Anzeige

Kosmos Erfrieren, zerreißen, zermalmen? Das Ende des Universums ist wieder offen

Carina Nebel
Der Blick in die Tiefe des Alls offenbart spektakuläre Formationen, wie hier den Carinanebel. Doch wenn die Dunkle Energie das Universum weiterhin auseinandertreibt, wird in ferner Zukunft der Nachthimmel gänzlich schwarz sein – aus fernen Galaxien könnte kein Licht mehr die Erde erreichen
© ESO/T. Preibisch-PR
Seit dem Urknall dehnt sich der Kosmos mit rasanter Geschwindigkeit aus. Physiker und Physikerinnen glaubten daher zu wissen, welchem Schicksal das Universum entgegenstrebt. Doch neueste Messungen stellen unser Wissen infrage

Das Ende des Universums schien besiegelt. 1998 hatten zwei Forschungsteams entdeckt, dass das Universum mit immer höherer Geschwindigkeit auseinanderfliegt, angetrieben von einer Dunklen Energie. Was sich hinter ihr verbirgt, darüber rätselt die Physik bis heute. Aber es schien gewiss, dass sie bestimmt, welches Schicksal das All einmal ereilen wird. 

In den Jahrzehnten zuvor hatten Kosmologinnen und Kosmologen allerlei Szenarien entworfen, verglichen und verworfen. Big Freeze, Big Rip, Big Crunch, Big Splat – jeder der knalligen Begriffe beschreibt ein mögliches Finale allen Seins. Die Entdeckung der Dunklen Energie schien dann zu belegen, dass das Universum in einem Big Freeze enden würde: Indem sich das Universum immer weiter, aber nicht allzu schnell ausdehne, strebe jede Materie einem Ende in Kälte und Einsamkeit zu.

Jüngste Messungen des Dark Energy Spectroscopic Instrument, kurz DESI, stellen das jedoch infrage. Das Forschungsinstrument im Bundesstaat Arizona kann elf Milliarden Jahre zurückblicken und dadurch das Wirken der Dunklen Energie über den Großteil der Geschichte unseres Universums überblicken, welches vor 13,8 Milliarden Jahren entstand. 

Vor allem rekonstruiert DESI die Dunkle Energie mit einer Methode, die viel genauere Aussagen zulässt als vorherige Messungen. Das Forschungsteam untersucht baryonische akustische Oszillationen, kurz BAO. Sie waren einst Blubberblasen in der Ursuppe des frühen Kosmos. Später gaben sie vor, wo Galaxien entstehen konnten: vornehmlich an den Rändern der BAO. Galaxien existieren daher nicht an beliebigen Orten im Universum, sondern bilden untereinander riesige kugelförmige Strukturen, ähnlich glitzernden Weihnachtskugeln. Wie groß die Kugeln in den einzelnen Phasen des Universums waren,  hängt vom Wirken der Dunklen Energie ab. 

Die ersten Messungen von DESI lassen nun die Physikwelt erbeben: Offenbar ist die Dunkle Energie gar nicht konstant stark. In jüngster Zeit könnte sie schwächer geworden sein. Zwar breitet sich das Universum weiterhin mit zunehmender Geschwindigkeit aus, aber der Dunklen Energie scheint etwas die Puste auszugehen. 

Noch handelt es sich bloß um erste Ergebnisse, weitere könnten die Sensation widerlegen. Zudem ist der beobachtete Effekt, sollte er sich bewahrheiten, recht klein. Und doch: Dass sich die Dunkle Energie überhaupt verändern kann, macht die Debatte zum Ende unserer Welt wieder spannend. Da das Universum prinzipiell noch unendlich viel Zeit vor sich hat, können selbst kleine Unterschiede große Wirkungen haben. Und wenn die Dunkle Energie prinzipiell variiert, kann sie sich zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht auch radikal ändern. 

Doch auf welche Weise könnte das All überhaupt enden? Vier Szenarien stehen vor allem im Fokus.

Big Freeze – das große Einfrieren

Der Kosmos dehnt sich aus, durch die Dunkle Energie sogar immer schneller. Da auch die Distanz zwischen unserem Sonnensystem und seinen Nachbarsternen wächst, wird es zunehmend schwarz am Himmel. Jeder Stern, jeder Planet endet einsam in einer großen Dunkelheit. Das Universum, welches heute minus 270,4 Grad Celsius kalt ist, kühlt noch weiter ab. So weit, dass die Temperatur schließlich nur noch einen winzigen Hauch über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius liegt. Viel zu kalt für jedwedes Leben: Ohne Temperaturunterschiede fehlt der Energiefluss, der Prozesse antreibt. Nach diesem bislang wahrscheinlichsten Szenario endet das Universum in einem Decrescendo, wie ein Orchester, bei dem die Instrumente immer langsamer und leiser spielen, bis man ihr ausklingen kaum noch wahrnimmt.

