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von GEO EPOCHE

Historische Rekonstruktion Geboren im Krieg: Ein Rückblick auf die Gründung des Staates Israel

Israel, jubelnde Bürger
Als die Vereinten Nationen am 29. November 1947 die Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina beschließen, jubeln jüdische Bürger in den Straßen von Jerusalem
© Hulton Archive / Getty Images
1947 beschließt die UNO: Das britische Mandatsgebiet in Palästina soll geteilt werden in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Die Arabische Liga aber lehnt diesen Plan ab und droht: "Wir werden die Juden ins Meer treiben!" Der Kampf um Palästina eskaliert zum offenen Krieg um die Existenz Israels. Und so scheint Frieden in der Region bis heute unmöglich – denn auch die Terrororganisation Hamas will den jüdischen Staat auslöschen

Der 5. Tag des Ijar im Jahr 5708. Eine Handvoll Männer sitzen oder liegen in einem kargen Raum, den ein Radio beschallt: erschöpfte junge Soldaten, die Gewehre und Maschinenpistolen griffbereit neben den Händen. Ihr Anführer ist ein 26-jähriger, auffallend gut aussehender, aber in seiner schüchternen Verschlossenheit fast mürrisch wirkender Mann, der dem Radio stumm und reglos lauscht.

Er kommandiert die 1300 Soldaten der Harel-Brigade der Palmach, der Elitetruppe jüdischer Kämpfer in Palästina. Seit einigen Wochen stehen seine Männer, von denen viele noch nicht einmal volljährig sind, in schweren Gefechten. Die Nachmittagssonne brennt heiß über den Bergen, noch einige Stunden bis zur Dämmerung und zum Beginn des Sabbats.

In einer Ecke des stickigen Zimmers hat sich ein Kämpfer zusammengerollt. Die Rede eines Mannes dröhnt aus dem Lautsprecher, die raue Stimme klingt verzerrt und schwankt. "Hey, Jungs!", ruft der Soldat, "ich bin müde, macht das Radio aus. Die schönen Worte können wir uns auch morgen noch anhören!" Einer seiner Kameraden greift zum alten Röhrenradio - es wird still im Haus. Der Kommandeur sagt nichts und denkt wohl nur an das nächste Gefecht. Die Soldaten lagern im Kibbuz Maale ha-Chamischa, wenige Kilometer westlich von Jerusalem. Ihr schweigsamer Anführer heißt Jitzchak Rabin.

Der 5. Tag des Ijar im Jahr 5708 jüdischer Zeitrechnung ist der 14. Mai 1948. Und die Radioansprache, welche die Ruhe der ermatteten Kämpfer stört, ist David Ben Gurions Proklamation der Gründung des Staates Israel, dessen Ministerpräsident Jitzchak Rabin Jahrzehnte später einmal sein wird.

Jerusalem, 14. Mai 1948, 4.00 Uhr morgens

Die Besatzer geben auf. Es sind britische Soldaten. Jerusalem gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Osmanischen Reich, das an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns in den Ersten Weltkrieg eintrat und mit dem Krieg auch sehr viel Land verlor.

Doch das war anfangs noch nicht absehbar. Also versuchte die Regierung in London während des Krieges, lokale Verbündete gegen die osmanischen Herrscher zu gewinnen. Sie fand gleich zwei. Außenminister Lord Arthur James Balfour schrieb 1917 in einem Brief an einen der führenden britischen Zionisten, Lord Lionel Walter Rothschild, dass seine Regierung "mit Sympathie die Errichtung einer nationalen Heimstätte der Juden in Palästina" betrachte – die später so genannte "Balfour Declaration".

Doch parallel dazu unterstützte Großbritannien auch den aufkeimenden Nationalismus der Araber. Der britische Offizier T. E. Lawrence – als "Lawrence von Arabien" unsterblich geworden – versprach den Arabern, dass sie nach dem Ende der Türkenherrschaft eigene Staaten gründen könnten. Der einzig verbindliche Vertrag aber, den Großbritannien zum Nahen Osten unterschrieben hatte, war ein Geheimabkommen mit Frankreich, in dem die beiden Mächte die Region in "Interessensphären" aufgeteilt hatten.

Durch einen Beschluss einer internationalen Konferenz wurde Palästina, das im Wesentlichen das Territorium des heutigen Israel (einschließlich der palästinensischen Autonomiegebiete) und zunächst auch das des heutigen Jordanien umfasste, 1920 britisches Mandatsgebiet – und die nächsten 28 Jahre versuchte die Regierung Seiner Majestät vergebens, sich aus der Zwickmühle wieder hinauszumanövrieren, in die sie durch ihr doppelt gebrochenes Versprechen hineingeraten war.

Für Araber und Juden gleichermaßen war Großbritannien zu jener Macht geworden, um deren Anerkennung man buhlt, der man in Militär und Verwaltung nacheifert – und die man doch als Besatzer aus dem Land werfen will.

In all den Jahren vermochten britische Truppen – am Ende standen rund 100.000 Mann in diesem Land, das kleiner ist als Brandenburg und weniger Einwohner hat als Berlin – nie dauerhaft Gewaltakte von Arabern gegen Juden, von Juden gegen Araber und von beiden gegen die Besatzer zu verhindern.

Den Politikern in London gelang es auch nicht, einen für Juden wie Araber akzeptablen Plan für die Zukunft des Landes auszuarbeiten – selbst dann noch nicht, als sich ab 1943 die Nachrichten von dem Völkermord der Nazis an den Juden Europas häuften.

Die zionistischen Führer drängten die Briten, das Land für möglichst viele Flüchtlinge zu öffnen und diese so vor den Vernichtungslagern zu retten. Doch die Mandatsmacht befürchtete negative Reaktionen der arabischen Bevölkerung Palästinas und beharrte auf einer strikten Limitierung der Einwanderung.

Jitzchak Rabin

Der 1922 in Jerusalem geborene Soldat kämpft gegen die Briten und als Führer einer Eliteeinheit auch gegen die Araber. Zweimal wird er Israel als Ministerpräsident regieren – bis zu seiner Ermordung 1995

Auch als nach Kriegsende Hunderttausende aus den Konzentrationslagern befreite, heimatlos gewordene Juden auf eine sichere Zukunft in Palästina hofften, änderte sich die britische Haltung nicht. Unter vielen Juden in Palästina führte dies zu einer Radikalisierung des Kampfes.

