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Australien: Einsatz für eine bessere Welt

Im Urlaub die Füße hochlegen, gut und schön. Aber immer mehr Menschen geben ihren Ferien einen tieferen Sinn: Sie helfen bei wissenschaftlichen Projekten. Zum Beispiel bei der Erforschung des Koala-Lebens auf der australischen Insel St. Bees. So auch ein GEO-Special-Team

Inhaltsverzeichnis

Der ewig lächelnde Bär

Olivia schläft. Und schläft. Und schläft. Um drei Uhr nachts frisst sie zwei Blätter. Um halb vier kratzt sie sich. Dann rollt sie ihren Körper wieder zu einem Fellbündel. Seit Mitternacht beobachten wir das Koalaweibchen, das in zehn Meter Höhe in der Krone eines Eukalyptusbaumes hockt, den Kopf gegen einen Ast gelehnt, die Augen geschlossen. Alle fünf Minuten leuchten wir es mit einer Rotlichtlampe an und notieren, was es tut. Das ist recht einfach, knapp 100-mal kreuzen wir an: Olivia schläft. Die Augen fallen auch mir zu, Sekundenschlaf, Minutenschlaf, durch den Traumblitze wirbeln. Wieder wach. Der Flügelschlag eines Flughundes. Eine Eule ruft, eine antwortet. "Caroline, bist du wach?" "Ja", wispert die Französin, die neben mir auf dem Waldboden kauert, von Finsternis umhüllt wie von einer Decke. Als es gegen halb fünf heller wird, streckt sich der Koala und lässt ein Bein vom Ast baumeln. Um acht Uhr löst uns das nächste Team ab.

Forschungsaufenthalt auf St. Bees

Nach dem englischen Wort für "freiwillig" sind die Arbeitsferien benannt: Volunteering. Auch im australischen Osten, wo die Freiwilligen das Objekt ihrer Wissbegier sichtlich unbeeindruckt lassen: den Koala
Nach dem englischen Wort für "freiwillig" sind die Arbeitsferien benannt: Volunteering. Auch im australischen Osten, wo die Freiwilligen das Objekt ihrer Wissbegier sichtlich unbeeindruckt lassen: den Koala
© Matthieu Paley

Vor einer Woche sind wir auf St. Bees Island angekommen: ein halbes Dutzend Freizeitforscher, die einen zweiwöchigen Forschungsaufenthalt gebucht haben. Begleitet vom 54-jährigen australischen Koalaforscher Alistair Melzer, organisiert von der internationalen Naturschutzorganisation Earthwatch. 2695 Euro kostet die Teilnahme, dafür hätten wir uns auch eine Luxuskreuzfahrt leisten können. Stattdessen finanzieren wir eine Langzeitbeobachtung der Koalapopulation auf St. Bees - an der wir noch dazu selbst mitarbeiten. Zuvor haben wir in einem achtseitigen Formular angegeben, ob wir in den vergangenen Monaten einen Psychologen aufsuchen mussten, ob wir rauchen und wie lange wir glauben, mit 18 Kilo Gepäck wandern zu können. Ein Urlaub, so wussten wir, würde das nicht. Aber den haben wir schließlich auch nicht gesucht. Obwohl St. Bees alles hätte, was es dazu bräuchte. Die Insel liegt 25 Kilometer vor der Küste Queenslands, im südlichen Teil des Great Barrier Reef Marine Park. Mit Regenwaldtälern, durch deren dichtes Blätterdach kaum ein Sonnenstrahl dringt; mit Bergrücken voller Feigenkakteen, auf denen uns schwarzblaue Schmetterlinge umflattern; mit steilen Bergflanken und schroffen Klippen, leuchtend weißen Stränden und rundherum einem wilden Korallenriff.

Eine sechssitzige Propellermaschine hat uns auf die Nachbarinsel geflogen: zehn Bewohner, die Landebahn ein schmaler Strich neben dem Strand. Von dort ging es per Schiff nach St. Bees. Fünfmal hin und her, bis Menschen, Ausrüstung und Lebensmittel für zwei Wochen am Strand angelandet waren. Auf der Insel begrüßte uns ein Grollen und Grunzen, das aus allen Richtungen zu kommen schien; es waren die Schreie männlicher Koalas. Sie klangen fast, als riefen die Tiere nach uns. Oder auch, als lachten sie uns aus, die wir gekommen waren, um sie aufzuspüren, ihr Verhalten zu studieren. Auf welchen Bäumen sitzt ein Koala tagsüber? Wann frisst er, wann schläft er? Und wie weit wandert er jeden Tag? Diese Fragen trieben uns um. Denn nur wer weiß, wie sich ein Koala verhält, kann adäquate Schutzmaßnahmen für ihn ersinnen.

