte Aussage treffen zu können. Größere Untersuchungen fanden keinerlei Hinweise auf ein Autismusrisiko. Nach einigen Jahren stellte sich zudem heraus, dass der Arzt Geld von Eltern autistischer Kinder erhalten hatte, die vor Gericht Schadenersatz erstreiten wollten. Die umstrittene Studie wurde 2010 von den Herausgebern der Zeitschrift zurückgezogen. Die meisten Väter und Mütter wollen ihr Baby durchaus impfen lassen, vielen ist jedoch unwohl dabei, es so früh einem solchen Angriff auf das Immunsystem auszusetzen. Schließlich steht die erste Spritze schon im dritten Lebensmonat an – und es ist ausgerechnet ein Wirkstoffgemisch gegen gleich sechs verschiedene Krankheiten. Einige davon, insbesondere Keuchhusten und Infektionen mit dem Bakterium Haemophilus influenzae, sind allerdings gerade für Babys höchst gefährlich.

So erleidet jeder vierte Keuchhustenpatient unter sechs Monaten Komplikationen wie Lungenentzündung oder Atemstillstand. Hingegen verstehen selbst manche Impfbefürworter nicht, weshalb Babys gegen Hepatitis B geimpft werden – eine Infektion, die zumeist durch Geschlechtsverkehr übertragen wird (in seltenen Fällen können sich auch Säuglinge infizieren; dann kommt es meist zu einem chronischen Krankheitsverlauf). Hinter der STIKO-Empfehlung steht hier vor allem der Gedanke, dass sich Jugendliche später nicht mehr so leicht zum Impfen motivieren lassen. Eltern, die der Sechsfachimpfung misstrauen, weil die Nebenwirkungen der Kombinationsspritze besonders deutlich ausfallen können, haben auch die Möglichkeit, ihre Kinder nach und nach einzeln gegen die sechs Krankheiten immunisieren zu lassen. Allein dafür müssen sie dann allerdings 21 Termine innerhalb eines Jahres einplanen, denn die empfohlene Grundimmunisierung sieht jeweils drei oder vier Teil-Impfungen pro Krankheit vor, die spätestens bis zum 14. Lebensmonat absolviert werden sollen. Ein weiteres Argument, das Impfgegner ins Feld führen, stellt den Nutzen von Immunisierungen generell infrage. Sie argumentieren, für den heranwachsenden Körper sei es wichtig, Krankheiten durchzumachen, um die Abwehrkräfte zu stärken.

Kinderärzte fordern zwischen „Muss“- und „Kann“-Impfungen zu differenzieren

Bei manchen Infektionen ist der Schutz nach durchlaufener Erkrankung tatsächlich stärker als nach einer Impfung und hält länger an. Eine generelle Stärkung des Immunsystems ist aber keineswegs zu erwarten – stattdessen führen etwa die Masern oft zu einer jahrelangen Schwächung. Allerdings sind längst nicht alle Eltern nicht immunisierter Kinder Impfverweigerer. Eine größere Rolle spielen Vergesslichkeit, Zeitmangel sowie das Vertrauen darauf, dass die betreffenden Krankheiten kaum noch auftreten und der eigene Nachwuchs sich schon deshalb nicht anstecken wird. In manchen Fällen mögen Väter und Mütter mit dieser Einschätzung sogar recht haben – was jedoch daran liegt, dass die meisten anderen Kinder und Erwachsenen geimpft sind. Beginnen aber zahlreiche Familien ihre Impfbemühungen zu vernachlässigen, bricht dieser „Herdenschutz“ zusammen.

Dann können längst überwunden geglaubte Krankheiten wieder zurückkehren – wie die Diphtherie, die wenige Jahre nach dem Ende der Sowjetunion in den Nachfolgestaaten ausbrach und Tausende Menschen das Leben kostete. Sich und die eigenen Kinder impfen zu lassen ist also auch eine Frage der sozialen Verantwortung und nicht nur ein individueller Entschluss. Persönliche Entscheidungen könnten bei den derzeit angeratenen Immunisierungen in Einzelfällen aber durchaus unterschiedlich getroffen werden, wie selbst Impfbefürworter einräumen. So steht in den STIKO-Empfehlungen der Schutz vor eindeutig lebensbedrohlichen Krankheiten wie Diphtherie und Tetanus scheinbar gleichrangig neben der Vermeidung einer Infektion durch Rotaviren. Die können vor allem bei Säuglingen schwere Durchfallerkrankungen auslösen, führen aber nur extrem selten zum Tod. Manche Kinderärzte fordern daher, stärker zwischen „Muss“- und „Kann“-Impfungen zu differenzieren.

An der Bedeutung des Herdenschutzes zweifelt indes niemand. Welche Folgen es hat, wenn er nachlässt, zeigte der Berliner Masernausbruch: Keine Altersgruppe war so stark betroffen wie Kinder im ersten Lebensjahr, die zehnmal häufiger erkrankten als die Berliner Durchschnittsbürger. Gerade diese Babys haben bei einer Ansteckung ein erhöhtes Risiko, viele Jahre später eine tödlich verlaufende Gehirnentzündung zu erleiden. Dabei hatten die Eltern dieser Säuglinge die Impfung weder verpasst noch verweigert: Ihre Kinder durften noch gar nicht immunisiert werden, weil sie zu jung für die Masernimpfung waren; erst mit etwa zwölf Monaten erhalten Babys die Immunisierung. Es gibt deshalb nur einen Weg, sie vor Ansteckung zu bewahren: indem sich alle gemeinsam durch Impfungen schützen.

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