Big Crunch – das große Zermalmen

Sollte die Dunkle Energie immer schwächer werden, wie die neuesten Messungen zumindest als Möglichkeit wieder offenlassen, könnte irgendwann die Schwerkraft die Oberhand im Universum gewinnen. Die Sterne näherten sich einander wieder an, der Raum schrumpft, und unser Universum schnurrt in einer Art zeitlicher Umkehr des Urknalls zusammen, bis sich die Materie wieder in die Urbausteine auflöst. 

Wie sich das Universum entwickelt hat – und wie es weitergehen könnte  Von unten nach oben: Auf den Urknall (1) vor 13,8 Milliarden Jahren folgte eine Zeit rascher Ausdehnung (2). Auch heute (3) expandiert der Weltraum. Radikal unterscheiden sich die Zukunftsszenarien: Beim "Big Freeze" (4, 5) expandiert der Kosmos unendlich lange, Materie und Energie verdünnen sich, die Temperatur nähert sich dem absoluten Nullpunkt an. Beim "Big Rip" (6) dehnt sich das Universum immer schneller aus und zerreißt schließlich jegliche zusammenhängende Materie. Der "Big Crunch" (7) tritt ein, falls die Gravitation die Expansion bezwingt: Dann fällt das Universum wieder in sich zusammen. 
Wie sich das Universum entwickelt hat – und wie es weitergehen könnte
Von unten nach oben: Auf den Urknall (1) vor 13,8 Milliarden Jahren folgte eine Zeit rascher Ausdehnung (2). Auch heute (3) expandiert der Weltraum. Radikal unterscheiden sich die Zukunftsszenarien: Beim "Big Freeze" (4, 5) expandiert der Kosmos unendlich lange, Materie und Energie verdünnen sich, die Temperatur nähert sich dem absoluten Nullpunkt an. Beim "Big Rip" (6) dehnt sich das Universum immer schneller aus und zerreißt schließlich jegliche zusammenhängende Materie. Der "Big Crunch" (7) tritt ein, falls die Gravitation die Expansion bezwingt: Dann fällt das Universum wieder in sich zusammen. 
© CARLOS CLARIVAN / Science Photo Library

Big Rip – das große Zerreißen

Ähnlich furios, aber genau gegenteilig ist dieses Szenario: Die Ausdehnung des Universums könnte so stark zunehmen, dass letztlich die Schwerkraft, welche unsere Milchstraße und unser Sonnensystem zusammenhält, überwunden wird. Die Dunkle Energie könnte dann jedwedes Gebilde auseinanderreißen, selbst Atome würden nicht mehr zusammenhalten. Damit das Universum so endet, müsste die Dunkle Energie immer stärker werden, nicht schwächer, wie zuletzt beobachtet. Allerdings: Die neuesten Messungen legen nahe, dass die Dunkle Energie überhaupt schwanken kann. Falls das stimmt, könnte sie auch irgendwann an Fahrt aufnehmen.

Big Splat – der große Platsch

Einer Theorie nach existiert unser Uni­versum auf einer vierdimensionalen Membran, die sich durch einen Raum mit noch mehr Dimensionen bewegt (dieses Modell ist – sehr vereinfacht – mit einem Blatt Papier vergleichbar, das durch ein Zimmer fliegt). Stößt die Membran un­seres Weltalls mit einer anderen zusammen, löst der Aufprall (Klatsch) ein dramatisches Geschehen aus: Das bestehende Universum stürzt in einem Big Crunch in sich zusammen. Daraus folgt ein Urknall, der ein neues Universum gebiert. Dieses Szenario geht davon aus, dass sich Phasen des Entstehens und Vergehens in einem zyklischen Universum fortlaufend abwechseln.

Auch wenn das erste Szenario weiterhin das wahrscheinlichste bleibt, ist die Frage wieder offener, wie sich das Universum in Milliarden von Jahren verändert. Doch ganz gleich, welches Szenario eintritt: Uns Menschen wird es mit Sicherheit nicht mehr geben. Niemanden also, der das Ende der Welt mitbekommt.

Vielleicht ist das sogar ein wenig tröstlich.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel