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Phänomen "Co-Rumination" Wann Reden Probleme sogar größer machen kann – und wie man gegensteuert

Zwei Frauen sitzen nebeneinander
Wer seine Probleme teilt, intensiviert Beziehungen. Doch Problemgespräche blasen zuweilen Schwierigkeiten auf und verschlechtern die Stimmung. Der Grat zwischen dem, was hilfreich ist und jenem, das schadet, ist schmal 
© Dmytro Betsenko / Getty Images
Der Volksmund rät, sich Probleme von der Seele zu reden und Sorgen zu teilen. Dass dies die eigene Stimmung sogar verschlechtern und die Problemlösekompetenz noch weiter einschränken kann, zeigen neue Beobachtungen der Psychologie  

Die westliche Kultur predigt: Es ist gesünder, über Gefühlslagen zu sprechen, statt Probleme in sich hineinzufressen und deswegen krank zu werden. Bedrückendes soll man sich förmlich als Last von der Seele reden. Doch das ist nach einer aktuellen psychologischen Langzeitstudie kein Königsweg. 

Zwar kann es erleichtern, sich einem Freund anzuvertrauen und eine mit sich herumgeschleppte Angst zu teilen und die Meinung des Gegenübers zu hören. Doch gibt es heute einen Trend, Problemgespräche exzessiv zu übertreiben und so unbeabsichtigt negative Folgen wie ängstliche Stimmung oder eine Vergrößerung der Probleme zu erleben. 

Die US-amerikanische Psychologie-Professorin Amanda Rose forscht am sogenannten "Peer Relations Lab" der Universität Missouri und widmet sich den Freundschaftsbeziehungen im Kinder- und Jugendalter. In einer Beobachtungsstudie hat sie über die Wirkung von Problemgesprächen in engen Freundschaften geforscht – und ein neues Phänomen entdeckt.

Grübeln: Warum diese Denkart gefährlich ist 

Co-Rumination. Abgeleitet vom lateinischen Wort ruminare bedeutet "Rumination" so viel wie Wiederkäuen. So wie Kühe ihren Mageninhalt immer wieder hochholen und durchkauen, so gehen Menschen psychologisch beim Grübeln immer wieder die gleichen Inhalte und Themen durch. Unter Psychologen gilt dies als gefährlich, denn es wirkt gemeinhin als Brandbeschleuniger für schlechte Stimmung und depressive Erkrankungen. 

Manche Experten und Expertinnen sprechen daher vom "Hefeteig-Effekt" dieser Denkart, die negative Stimmungen durch das kreisende Denken aufgehen lässt, sie größer und größer macht, ohne einer Lösung näher zu kommen. Bat man gesunde Studierende, acht Minuten über ein Thema zu grübeln, so reichte dies, um eine pessimistischere Sicht auf ihre Vergangenheit und Zukunft zu provozieren. Außerdem setzte diese Denkform die Problemlösungskompetenz herab. Betroffene gerieten in immer neue Denkschleifen, statt ins Handeln, also heraus aus der Problemtrance zu gelangen. 

Problemgespräche, die nach Amanda Rose zu "Co-Rumination" führten, einer Form von Overthinking, lassen sich im Grunde als ein "Grübeln zu zweit" beschreiben. Gemeinsam mit dem Freund oder der Freundin wird eine Problemlage exzessiv besprochen, es wird spekuliert und problematische Aspekte werden wieder und wieder aufgegriffen und mit einem negativen, oft sogar katastrophisierenden Fokus beleuchtet. Oft geschieht dies mit mehreren Gesprächspartnern, die durch unterschiedliche Sichtweisen ein Problem sogar komplizieren können. Und das ist nicht unbedingt hilfreich: Menschen geraten dadurch eher in eine Problemtrance, verlieren sich immer tiefer im Strudel des Problems und der negative Affektlage. Zwar fühlten sich die jugendlichen Gesprächspartnerinnen nach Amanda Rose durch die vertrauten Gespräche und die erlebte Intimität sozial eng verbunden, was ein positiver Effekt ist, doch keineswegs gelangten sie Lösungen näher. 

Wie-Fragen führen aus dem Gedankenkarussel 

Rose beobachtete indes, wie Angst und depressive Symptome durch das Gespräch zunahmen, das Problem sich intensivieren konnte und die Handlungskompetenz sank. Denn Grübeln aktiviert die Amygdala, die Alarmzentrale im Gehirn. Betroffene werden von Stressgefühlen geflutet, die rationales Problemlösen erschweren. Das Stresshormon Cortisol versetzt den Körper in einen dauerhaften Alarmzustand. Zahlreiche Studien kommen zu dem Schluss, dass Grübeln zielgerichtetes Handeln und die Entwicklung eines Plans verhindert. Hinzukommt: Ein psychologisch unbedachter Gesprächspartner mag mit seiner Reaktion, etwa übersteigertem Mitleid, eine Schwierigkeit zusätzlich dramatisieren – und unlösbar erscheinen lassen. Zu guter Letzt gilt Grübeln als transdiagnostischer Faktor, der Depressionen, Angststörungen oder eine Schlafstörung begünstigen und aufrechterhalten kann. 