Vor allem zwei Untergrundorganisationen versuchten nun verstärkt, die Briten durch Terror zu zermürben. Geführt wurden beide Gruppen von Männern, die Jahrzehnte später zu Ministerpräsidenten Israels gewählt werden. Jitzchak Schamir, 1935 aus Polen nach Palästina emigriert, gab in der kleineren und radikaleren Gruppe den Ton an, die sich "Kämpfer für die Freiheit Israels" (Lechi) nannte.

Noch gefürchteter unter den Besatzern aber war die Irgun, die "Nationale Militärorganisation in Israel". Viele von deren Kämpfern träumten von einem Groß-Israel, das über den Jordan hinausreicht, von einem Israel ohne Araber.

Ihr Anführer stammte aus Brest-Litowsk, wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet, gelangte dann aber über die exilpolnische Armee 1942 nach Palästina: ein 34-jähriger, schmächtiger, asketischer Mann mit Gelehrtenbrille, zögerlich wirkendem Auftreten, dem man eher zutrauen würde, sein Leben mit dem Studium religiöser Schriften zu verbringen als mit der Führung einer Terroreinheit. Doch er war ein guter Organisator und konnte, sprach er vor seinen Anhängern, ein brillanter Redner sein: Menachem Begin.

Menachem Begin

Der Anführer der Terrorgruppe Irgun, 1913 im heutigen Weißrussland geboren, verantwortet Anschläge gegen Briten und Araber. 1977 wird er Israels Minister- präsident – und erhält 1978 den Friedensnobelpreis

Am 22. Juli 1946 gelang den Bombenlegern der Irgun der blutigste Schlag: Bei einem Sprengstoffattentat auf das Hotel "King David" in Jerusalem, in dessen Südflügel Teile der britischen Mandatsverwaltung untergebracht waren, starben 91 Menschen: Briten, Araber und Juden.

Nicht zuletzt unter dem Eindruck solcher Terrorakte entschied sich Großbritannien schließlich 1947, den Streifen Land am östlichen Rand des Mittelmeeres aufzugeben. Die UNO sollte die Zukunft des Nahen Ostens bestimmen – und die Vollversammlung der Weltvereinigung billigte am 29. November 1947 mit Zweidrittelmehrheit einen Plan, der eine komplizierte Teilung Palästinas in einen jüdisch und einen arabisch dominierten Staat vorsah.

Von Minen zerstörtes King David Hotel
Am 22. Juli 1946 sprengen Terroristen von Begins Irgun den Südflügel des Jerusalemer Hotels "King David", in dem Teile der britischen Mandatsverwaltung untergebracht sind. 91 Menschen sterben, darunter 28 Briten, 41 Araber und 17 Juden
© Bettmann Archive/Getty Images

Das von beiden Seiten begehrte Jerusalem sollte dabei einer internationalen Verwaltung unterstellt werden. Bald darauf kündigten die Briten das Ende ihrer Mandatsherrschaft für den 15. Mai 1948 an.

Nach dem Plan der UNO sollten die Juden, die zu diesem Zeitpunkt knapp ein Drittel der Bevölkerung stellten, 56 Prozent des Mandatsgebiets bekommen. David Ben Gurion, der Vorsitzende der von den Briten als Ansprechpartner akzeptierten Jewish Agency und damit inoffizieller Führer der jüdischen Bevölkerung in Palästina, stimmte zögernd zu.

Der im damals noch zum Zarenreich gehörenden Polen geborene und dort von zionistischen wie sozialistischen Idealen befeuerte David Gruen war als 19-Jähriger 1906 nach Palästina eingewandert und hatte sich dort den Namen Ben Gurion ("Sohn eines Löwen") gegeben. Fortan lebte er allein dafür, seine Ideale zu realisieren: Innerhalb der Juden förderte er die Kibbuz-Bewegung und gehörte zu den Gründern der ersten Gewerkschaften und der Arbeiterpartei. Und nach außen hin kämpfte er zunächst gegen die Osmanen, später gegen die Briten.

David Ben Gurion

Der Zionist und Gewerkschafter wandert 1906 mit 19 Jahren von Polen nach Palästina ein. Er erklärt am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeit Israels und wird erster Ministerpräsident des Landes

Die Araber in Palästina jedoch und die Regierungsvertreter Ägyptens, Transjordaniens, Syriens, des Libanon, des Irak und weiterer nahöstlicher Staaten lehnten den UNO-Plan ab. "Wir werden die Juden ins Meer treiben!", drohte ein Sprecher der Arabischen Liga.

Seither, seit November 1947, wird immer häufiger gekämpft im Heiligen Land. Arabische Freischärler schmuggeln Gewehre und Sprengstoff über die Nachbarländer ins Land, die, da sie anerkannte Staaten sind, Waffen leicht auf dem internationalen Markt kaufen können. Die Juden, deren Nation es offiziell noch gar nicht gibt, leiden dagegen unter einem quälenden Mangel an Kriegsgerät. Zwar sind Europa und die USA so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg voll von überflüssigen Rüstungsgütern, die zum Schrottpreis verkauft werden. Doch sind die jüdischen Schmuggler auf die Einfuhr über den Seeweg angewiesen, und so gelingt es nur selten, die heimlich erstandenen Waffen an den strengen Kontrollen der Briten vorbei ins Land zu bringen.

Haviva Reik, Jüdische Flüchtlinge
In Haifa entrollen jüdische Flüchtlinge 1946 auf dem Schiff "Haviva Reik" ein Spruchband: "Lasst die Tore offen, wir sind nicht die Letzten!"
© Corbis via Getty Images

Was den Juden an Ausrüstung fehlt, das machen sie mit ihrer Organisation wieder wett. Den Arabern, verbunden eher durch traditionelle Sippen als durch einen gemeinsamen politischen oder militärischen Plan, steht die Hagana gegenüber, 1920 als geheime Selbstschutzorganisation gegründet und inzwischen eine 60.000 Köpfe zählende Miliz.

Mehr als 20.000 Juden haben im Weltkrieg auf alliierter Seite gekämpft, als einfache Soldaten, als Offiziere, als Funk- oder Sprengstoffspezialisten, als Versorgungsfachleute oder Bomberpiloten. Drei Brigaden bilden nun die Palmach. Diese etwa 5000 Mann umfassenden Stoßtruppen sind 1941 innerhalb der Hagana geformt worden; zu ihnen gehört die Elite der in Palästina herangezogenen Kämpfer.

Um vier Uhr morgens nun, am Tag vor Inkrafttreten des heftig befehdeten UNO-Plans, klettern die ersten britischen Soldaten – schwer bewaffnet und in Kampfanzügen – in ihre Jeeps: Vorauskommandos eines ruhmlosen Abzugs. Die Stadt, die sie an diesem Tag räumen, ist keine Metropole: Nur rund 160.000 Einwohner leben am Westrand des biblischen, felsigen Joschafat-Tals, zu dem, so geht die Überlieferung, dereinst die Trompeten des Jüngsten Gerichts alle Seelen rufen werden.

