Finden Sie auch, dass die Vorfreude auf den Urlaub eine ganz besondere Form, ja gewissermaßen eine "Sonderkategorie" der Freude ist? Ich recherchiere im Vorfeld beispielsweise bereits Reiserouten an der Riviera entlang, finde kleine Familienrestaurants, in denen ich hausgemachte Zitronen-Tagliatelle probieren möchte, oder kenne die schattige Altstadtgasse, an deren Ende still eine barocke Kirche schlummert, die in einem Dorf an der italienischen Küste versteckt ist und in der es in meiner Vorstellung kühl ist und nach Weihrauch riecht. Bereits die Recherche versetzt in die Situation.
Letztens erweiterte ich meine Urlaubsplanung und machte mir detailliert Gedanken, welche Lektüre ich mit in meinen Südfrankreichurlaub (ja, ich reise fast immer nach Nizza und manchmal Richtung Italien weiter) nehmen möchte. Denn je mehr Zeit unter südlicher Sonne, umso mehr verlangsamen sich auch die Tage am Strand oder besser noch unter Pinienbäumen mit diesem speziellen Duft, Sie wissen schon. Der ideale Daseinsmodus, um zu lesen, zu picknicken, weiterzulesen und das "Dolce far niente", das süße Nichtstun zu entdecken.
Wenn Sie weniger auf Krimi-Lektüre, gefühlsduselige Liebesgeschichten, kurz Unterhaltung stehen, dann spricht nichts gegen kluge Inspiration am Strand. Denn auch wenn die Seele beim Nichtstun baumelt, so lassen sich gerade jetzt Gedanken tanken und neue Perspektiven schöpfen, die es wert sind, mit nach Hause importiert zu werden.
Ich habe für Sie beachtenswerte Psychologie-Bücher der letzten Zeit gesichtet, die Sie mit guten Gedanken im Urlaub bereichern und aus denen Sie geistige Funken schlagen können. Jetzt müssen Sie nur noch für ausreichend Schatten, Sonnenschutz, eine gute Sonnenbrille und kühlende Getränke sorgen. Los geht es mit der Inspiration: Nutzen Sie die Zeit im Urlaub, um schlau(er) zu werden und Anregungen für ihr Leben zu schöpfen.
Adam Grant: Hidden Potential oder die Frage, was machen erfolgreiche Menschen eigentlich anders?
Wenn Sie auf der Suche nach mehr Motivation sind und Sie die Frage beschäftigt, was besonders erfolgreiche Menschen von der Masse abhebt, so sollten Sie dieses Buch lesen. Der Psychologie-Professor Adam Grant enthüllt, wie jeder seine Potenziale besser entwickeln kann und worauf es in diesem Prozess ankommt – nämlich, wenig überraschend, das Richtige zu tun. Aber was ist das? Grant zufolge ist kein stundenlanges Üben nötig, um in einem Bereich "herausragend" zu werden, sondern es kommt vielmehr darauf an, den täglichen Alltagstrott in eine Quelle der Freude und des Lernens zu verwandeln. Von Naturtalenten hält Grant übrigens wenig, um höchste Potenziale zu heben. Diese besonders begünstigten Wunderkinder entwickeln nämlich nicht die zentrale Fehlerfreundlichkeit, die es für nachhaltigen Erfolg in einer Disziplin braucht. Auch Perfektionisten bringen es nach Grant selten weit. Grant legt sehr verständlich dar, wie sich der Einzelne ein Erfolgsgerüst bauen kann, welche Charakterstärken zum Erfolg führen: Proaktivität, Entschlossenheit, Disziplin. Seine Tipps leuchten ein und überraschen doch oft: "Werden Sie ein Schwamm!" Nein, ich verrate jetzt nicht, warum das Schwammdasein so großen Erfolg verspricht - Sie sollen ja noch lesen! Grant bleibt übrigens nicht beim Einzelnen stehen, sondern liefert Beispiele, wie die intrinsische, also die aus dem Inneren stammende Motivation eines Teams beflügelt werden kann. Ich garantiere Ihnen: Dieses Buch wird Sie im Motivationstief inspirieren. Nach der Lektüre machen Sie vermutlich einiges in Ihrem Leben anders und wecken Funken in anderen.
Wolfgang Schmidbauer: Böse Väter, kalte Mütter oder die Frage, bringen Vorwürfe vielleicht nicht weiter?
Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ist vielen ein Begriff. Zahlreiche Bücher und Kolumnen hat er geschrieben. Sein neues Buch nimmt den Zeitgeist unter die Lupe, der uns eine Art von populärer Überpsychologisierung beschert hat. Schmidbauer beleuchtet, warum sich Menschen schlechte Eltern konstruieren und einen Vorwurf hegen. Er beschreibt, welche Entlastungen dieses "psychologische Passepartout" erwachsenen Kindern bringt, sie letztlich aber einen hohen Preis für diesen psychologischen Mechanismus zahlen, da aus der Opferrolle wenig Handlungsperspektiven möglich sind. Dann holt er weit aus und blendet auf: Warum die isolierte Kleinfamilie romantisierte Liebesvorstellungen hervorgebracht hat, die den Vorwurf zwischen Eltern und Kindern fördern und die Beziehung belasten. Schließlich die Lösung: Wir können zu einem lebendigeren, ja animalischen Konfliktverhalten und Dasein finden, das Versöhnung statt Kontaktabbruch möglich macht. Hier erleben Sie einen tiefenentspannten Psychoanalytiker, der ein bisschen Altersweisheit abgibt und für Genuss in der Gegenwart wirbt. Essayistisch ist das Buch angelegt, ideal um Gedanken am Strand auf Wanderschaft zu schicken.
