Sosehr im Zeitgeist die Diagnose Narzisst liegt, so alt ist doch der Mythos um den Jüngling Narziss, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte, und so schillernd und facettenreich ist auch die Geschichte der Narzissmustheorie von Otto Kernberg bis Sigmund Freud: Das Erklärungsmodell Narzisst wird heute gern bemüht, wenn es darum geht, unliebsames Verhalten eines Partners oder einer Partnerin zu beschreiben. Der andere ist ein soziales Raubtier, ein Ausbeuter und Egomane. Die Diagnoseschublade "Narzisst" ist schnell gezogen.
Oftmals wird bei der plakativen Verurteilung in Gut und Böse, Opfer und Täter, ja bei der grellen Rede von Beziehungsvampiren jedoch vergessen, dass diese schillernden narzisstischen Lieben eine interessante Konstellationsabhängigkeit zeigen und dass im Hintergrund solcher Partnerschaften ein altes Kindheitsleiden spukt, soll heißen: Nicht jeder Mensch gerät in solch ungesunde Beziehungen hinein, und ein Narzisst ist gar nicht so böse, wie häufig dargestellt, sondern in seinem Wesen ein Mensch mit einem verletzten Selbst.
Ein im Selbstwert verletzter Mensch
Im Kern geht es bei narzisstisch strukturierten Persönlichkeiten und ihrem Verhalten in Beziehungen nämlich um ein instabiles Selbstwertgefühl, das seinen Ursprung in der Kindheit findet. So unterschiedlich die Theorien des Tiefenpsychologen Sigmund Freud oder des Analytikers Heinz Kohut in den Details auch sind, so eint beide doch die Meinung, dass ein solches Kind nicht ausreichend in seinem Selbst und seinen Gefühlen von der Beziehungsperson, damals meist noch der Mutter, gespiegelt und beantwortet wurde und damit emotional einsam blieb.