Rund 50.000 Menschen, streng getrennt nach Juden, Muslimen, Christen und Armeniern, wohnen in der Altstadt, einem Gewirr flach gedeckter alter Häuser, verbunden durch enge Straßen, Gassen, kaum schulterbreite Durchgänge.

Auf dem Tempelberg schimmert zu dieser frühen Stunde die bleierne Riesenkuppel des Felsendoms matt; zu seinen Füßen erheben sich einige roh behauene, aber durch unzählige ehrfürchtige Berührungen glatt gewordene Steinblöcke – die Klagemauer. Und einige Hundert Meter weiter westlich ragen zwei Kuppeln und ein Glockenturm über dem Meer flacher Dächer auf: die Grabeskirche.

In einem nach Süden hin verlaufenden Halbkreis liegt die Neustadt vor den Mauern des alten Jerusalem. Auch sie ist, bis auf wenige gemischte Viertel, getrennt nach jüdischen und arabischen Bereichen. Und mittendrin das Architektur gewordene Dilemma der Briten: "Bevingrad", wie es die Juden verächtlich nennen nach Ernest Bevin, dem Außenminister Seiner Majestät – einige Wohn- und Verwaltungsbauten, verschanzt hinter Stacheldraht und verbarrikadierten Straßen. Das belagerte Herz der britischen Mandatsverwaltung.

Die ersten Jeeps rollen nun Richtung Westen. Ihre Motoren röhren auf der Jaffastraße, dem geschäftigsten Boulevard der Stadt, vorbei an den jetzt noch geschlossenen Kinos, Läden, Cafés. Haifa ist 150 Kilometer entfernt, dort ankern Schiffe der Royal Navy.

In Jerusalem warten Beobachter hinter verhangenen Fenstern, provisorischen Schießscharten auf Dachbrüstungen und in getarnten Unterständen auf den Abzug. Irgendwo legt jemand MG-Munition und aus blechernen Zigarettenschachteln gebaute Handgranaten bereit. In der "Stadt des Friedens" (so die Übersetzung des Namens) lauern Tausende Kämpfer darauf, den letzten britischen Lastwagen davonrollen zu sehen. Um dann über ihre Nachbarn herzufallen.

Jerusalem, Bevingrad, 7.00 Uhr

Britische Soldaten ziehen den Stacheldrahtverhau an der Jaffastraße auseinander. Die sandfarbenen Panzerspähwagen der First Life Guards Armoured Car Squadron Seiner Majestät rollen langsam aus dem Herzen der Stadt.

Ihnen schließen sich Lastwagen an, beladen mit dem militärischen und zivilen Gepäck: Munition und Aktenordner, Feldbetten, Koffer, Verbandskästen, Spiegel, Konservendosen, Antiquitäten, Souvenirs. Auch die anderen Stellungen werden aufgegeben: die Allenby- und die El-Alamein-Kaserne im Süden, das Hotel "King David", das Hospiz Notre-Dame.

Soldaten und Beamte verlassen die Residenz des Hochkommissars südöstlich der Stadt, einen Bau mit einem wunderbaren Blick auf Jerusalem, doch ausgerechnet auf einem Hügel errichtet, der seit Jahrhunderten "Berg des bösen Rates" genannt wird. Infanteristen räumen in Marschkolonnen den Berg Zion und steigen in bereitgestellte Busse. Bunte Fahnen flattern den Einheiten im Wind voran, vor einigen Kolonnen gehen Dudelsackspieler. Die Straßen, durch die sie marschieren, sind noch immer fast menschenleer.

Die schottischen Melodien sind noch nicht verklungen, als sich an die nun ehemals britischen Gebäude bewaffnete Männer und Frauen heranschleichen. Eilig schneiden sie mit auf dem Schwarzmarkt erstandenen Spezialscheren den Stacheldrahtverhau auseinander, dann stürzen sie auf die ersten Gebäude zu.

1000 jüdische Kämpfer stürmen, in einem blutigen und grotesken Wettlauf mit ihren arabischen Nachbarn und Feinden, das verlassene Bevingrad.

Bald schon hasten Soldaten von Raum zu Raum, werfen sich in Deckung, feuern. Eine Handgranate explodiert. Doch es ist für die jüdischen Kämpfer einfacher als befürchtet, das an der Jaffastraße liegende Areal von Bevingrad unter Kontrolle zu bringen. Nur an zwei oder drei Stellen leisten die Araber Widerstand, sonst fliehen sie nach kurzen Schießereien in ihre Viertel oder in die Altstadt. Die überlegene Organisation der Hagana zahlt sich aus.

Ihre Führer haben sich Kopien der britischen Abmarschpläne verschafft. Außerdem kontrollieren sie das Telefonnetz der Stadt, sodass sie auch die Gespräche ihrer ahnungslosen und im Verlauf der nächsten Stunden immer verwirrter werdenden arabischen Gegner abhören können. Manchmal rufen sie sogar selbst in den Häusern an, in denen sich gegnerische Freischärler verschanzt halten, um sie durch alarmierende Anrufe in Angst zu versetzen.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Juden bei ihrem Eroberungszug durch das ehemalige britische Hauptquartier ausgerechnet von einem britischen Journalisten begleitet werden, der exklusiv von diesem Kampf berichten will. Eric Downton vom "Daily Telegraph" sieht, dass seine Landsleute vieles zurückgelassen haben: 40.000 Paar neuer Schuhe, Briefpapier, einen Raum voller Taschenlampen, Zigaretten, Schokolade – und zwei sauber gefaltete Union Jacks mit Trauerrand für Begräbnisfeierlichkeiten.

Er hastet mit einem jungen Soldaten durch die ehemalige Polizeiwache. Der Kämpfer gehört nicht zur Hagana, sondern zur Irgun. Der Soldat stößt eine Tür auf, bleibt abrupt stehen – und fängt dann an zu weinen. Vor ihm baumelt die Schlinge eines Galgens. Es ist der Hinrichtungsraum der Besatzungsmacht. "Hier habt ihr meine Freunde gehängt", flüstert der Soldat dem britischen Journalisten zu. Tatsächlich sind seit den frühen 1940er-Jahren Dutzende Irgun-Mitglieder hingerichtet worden.

