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Hirnforschung Warum ist Gähnen ansteckend?

Warum Gähnen so ansteckend ist
© Colourbox
Sobald die Kollegin im Büro oder der Gegenüber von der U-Bahn zu Gähnen beginnt, folgt binnen kürzester Zeit eine unaufhaltsame Kettenreaktion der Müdigkeit und weit aufgerissenen Mündern. Neurobiologe Henning Beck klärt die Frage, wieso Gähnen so ansteckend ist

Wer in dieser dunklen Jahreszeit morgens auf dem Weg zur Arbeit in S- oder U-Bahn sitzt, kann selbst ein bisschen Hirnforscher spielen und ein interessantes Phänomen untersuchen. Denn wie leicht fangen die müden Gesichter um einen herum zu gähnen an, wenn jemand anderes damit beginnt.

Gähnen ist ansteckend. Als würden wir den Handlungsreiz unserer Umgebung nachahmen, ob wir wollen oder nicht. Das ist ein enorm starkes Imitationsverhalten – denn nicht nur menschliches, auch tierisches Gähnen ist ansteckend. Was passiert da im Gehirn? Sind wir morgens willenlose Handlungszombies, die papageiengleich die Bewegungen unserer Mitmenschen nachahmen?

Kollektives Gähnen geschieht im Sinne der Empathie

Zwei grundlegende Erklärungsmodelle haben sich in den vergangenen Jahren mit dem ansteckenden Gähnen beschäftigt: zum einen die eher sozialbiologisch geprägte Hypothese, der zufolge das Gähnen die Gruppengemeinschaft stärkt. So würden Spiegelneuronen im Hirn bewirken, dass ein Gähnvorgang umso leichter nachgeahmt werde, je genauer man sein Gegenüber kennt und je lieber man es mag. Wer gemeinsam gähnt, hält besser zusammen. Dieser Theorie widerspricht aber, dass wir uns auch vom Gähnen Wildfremder anstecken lassen.

Einige Menschen lassen sich schnell anstecken, andere sind resistent

Ein anderer Ansatz wurde deswegen in einer Studie untersucht, bei der man beobachtete, wie schwer es Probanden fällt, sich vom Gähnen anderer Leute nicht anstecken zu lassen. Die Testteilnehmer betrachteten in Videos intensiv menschliche Gähnvorgänge. Weil ein solches 20-minütiges Video voller Gähnen ziemlich ermüdend ist, sollten die Teilnehmer parallel noch auf Kleinigkeiten achten (zum Beispiel, wie viele gähnende Personen eine Brille trugen), um nicht gänzlich einzuschlafen. Gleichzeitig wurde gezählt, wie oft die Probanden selbst gähnten oder ihr Gähnen unterdrückten. Einige ließen sich leicht vom Gähnen anstecken, andere waren jedoch vergleichsweise resistent dagegen. Vermutlich liegt das daran, dass die Bewegungsareale in unserem Gehirn unterschiedlich leicht eine Handlung auslösen können. Dies untersuchte man, indem man mithilfe einer elektromagnetischen Spule ebenjene Bewegungsregionen im Gehirn von außen stimulierte und anschließend maß, wie stark diese Bewegungsstimulation weitergeleitet wurde. Dabei stellte sich heraus: Je leichter sich die motorische Region im Gehirn aktivieren ließ, desto leichter ließ man sich auch vom Gähnen anstecken.

So wie ein nervöser Cowboy den Finger locker am Abzug hat, könnten auch manche Gehirne leicht ein Handlungsmuster auslösen und Richtung Muskeln schicken. Ein gähnender Mitreisender in der S-Bahn genügt, schon springt das entsprechende Bewegungsprogramm an. In gewisser Weise sind wir also Bewegungspapageien und gähnen gern eine Runde mit – nicht schlimm, solange man die Zähne geputzt hat und die Hand vor den Mund hält.

GEO Nr. 01/2018 - Die wahre Bedeutung der Bibel

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