Cat Bohannon: Eva oder die Frage, ob die Evolutionsgeschichte neu gedacht werden sollte?
Die Erzähltheoretikerin, Dichterin und Wissenschaftlerin Cat Bohannon lenkt in ihrem Opus den Blick auf den weiblichen Körper und versucht ausgehend davon die gesamte menschliche Evolution neu zu verstehen und umzuschreiben. Gedacht werden sollte die Morgendämmerung der Menschheit aus Sicht der Frau. Und das naturwissenschaftlich und kulturhistorisch mit zahlreichen Belegen. Aus Bohannons Perspektive verdankt die Menschheit vor allem dem weiblichen Homo sapiens das, was sie jetzt ist, keineswegs den Männern, die bis heute bei vielen Betrachtungen im Zentrum stehen. Bohannon fragt nicht nur, wo die Frauen in der Evolutionsbiologie stehen müssten, sondern auch, wo ihr weiblicher Körper in der Wissenschaft (etwa in der Medizin mit einer männlichen Norm) bis heute leider fehlt. Am Strand dürften Sie für die über 700 Seiten eine Weile benötigen. Bohannon schreibt jedoch populärwissenschaftlich und durchaus verständlich. Einige Aufreger und steile Thesen inklusive. Ein bemerkenswertes Debattenbuch mit einem weiten Horizont, eine witzig geschriebene Feier der Weiblichkeit ohnehin.
Susanne Wurm: Gesund älter werden oder die Frage, kann das Mind-Set wirklich gutes Altern bedingen?
Viel wurde in jüngerer Zeit über den Trend "Longevity" gesprochen, die Wissenschaft eines langen Lebens. Die Forscherin Susanne Wurm hat ein lohnendes Buch darüber geschrieben, wie der Blick auf das eigene Altern auch den Alterungsprozess bestimmt. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie herausgefunden, welche Haltungen und Einstellungen günstig für die Gesundheit sind und welche sogar mit schlechteren Heilungschancen einhergehen. Das Buch kommt wissenschaftlich daher, liest sich aber dennoch gut verständlich. Empfehlenswert ist es für diejenigen, die an der Schwelle zum Rentenalter stehen und diese Phase gestalten wollen, die Inspiration suchen, um weiterhin Gewinne zu planen und nicht nur Verluste abzuwenden. Nach Susanne Wurm haben Sie das Alter auch selbst in der Hand.
Eva Walther, Simon D. Isemann (Hg.): Die AfD psychologisch betrachtet – oder wie spreche ich mit Menschen, die plötzlich nach rechts driften?
Wenn Sie auch im Urlaub die Gedanken an den Rechtsruck im eigenen Land nicht loslassen oder womöglich sogar Freunde und Bekannte haben, die neuerdings immer unverhohlener gegenüber Flüchtlingen polemisieren, so kann ein Blick in diesen Herausgeberband lohnen, der Beiträge zu den psychologischen Ursachen hinter der AfD versammelt. Welche Gefühle (etwa Bedeutungsdeprivation im eigenen Leben) spielen der Partei Anhänger zu? Warum kann die Anspruchshaltung, also das innere Gefühl, ein Recht auf bestimmte Versorgung und Würdigung zu haben, ein Abdriften in Fremdenfeindlichkeit und "dishumane Solidarität" in rechten Blasen begünstigen? Warum verlagert sich Hass auf bestimmte Gruppen wie etwa Geflüchtete? Ein angeschlagener Selbstwert beispielsweise kann durch diese Strategie entlastet werden, Dissonanzerleben (Soll und Ist im eigenen Leben klaffen demütigend auseinander) vermutlich reduziert werden. Ein Buch, das für den Wissenschaftsbetrieb geschrieben wurde. Die Forschenden legen insgesamt erhellend dar, welche psychischen Mechanismen zu Ausländerfeindlichkeit führen und worauf sich der Erfolg der AfD gründet. Wer es liest, findet womöglich Impulse für Gespräche.
Übrigens ist der Ferienmodus, also diese Zwischen-Zeit außerhalb des Alltags, vermutlich geradezu ideal, um das Gelesene kreativ zu verdauen. Daher final noch etwas Wissenschaft: Die Inspirations- und Kreativitätsforschung weiß seit Langem, dass unser Geist neue Ideen besonders gut in Phasen des Nichtstuns und des Leerlaufs verarbeiten kann. In solchen Momenten kann unser Gehirn im sogenannten Default-Modus, also dem Ruhemodus, neue Verknüpfungen schaffen, und es stellen sich leichter Aha-Momente ein. Eine Wissenschaftlerin nennt dies Random Episodic Silent Thinking. Manche Psychoanalytiker würden von unbewusstem Denken sprechen: Bestehende Netzwerke labilisieren und lockern sich und werden mit anderen neu verknüpft. Der Effekt: Ungewohnte Ideen stellen sich ein. Darüber hinaus fördert auch die Sinnlichkeit, die bei einem Urlaub durch Licht, Düfte, neue Eindrücke, also die "Poesie der Ferien", intensiv angesprochen wird, Inspiration. Probieren Sie es aus - ich wünsche originelle Ideen aus guter Lektüre.
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