Seit rund fünf Wochen fürchten auch die Araber in Palästina niemanden so sehr wie die Irgun. Die hat, gemeinsam mit der Lechi, am 9. April mit 132 schwer bewaffneten Männern und Frauen das Dorf Deir Jassin überfallen, eine arabische Siedlung westlich von Jerusalem – und als eine der wenigen Ortschaften nicht an den ständigen Angriffen auf Kibbuzim oder jüdische Konvois beteiligt.

Vielleicht war es gerade die Friedfertigkeit, welche die Irgun zum Angriff provozierte. Sie glaubte, leichtes Spiel zu haben, als sie um 4.30 Uhr attackierte, doch die Menschen von Deir Jassin wehrten sich – vier Angreifer wurden von den Dorfbewohnern getötet, Dutzende verletzt.

Die Rache der Irgun war fürchterlich. Bis zum Mittag metzelten sie mit MPs, Messern und Handgranaten die Einwohner nieder, Männer, Frauen und Kinder; auch eine Frau, die im achten Monat schwanger war, entkam ihnen nicht. Nach einigen Stunden lagen über 100 Leichen in dem zerstörten Dorf.

Begin wird noch Jahrzehnte später in seinen Memoiren die Untaten von Deir Jassin als Hirngespinste der "Gräuelpropaganda von Judenhassern" abtun (aber im selben Satz stolz angeben, dass die Nachricht von diesem Ereignis in der arabischen Bevölkerung eine panische Fluchtreaktion ausgelöst habe).

Die Kommandeure der Hagana waren schockiert. Sie trieben noch am selben Nachmittag das Mordkommando der Irgun aus dem Dorf. David Ben Gurion, tief beschämt, schickte dem König von Transjordanien als Vertreter der Araber ein Beileidstelegramm. Doch besonders hart traf die Irgun die Ablehnung des Oberrabbiners von Jerusalem, der alle an dem Massaker Beteiligten aus seiner Gemeinde ausschloss.

Aus Rache für Deir Jassin überfielen arabische Freischärler vier Tage später einen Konvoi, der zum jüdischen Krankenhaus auf dem Skopusberg bei Jerusalem fuhr. Nach stundenlangem Feuer lagen mindestens 76 Tote in den zerschossenen Fahrzeugwracks, viele von ihnen Ärzte und junge Krankenschwestern.

Aber niemand entwaffnet die Irgun, keiner der Mörder von Deir Jassin wird je verurteilt. Hagana- und Irgun-Soldaten kämpfen an diesem Morgen Seite an Seite in Bevingrad und an anderen Stellen in Jerusalem, zusammengehalten eher durch den gemeinsamen Feind als durch gemeinsame Vorstellungen.

Ihre Gegner sind noch viel weniger geeint: Die 1,3 Millionen Araber in Palästina wollen das ganze Land kontrollieren, doch sie sind zerstritten. Theoretisch werden sie von Amin al-Husseini angeführt, dem Mufti von Jerusalem. Schon 1921 ist der fanatische Judenhasser von den Briten als höchste geistliche Instanz in Palästina eingesetzt worden – und sein Machtwille erstreckte sich nicht nur auf religiöse Fragen.

Während eines letztlich gescheiterten Aufstands der Araber gegen Juden und Briten ist er 1937 ins Exil gegangen, das er während des Krieges überwiegend in Nazi-Deutschland verbracht hat. Von Hitlers Regime erhoffte sich der Mufti Unterstützung in seinem Kampf.

Nach 1945 knapp einer Anklage als Kriegsverbrecher entronnen, wartet er nun in Kairo auf die passende Gelegenheit, den eigenen Machtanspruch in Palästina durchzusetzen. Denn der ist keineswegs unumstritten. Es gibt Rivalen: Armeeführer, Oberhäupter von großen Sippen, selbst ernannte Guerillachefs.

Amin al-Husseini

Der Mufti von Jerusalem, 1893 geboren, predigt Gewalt. Seit 1937 im Exil, zeitweise im nationalsozialistischen Deutschland, kämpft der religiöse Führer bis zu seinem Tod 1974 gegen Israel

Bei den fünf arabischen Ländern, die den zukünftigen Judenstaat mit Krieg bedrohen, sieht es kaum besser aus. König Faruk von Ägypten, 28 Jahre alt, korrupt und gierig, träumt von einem neuen Großkalifat, das Palästina dominiert und den verhassten Briten die Kontrolle des Suezkanals entreißt.

Die Regierung des Irak hetzt in der Öffentlichkeit gegen die Juden, doch den starken Worten folgen nur wenige, schlecht ausgerüstete Truppen. In privater Runde macht Bagdads Regierungschef klar, dass er eigentlich nichts gegen die Gründung Israels habe, wenn Großbritannien dem Irak im Gegenzug erlauben würde, Syrien zu schlucken.

Das weiß man in Damaskus sehr wohl und beteiligt sich vor allem deshalb am Krieg gegen die Juden, um die arabischen Rivalen nicht zu stark werden zu lassen.

Der Libanon, das arabische Land mit der kleinsten Armee, befürwortet mehr als alle anderen Staaten einen sofortigen, einen Guerillakrieg. Doch gleichzeitig kommandiert der Ministerpräsident einen erheblichen Teil seiner schwächlichen Armee nach Beirut – um das Judenviertel der Hauptstadt gegen arabische Randalierer zu schützen und so die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.

Und Transjordanien?

König Abdullah muss schon den Namen seines Landes für eine Demütigung halten, hat doch London 1923 mit britischer Nonchalance willkürlich Grenzen gezogen und so "hinter dem Jordan" ein kleines Wüstenreich geschaffen, mit dem er, der Beduinenführer und Abkömmling einer alten Herrscherdynastie, sich abspeisen lassen musste, nachdem er von der Arabischen Halbinsel durch rivalisierende Familien vertrieben worden war.

Doch ausgerechnet dieses Land hat die kampfkräftigste Armee. Die "Arabische Legion" ist zwar zahlenmäßig schwach, doch werden die etwa 8000 gut gerüsteten Soldaten überwiegend von britischen Offizieren geführt und ausgebildet. König Abdullah denkt aber gar nicht daran, diese Legion bis Tel Aviv marschieren zu lassen.

Er hält die Gründung eines Judenstaates für legitim und hat sogar gute – selbstverständlich streng geheime – Kontakte zum Führungskreis um Ben Gurion: Noch wenige Tage vor dem Abzug der Briten hat Golda Meir, die Leiterin der politischen Abteilung der Jewish Agency, einen spektakulären Versuch unternommen, Abdullah zur Neutralität im kommenden Kampf zu bewegen.