Bereits die Erkenntnis, dass Co-Rumination schadet, kann aber eine positive Veränderung und mehr Selbststeuerung bringen. Fühlten sich Betroffene in der Vergangenheit schlecht, so folgerten sie oft, dass sie offensichtlich noch nicht intensiv genug über ihre Themen gesprochen hatten und sie daher zu einem weiteren Problemgespräch ansetzen müssten. Dass Wissen um das Phänomen "Co-Rumination" kann hingegen helfen, aus der Dynamik des lähmenden Gesprächs auszusteigen. 

Wie beim Grübeln kann ein Selbsttest erste Aufklärung über die eigene Neigung zu Co-Rumination bringen. Psychologen empfehlen die Zwei-Minuten-Regel: Wer länger als Zwei-Minuten über ein Problem nachdenkt, ohne einer Lösung näher gekommen zu sein, der grübelt aller Wahrscheinlichkeit nach. Analoges gilt für Co-Rumination, gemeinsames Grübeln beim Problemgespräch. Umkreist man ohne Handlungsideen mehrere Minuten lang eine Problemlage, grübelt man mit hoher Sicherheit zu zweit.

Die negativen Folgen treffen nicht nur denjenigen mit dem Problem, sondern auch das Gegenüber - denn in Beziehungen, die auf Sympathie beruhen, kommt es häufig zu einer Gefühlsansteckung, Emotionen werden übertragen, wie auch Weltsichten übernommen werden.   

Um gegenzusteuern kann man in Problemgesprächen mit Freunden darauf achten, dass abstrakt-philosophische "Warum-Fragen" von der Tendenz her unabschließbar sind und eher ins Gedanken-Karussell führen ("warum hat mich die Chefin ignoriert?", "warum verhält sich der Kollege so merkwürdig?"). Werden hingegen aktiverende Wie-Fragen in das gemeinsame Gespräch eingebaut, so wird der Blick auf mögliche Lösungen und Handlungspläne geschärft. Konstruktive Gespräche zielen auf Akzeptanz, besser noch einen strukturierten Problemlösungsplan. 

Denn unbestritten bleibt, dass Problemgespräche natürlich auch Lösungen bringen und Menschen von ihren Nöten erleichtern können. Daher ist es eine schwierige Gratwanderung zu entscheiden, ob jemand zu viel Sorgen und Nöte aus dem eigenen Leben mit Mitmenschen und Kollegen teilt, oder ob er durch den Austausch befreit und erleichtert wird. 

Anderer Umgang mit Stress: Sport versetzt den Körper in die Gegenwart

Ein Indiz dafür mag die Zeit geben, die jemand mit solchen Gesprächen verbringt im Verhältnis zu anderen Coping-Strategien, also Bewältigungsversuchen, wie etwa Sport zu treiben oder in der Natur zu spazieren. Wer also gewohnheitsmäßig das Bedürfnis verspürt, die Freundin oder den Freund anzurufen, um ein negatives Gefühl zu teilen und zu besprechen, der kann versuchen, die Zeit alternativ für eine Joggingrunde zu nutzen, bei der sich Problemlösungsideen häufig von ganz allein zeigen. Außerdem, so der Grübelexperte und Psychologe Tobias Teismann "lasse sich beim Joggen sehr schwer grübeln." Aktivität und Handlung, so die Meinung der Psychologie, ist der Königsweg aus Rumination und Co-Rumination. Neue Forschung legt nahe, dass vor allem der Körper einen Weg aus dem Sorgenkarrussel und der inneren Lähmung des Ruminierens zu bahnen vermag. Denn Sport und Körperübungen versetzen in die Gegenwart. 

Dass das Reden über belastende Ereignisse zur falschen Zeit regelrecht schädlich sein kann, ist sogar aus der Traumaforschung bekannt: Wird ein traumatisches Erlebnis beispielsweise zu früh von Ersthelfenden beleuchtet und angesprochen, so kann dies das Trauma vergrößern und die natürlichen Ressourcen der Psyche stören und schwerer zu bearbeiten machen. Analog verhält es sich bei Entwicklungsverzögerungen, die einmal ausgesprochen und ans Licht gezerrt, das Problem für einen Jugendlichen vorübergehend unüberwindbar erscheinen lassen können. Oft ist es nach Erkenntnis der Entwicklungspsychologie viel ratsamer, den Blick auch einmal von Schwierigkeiten abzuwenden und zu schweigen.  

Oft ist es also besser als sein Ruf: Belastungen erst einmal ruhen zu lassen oder sehr genau auszuwählen, mit wem ein Problem besprochen und wie lange in das Thema eingetaucht werden soll. Experten raten dazu, sogar ein zeitliches Fenster für Problemerörterungen festzulegen, das unbedingt eingehalten werden soll. Wer als Gegenüber für das Problemgespräch geeignet ist, wisse die Intuition sehr genau. 

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