Golda Meir

Die Politikerin, 1898 in Kiew geboren, zieht 1921 nach Palästina. Dort ist sie eine der wichtigsten Unterhändlerinnen der jüdischen Freiheitsbewegung

Als arabische Frau verkleidet, zur Tarnung ständig das Auto wechselnd, ist die spätere Außenministerin und Ministerpräsidentin Israels mit einem Begleiter in der Nacht auf den 12. Mai heimlich über die Grenze in die transjordanische Hauptstadt Amman gefahren. Das zuvor verabredete Gespräch mit dem König verlief freundlich, aber ergebnislos. Golda Meir wusste auf der Rückfahrt nach Tel Aviv, dass ihre Bemühungen vergebens gewesen waren.

Denn Abdullah will die günstige Gelegenheit nutzen, sein Reich auf Kosten des im UNO-Teilungsplan vorgesehenen Araberstaats zu vergrößern. Er möchte das Land westlich des Jordan annektieren – die später so genannte Westbank – und, natürlich, Al-Quds: Jerusalem, die Heilige Stadt.

So spielt jede der arabischen Regierungen ihr eigenes Spiel. Mindestens so stark wie der Kampfgeist ist das gegenseitige Misstrauen. Ein gemeinsames Oberkommando und eine gemeinsame Strategie existieren praktisch nicht. Jede Regierung macht letztlich nur mit, weil die anderen mitmachen; jede hat Angst, ins Hintertreffen zu geraten, wenn Palästina aufgeteilt wird. Nur eines haben sie gemein: Keine hält es für möglich, dass die Juden gewinnen könnten.

Tel Aviv, 16.00 Uhr

Das Tel-Aviv-Museum am Rothschildboulevard ist ein moderner Bau aus Beton und Glas, das ehemalige Wohnhaus des ersten Bürgermeisters der Stadt. Rund um das Museum patrouillieren schwer bewaffnete Soldaten der Hagana, die nur die 200 geladenen Gäste passieren lassen. Etwa 35 von ihnen sind Mitglieder des Nationalrates, eines Gremiums, das aus der von den Briten schon früh zugelassenen jüdischen Selbstverwaltung hervorgegangen ist. 13 aus ihrer Mitte ausgewählte Delegierte wiederum bilden das Volksdirektorium, das in wenigen Minuten zur provisorischen Regierung des neuen Staates werden soll.

Obwohl der Ort der Veranstaltung bis zuletzt geheim gehalten worden ist, hat sich vor dem Gebäude eine große Menschenmenge versammelt. Es wirkt wie ein letzter perfider Trick der Briten, dass ihre Mandatsmacht erst um Mitternacht abläuft – dann ist nämlich schon Sabbat, gläubige Juden müssten sich auch politischer Aktionen enthalten. Also haben sich die Männer um Ben Gurion dazu entschlossen, ihren Staat noch vor Einbruch der Dunkelheit und damit einige Stunden früher zu proklamieren, als von der UNO erlaubt.

Drinnen, in einem schmucklosen Saal auf einem niedrigen Podium unter einem großen Bild Theodor Herzls, des Begründers des Zionismus, und zwei weiß-blauen Fahnen mit dem Davidstern, erhebt sich ein 61-jähriger, kräftiger Mann mit einem ungebändigten, weißen Haarschopf: David Ben Gurion.

Er trägt einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und – ausnahmsweise – eine schwarze Krawatte. Es wird still, als er aufsteht. In seiner Hand hält er eine Pergamentrolle mit kunstvollen Verzierungen. Der eigentliche Text der Erklärung aber ist auf zwei schlichten Schreibmaschinenseiten niedergeschrieben, die an die Pergamentrolle angeheftet wurden. Es ist nicht mehr genug Zeit geblieben, das wichtigste Dokument Israels in feierlicher Form fertigzustellen.

Die in einer Toilette zusammengedrängten Tontechniker von Kol Israel sind bereit zur Radioübertragung. "Das Land Israel", nehmen ihre Mikrofone nun Ben Gurions Stimme auf, "war der Geburtsort des jüdischen Volkes." In feierlichen Worten erklärt der weißhaarige Herr dann, dass sie vertrieben wurden, aber niemals aufgaben, von einer Rückkehr ins Gelobte Land zu träumen.

In den vergangenen Jahrzehnten seien die Juden endlich zurückgekommen. Sie "machten die Wüste fruchtbar, erweckten die hebräische Sprache wieder, bauten Dörfer und Städte und schufen eine blühende Gemeinschaft, die ihre eigene Wirtschaft und Kultur kontrolliert, den Frieden liebend, aber wissend, wie man sich verteidigt, brachten sie die Früchte des Fortschritts zu allen Einwohnern des Landes und wünschen einen unabhängigen Staat.

Und deshalb proklamieren wir hiermit kraft des natürlichen und historischen Rechts des jüdischen Volkes und der Resolution der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Gründung des jüdischen Staates in Palästina, der den Namen Israel tragen soll." Der Staat werde auf Frieden und Gerechtigkeit beruhen und auf der Gleichheit der Geschlechter, der Rassen und der Religionen. Die aus der britischen Mandatszeit stammenden Einwanderungsbeschränkungen für Juden würden sofort aufgehoben. Ben Gurion bittet die UNO und die Juden in der Diaspora um Hilfe beim Aufbau des Staates. Und er appelliert noch einmal an die Araber in Palästina und jenseits der Grenzen, den Weg der friedlichen Kooperation zu gehen.

Die 200 Anwesenden erheben sich und applaudieren. Ein alter Rabbiner dankt mit fast versagender Stimme "Ihm, der uns erhalten und bewahrt und in dieser Zeit geführt hat!"

Ben Gurion, nun provisorischer Ministerpräsident des neuen Staates, klopft mit einem Holzhämmerchen auf den Tisch. "Die Sitzung ist geschlossen", verkündet er. Es ist 16.37 Uhr, noch vor der Dämmerung und dem Beginn des Sabbats. Der Staat Israel ist geboren.

Die Menschen vor dem Tel-Aviv- Museum feiern; Zehntausende im Land haben vor dem Radio ausgeharrt und jubeln. Nur Rabins jugendliche Kämpfer an der Straße nach Jerusalem sind so müde, dass sie die geschichtsträchtige halbe Stunde verschlafen.

Wadi Schueib, Transjordanien, 18.00 Uhr

Der kleine Mann mit dem verwüsteten Gesicht blickt auf Jericho, das einige Kilometer hinter dem trägen Fluss liegt, den er in wenigen Stunden auf der Allenby-Brücke überqueren will: dem Jordan. John Bagot Glubb – Sir John für die Briten, Glubb Pascha für die Araber – wurde im Ersten Weltkrieg ein Teil seines Kiefers weggeschossen. Als junger Offizier mit entstelltem Gesicht kam er danach nach Arabien – und ist seither, von kurzen Besuchen in dem längst nicht mehr als Heimat empfundenen Großbritannien abgesehen, für immer dort geblieben.

Kein Europäer kennt die Beduinen so gut wie er, kein Fremder spricht ihre Sprache besser, hat länger mit ihnen zusammengelebt. Glubb Pascha ist der Kommandeur der Arabischen Legion.

In der Wüste bei Wadi Schueib haben sich rund 4500 Beduinenkrieger versammelt. Um Mitternacht werden sie den Jordan überqueren, Jericho passieren und in die judäischen Berge eindringen auf einem Weg, der früher nichts war als ein Eselspfad, den die Araber aber heimlich – und gegen gute Bezahlung – zu einer für Panzerspähwagen und Jeeps passierbaren Straße ausgebaut haben. Die Juden werden eine böse Überraschung erleben.

Eine dunkle Limousine fährt vor, der ein blasser, zart gebauter Mann in einer englischen Uniform entsteigt: König Abdullah von Transjordanien und, so Allah will, bald König des vereinigten Jordanien. Für ihn, den hervorragenden Schachspieler, ist der Nahe Osten so etwas wie ein riesiges Spielbrett, auf dem ihm das Schicksal aber unglücklicherweise die Rolle einer der schwächsten Figuren zugewiesen hat. "Ein Falke in einem Kanarienvogelkäfig", so nennt ein Freund den König.

Glubb Pascha und seine Offiziere – Briten und Jordanier – salutieren, dann schreitet der kleine König würdevoll zu einem Podium, vor dem die Soldaten der Legion in Paradeformation angetreten sind. "Meine lieben Söhne!", beginnt Abdullah, doch weiter kommt er nicht.

Innerhalb weniger Augenblicke bricht ein Sandsturm herein, eine graubraune Wolke, die Mund und Augen verklebt, alle Geräusche in ihrem Heulen schluckt und die Menschen zu Schemen macht. Doch bevor einer seiner Soldaten dies als schlechtes Omen deuten kann, zieht Abdullah seine Pistole und feuert in die Luft. "Nach Al-Quds!", ruft er. Und diesen Schlachtruf kann jeder verstehen.

König Abdullah von Transjordanien

Trotz guter Kontakte zu den Juden nimmt der 1882 geborene König am Krieg gegen Israel teil - um sein Reich zu vergrößern. 1951 erschießt ihn ein Palästinenser

An Bord von "HMS Euryalus", Hafen von Haifa, gegen 22.00 Uhr: Sir Alan Cunningham, letzter Hochkommissar Seiner Majestät für Palästina, betritt den Kreuzer. Er wird mit dem schrillen Ton der Bootsmannspfeife begrüßt und dann von Offizieren zur Brücke geleitet.

Langsam gleitet das graue Kriegsschiff aus dem nächtlichen Hafen, starr steht im gleißenden Licht eines Bordscheinwerfers der scheidende Hochkommissar auf der Brücke.

Der Kreuzer fährt an mehreren Zerstörern vorbei, an einem mächtigen Flugzeugträger. Eine Marinekapelle auf dem Deck des Flugzeugträgers spielt "God save the King".

Peinlich genau außerhalb der Drei-Meilen-Zone des bald unabhängig werdenden Israel dreht der Kreuzer bei und wartet. Als die Borduhren Mitternacht zeigen, steigt ein Feuerwerk in den Himmel: Mit bunten Signalraketen verabschiedet sich Sir Alan von "seinem" Mandatsgebiet. Wehmütig blickt er auf die düstere Küste, dann auf seine Uhr – und erstarrt: Er hat sich zu früh verabschiedet ...

Arab.Soldaten in Lager bei Jaffa 1948
Bei Jaffa internieren jüdische Truppen auf einem Bauernhof arabische Gefangene, von denen viele später über die Grenze abgeschoben werden und die Dörfer ihrer Geburt nie wiedersehen
© picture-alliance / akg-images

 

Der Kapitän von "HMS Euryalus" hat vergessen, die Bordzeit von britischer Sommerzeit auf palästinische Ortszeit umzustellen. So kommt es, dass Großbritannien sich mit Pomp schon um 23.00 Uhr von dem Land verabschiedet, das es offiziell erst eine Stunde später verlassen darf.

Durch den Irrtum der Briten wirkt es rückblickend so, als habe die Geschichte in jener Nacht für eine Stunde eine Auszeit genommen, eine Atempause vor dem großen Sturm. Denn um Mitternacht überfallen die regulären Armeen von fünf arabischen Staaten die junge jüdische Nation von drei Seiten: 25.000 Mann mit Panzern und Flugzeugen. Mit erfahrenen britischen Militärberatern. Und, auf versteckten Posten, mit dem einen oder anderen ehemaligen deutschen SS-Mann.

Schon nach wenigen Tagen scheint das Schicksal des Judenstaates besiegelt zu sein: Ägyptische Piloten bombardieren Tel Aviv, Bodentruppen nähern sich der Küstenstadt in bedrohlichem Tempo von Süden. Und im Norden und Nordosten erobern syrische, libanesische und irakische Einheiten jüdische Dörfer, Kibbuzim und Städte.

Der gefährlichste Gegner ist die Beduinen-Legion des Glubb Pascha, die in der Nacht auf den 15. Mai am Jordan gelauert hat. Schon bald erreichen die jordanischen Kämpfer Jerusalem und nehmen den jüdischen Teil der Altstadt unter Dauerbeschuss. Schließlich müssen sich die letzten Verteidiger am 28. Mai ergeben und das für Glauben und Politik der Juden so wichtige Viertel räumen.

Die israelisch kontrollierte Westhälfte der Heiligen Stadt kann dem Ansturm vorerst standhalten. Doch wird die Situation von Tag zu Tag bedrohlicher, denn Jerusalem ist schon seit Wochen von der Außenwelt abgeschnitten. Die Stadt ist von arabischen Siedlungen umgeben, und die einzige Lebensader für die über 90.000 Juden Jerusalems, ein knappes Sechstel der jüdischen Gesamtbevölkerung Palästinas, ist eine gut 60 Kilometer lange Straße, die vom Jaffator durch die schroffen Berge Judäas bis nach Tel Aviv führt.

Ungefähr auf halbem Weg zwischen Jerusalem und der Küste gibt es im hügeligen Land einen Engpass, von dem aus sich die Straße leicht blockieren lässt. Dort soll schon Josua während der Schlacht gegen die Amoriter Gott angefleht haben, den Lauf der Sonne anzuhalten. Dort errichteten die Kreuzfahrer die Festung Le Toron des Chevaliers, deren Name sich zum modernen Latrun verschliffen hat.

Arabische Soldaten führen jüdische Gefangene ab
Am 28. Mai 1948 erobert die aus Transjordanien einmarschierte "Arabische Legion" die gesamte Altstadt von Jerusalem und nimmt dabei zahlreiche jüdische Soldaten gefangen
© The LIFE Picture Collection/Getty Images

Am 15. Maihaben Jitzchak Rabins Harel-Soldaten den strategisch wichtigen Ort noch aufgrund eines Versehens der Araber kampflos einnehmen können, aber schon zwei Tage später fiel er auf Dauer in die Hände der Arabischen Legion.

"Fällt Jerusalem, dann fällt Israel!", so hat es Ben Gurion immer wieder verkündet. Nun lässt der frischbestellte Premierminister seine Truppen Latrun wieder und wieder attackieren. Doch Glubbs Kämpfer bringen den israelischen Angreifern eine verheerende Niederlage nach der anderen bei. Die Stellung bleibt unbezwingbar, die Straße für die jüdischen Versorgungskonvois verschlossen.

In Jerusalem werden derweil die Essensvorräte so knapp, dass ein Massensterben droht. Die "Stadt des Friedens", so scheint es, ist für die Juden verloren.

Dann aber entdecken Palmach-Soldaten eher zufällig eine alternative Strecke nach Jerusalem, die an Latrun vorbei außerhalb der Reichweite der arabischen Geschütze verläuft. Der unwegsame Bergpfad lässt sich zunächst nur unter großen Mühen mit Jeeps befahren, doch Ben Gurion erkennt sofort das Potenzial der neuen Route und lässt sie mit Hochdruck ausbauen. So können schon nach nicht einmal drei Wochen erste Lastwagen-Transporte der belagerten Stadt das bringen, was sie am nötigsten braucht: Lebensmittel – und Waffen.

Allerdings wäre die Rettung durch die "Burma Road", wie die neue Straße in Anlehnung an eine von den Chinesen im Chinesisch-Japanischen Krieg gebaute Nachschubstrecke genannt wird, wohl zu spät gekommmen, hätten die Araber nicht nach heftigen internen Diskussionen einen von der UNO vorgeschlagenen Waffenstillstand akzeptiert, der vom 11. Juni 1948 an gilt und vier Wochen lang dauern soll.

Vor allem der Vertreter König Faruks hat sich bei der entscheidenden Sitzung in Amman trotz der errungenen Erfolge mit dem bisherigen Kriegsverlauf und dem Auftreten der arabischen Truppen unzufrieden gezeigt. Eine Aussetzung der Kämpfe, so der Ägypter, werde den Verbündeten die Gelegenheit geben, ihre Streitkräfte neu zu organisieren und Missstände in den Armeen zu beheben. Nur unter Protest hat sich der Generalsekretär der Arabischen Liga bereit erklärt, den Waffenstillstand zu akzeptieren: "Die arabische Nation wird uns nie verzeihen, was wir hier tun." Ähnlich sieht es auf der anderen Seite David Ben Gurion: "Einen Fehler, einen verhängnisvollen Fehler" hätten seine Gegner begangen, erklärt er später. Und tatsächlich wissen die Israelis die knapp einmonatige Atempause weitaus besser zu nutzen als ihre Kontrahenten, nicht nur für die Verteidigung Westjerusalems. Vielmehr können sich die jüdischen Kämpfer an allen Fronten verstärken, denn endlich haben sie jetzt die Gelegenheit, das in den Monaten vor der Staatsgründung in aller Welt eingekaufte Kriegsgerät ins Land einzuführen und einzusetzen.

Auch für Zehntausende jüdische Einwanderer, die sogleich zum Kriegsdienst verpflichtet werden, sind die Grenzen nun offen, und so tritt den arabischen Invasoren am Ende des Waffenstillstands eine auf 65.000 Männer und Frauen angewachsene, gut ausgerüstete israelische Streitmacht entgegen. Doch die so wichtige Aufrüstung der jüdischen Truppen führt auch zu einem schweren inneren Konflikt, dem ersten in der Geschichte Israels.

Am 20. Juni 1948 kommt der Frachter "Altalena" an der israelischen Küste vor Kfar Vitkin an, beladen mit 5000 Gewehren, 300 MPs, fünf Halbkettenfahrzeugen, Munition und 900 Kämpfern – für die Irgun. Doch Regierungschef Ben Gurion besteht darauf, dass es im Staat Israel nur eine Armee gibt, deren Kern die Hagana ist. Für Menachem Begin ist dies unakzeptabel.

Er möchte einen Teil der Waffen zu seinen Kämpfern nach Jerusalem bringen lassen und den Rest in von der Irgun kontrollierten Lagern verstauen. Die Truppe wäre damit eine Art Privatarmee, loyal nicht dem Staat gegenüber, sondern nur Begin.

Als die Irgun-Anhänger in Kfar Vitkin mit dem Ausladen der Waffen beginnen, kommt es zu einem ersten kurzen Feuergefecht zwischen israelischen Soldaten und der Irgun; dann lässt Begin, der an Bord ist, die "Altalena" in Richtung Tel Aviv aufbrechen.

Dort, nur ein paar Hundert Meter vom Hauptquartier der UN-Beobachter entfernt, läuft der Frachter auf Grund. Hier, so Begins Kalkül, werde es Ben Gurion nicht wagen, in aller Öffentlichkeit Gewalt gegen ihn anzuwenden. Eine Fehleinschätzung. Denn der Premierminister ist nun endgültig davon überzeugt, dass Begin einen Staatsstreich plant.

Zufällig ist es Jitzchak Rabin, der am 22. Juni 1948 als Kommandant gegen die Irgun-Kämpfer vorgehen muss. Er lässt auf Ben Gurions Anweisung hin seine Soldaten in Stellung gehen, verhandelt mit Begin, der jedoch stur bleibt und mit der Entladung beginnt. Rabin gibt den Feuerbefehl.

Unterdessen liefern sich in den Straßen Tel Avivs herbeigeeilte Irgun-Anhänger und Palmachniks heftige Kämpfe, in denen es für kurze Zeit nach einem Sieg der Extremisten aussieht. Doch schließlich erzwingt Rabin die Entscheidung, indem er die "Altalena" mit schwerer Artillerie in Brand schießen lässt. Das Schiff sinkt mit den an Bord verbliebenen Waffen, Begin und seine Männer geben auf.

Mindestens zwölf Irgun-Kämpfer von der "Altalena" sind tot, dazu kommen Dutzende Gefallene auf beiden Seiten aus den Straßenkämpfen. Doch die Einheit der israelischen Armee und die Autorität der Regierung sind gesichert.

"Die Kanone, die die 'Altalena' in Brand schoss, hat einen Platz im israelischen Militärmuseum verdient", lobt Ben Gurion die Tat. Begin gibt die Irgun auf und gründet eine Partei, aus der später der Likud-Block hervorgehen wird. Teile der israelischen Rechten werden Ben Gurion und Rabin den "Altalena"-Zwischenfall nie verzeihen.

Wenige Wochen später – zwischen Israel und seinen Nachbarn wird seit einigen Tagen wieder gekämpft – ist Jitzchak Rabin in eine weitere, für den jungen Staat noch folgenreichere Tragödie verwickelt. Die durch die Waffenruhe erstarkte israelische Armee ist zur Offensive übergegangen und hat die arabisch besiedelten Städte Lydda und Ramle bei Tel Aviv eingenommen. Nun stellt sich den Eroberern die Frage, was mit den Einwohnern geschehen soll.

Wieder ist es Ben Gurion, der den entscheidenden Befehl erteilt. "Hinaus mit ihnen", gibt er Rabin mit einer Handbewegung zu verstehen. Und so treiben am 13. Juli 1948 Palmach-Soldaten mit Drohungen und Warnschüssen die mehr als 50.000 Einwohner der zwei Städte rund 25 Kilometer zu Fuß durch die Wüstenhitze bis zu den Stellungen der Arabischen Legion.

Wahrscheinlich sterben Dutzende Kinder und Alte auf dem Wüstenmarsch. Manche der idealistischen Palmach-Kämpfer weigern sich, an dieser Aktion teilzunehmen. Und Rabin wird, als er 30 Jahre später in seinen Memoiren die Vertreibung beschreiben will, auf Druck der israelischen Regierung diese Passage streichen müssen.

Die gewaltsam vertriebenen Zivilisten von Lydda und Ramle sind jedoch nur ein kleiner Teil der gewaltigen Flüchtlingsmassen, die im Verlauf des Krieges ihre Heimat in Palästina verlassen. Schon nach der blutigen Eroberung von Deir Jassin im April haben sich mehr als 100.000 Araber aus Angst vor weiteren Massakern auf den Weg in eines der Nachbarländer oder in die arabisch kontrollierten Zonen Palästinas gemacht. Mit dem Erstarken der israelischen Offensive nimmt die Zahl der Flüchtlinge weiter zu; am Ende des Krieges werden es mehr als 700.000 sein.

Sie werden zu dem heimatlosen, in Lagern zusammengepferchten Volk, das die Welt später "Palästinenser" nennt und das den arabischen Staaten bis heute als Faustpfand gegen Israel dient. Das Schicksal dieser Flüchtlinge, besonders aber das Wissen um die gewaltsame Vertreibung eines Teils von ihnen stellt für den jungen Staat eine schwere moralische Hypothek dar, die sein Ansehen in Teilen der Weltöffentlichkeit beschädigt.

Literaturempfehlungen

  • Larry Collins und Dominique Lapierre, „O Jerusalem“, Goldmann: ungemein faktenreiche, dramatisch erzählte Reportage über Israels Unabhängigkeitskrieg
  • Benny Morris, „1948: A History of the First Arab-Israeli War“, Yale University Press: kritischer Blick eines israelischen Historikers auf die Geschehnisse der Jahre 1948/49.

In militärischer Hinsicht jedoch entwickeln sich die Dinge im weiteren Verlauf des Jahres 1948 positiv für Israel. Erfolgreiche Offensiven im Norden des Landes lassen den Kampfeswillen der Syrer und Libanesen schnell erlahmen. Da sich an der Front zur Arabischen Legion und zu den Irakern nach Beendigung der Kämpfe um Jerusalem bald ein Status quo herausbildet, mit dem beide Seiten leben können, bleiben in den letzten Monaten des Krieges nur noch die Ägypter als ernst zu nehmender Gegner übrig. Ende 1948 müssen dann auch sie sich der Überlegenheit der Israelis geschlagen geben, die zeitweilig sogar auf ägyptisches Terrain vorstoßen.

In den ersten Monaten des Jahres 1949 akzeptieren schließlich alle Regierungen (bis auf die des Irak, die bis heute kein Abkommen mit Israel unterzeichnet hat) der Reihe nach Waffenstillstandsverträge. Transjordanien kann mit dem Ergebnis des Krieges trotz der allgemeinen arabischen Niederlage zufrieden sein, hat es doch große Teile der von der UNO einst für den arabischen Staat in Palästina vorgesehenen Gebiete westlich des Jordan zugesprochen bekommen. König Abdullah herrscht nun tatsächlich auf beiden Seiten des Flusses – und zudem in der östlichen Hälfte Jerusalems, das er sich, unter Ignorierung des UNO-Beschlusses zur Internationalisierung der Stadt, mit Israel teilt. (Beides wird Jordanien im Sechstagekrieg 1967 wieder verlieren.)

Auch Ägypten bedient sich aus den Restbeständen des nun obsoleten palästinensischen Staats und hält eine kleine Küstenregion im Westen des einstigen Mandatsgebiets besetzt, die unter dem Namen "Gazastreifen" bekannt wird; Syrien und der Libanon bleiben in ihren Grenzen.

Der Staat der Juden jedoch, den die Angreifer hatten auslöschen wollen, geht als der große Sieger aus diesem ersten von mehreren Kriegen mit seinen Nachbarn hervor. Wichtiger noch für das jüdische Selbstbewusstsein als die Territoriumszugewinne – Israel hat sich gegenüber dem ursprünglichen UNO-Teilungsplan um mehr als 5000 Quadratkilometer vergrößern können – ist die Tatsache, dass sich der kleine Staat aus eigener Kraft gegen die Angreifer behauptet hat. Wenn auch unter großen Opfern: 6373 Menschen sind umgekommen, rund ein Prozent seiner jüdischen Bevölkerung zu Beginn des Krieges. Es ist damit der bis heute verlustreichste Krieg in seiner Geschichte.

Nun aber haben, zum ersten Mal seit zwei Jahrtausenden, die Juden wieder einen eigenen Staat.

GEO EPOCHE Nr. 61 - 06/13 - Israel

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