Der ewig lächelnde Bär

Lange Zeit wurde das Leben der Koalas nicht systematisch erforscht. Man dachte, man wüsste schon alles über diesen ewig lächelnden Bären, der doch kein Bär ist, sondern der Beutelsäuger Phascolarctos cinereus, am nächsten verwandt mit dem Wombat. "Aber Koalas bergen Geheimnisse", schrieb mir Sandy aus Wisconsin kurz vor unserer Reise in einer E-Mail. Warum, zum Beispiel, seien einige Koalas resistenter gegenüber Chlamydien, einer Bakterienfamilie. "Es wird bestimmt toll, das herauszufinden." Sandy ist Ärztin, im normalen Leben erstellt sie Gutachten für Versicherungen. Mit 59 Jahren ist sie die älteste Teilnehmerin und erfüllt sich jetzt, wo sie ihre Arbeitszeit halbiert hat, einen Jugendtraum: Tiere zu schützen.

Koalas sind schwer zu finden. Andererseits: Die Beutelsäuger sind auch dankbares Forschungsobjekt. Hat man einen entdeckt, läuft der in der Regel nicht weg
Koalas sind schwer zu finden. Andererseits: Die Beutelsäuger sind auch dankbares Forschungsobjekt. Hat man einen entdeckt, läuft der in der Regel nicht weg
© Matthieu Paley

Bevor sie nach St. Bees kam, arbeitete Sandy als freiwillige Helferin im Zoo von Brisbane. Nach dieser Reise will sie einen Verein zum Schutz der Berggorillas in Ruanda gründen. Die anderen: Gen, eine Studentin der Filmwissenschaft aus New York, mit 19 Jahren die Jüngste; Alisha, eine amerikanische Biologin, die Schimpansen aus Versuchslaboren betreut; Sally, eine Australierin, angestellt bei einer Beschwerdehotline für Falschparker. Caroline, die für das Earthwatch-Büro in Melbourne arbeitet und häufig selbst an Exkursionen teilnimmt. Und die beiden Französinnen Caroline und Maud, die in Nantes Agrarökonomie studieren und als Praktikantinnen Forschungsleiter Melzer unterstützen. Allesamt Stadtbewohner auf der Suche nach Ursprünglichkeit. Auf einer Suche vielleicht auch nach sich selbst: Gen will das Studienfach wechseln, Biologin Alisha hat gerade gekündigt, und Sally gehen die Nutzer ihrer Hotline längst auf die Nerven.

Freiwillige in allen Ecken der Welt

Dass unsere kleine Gruppe allein aus Frauen besteht, ist kein Zufall. Nach Angaben des Dachverbands "Year Out Group", der die Angebote von 37 Freiwilligen-Organisationen bündelt, werden solche Offerten zu 60 Prozent von Frauen wahrgenommen. Diese scheinen nicht nur engagierter, sondern auch härter im Nehmen zu sein als ihre männlichen Kollegen. Insgesamt registriert Year Out Group eine steigende Anzahl von Menschen, die sich an Freiwilligen-Projekten beteiligen. Ein Trend, der von Earthwatch bestätigt wird. Die Organisation schickte im Jahr 2006 rund 4000 "Volunteers" in alle Ecken der Welt, im Gründungsjahr 1971 waren es ganze 39. Der deutlichste Sprung erfolgte in den vergangenen zwölf Jahren: Da stiegen die Teilnehmerzahlen global um etwa 25, in Europa sogar um über 60 Prozent.

Koalas zu finden kann so kompliziert sein, wie es Alistair Melzer von der Universität Queensland andeutet
Koalas zu finden kann so kompliziert sein, wie es Alistair Melzer von der Universität Queensland andeutet
© Matthieu Paley

Projektleiter Alistair Melzer hat über Koalas promoviert und widmet sein Leben seit 20 Jahren der Erforschung dieser Tiere. Er trägt Khakihemden und -hosen mit einer Selbstverständlichkeit, die ahnen lässt, dass er selten etwas anderes anzieht. Mit seiner Frau wohnt der Ökologe nördlich von Brisbane in einem Holzhaus, auf dem Dach hat er Solarkollektoren installiert, auf dem Grundstück Regenwassertanks aufgestellt. Am ersten Tag unseres Aufenthalts sitzt Melzer auf der Veranda eines von nur drei Häusern auf St. Bees. Vor sich ein Buch über die gefährlichsten Tierarten Australiens. Es geht darin um Regeln auch für uns: Morgens die Schuhe ausschütteln, es könnten sich Giftspinnen oder Skorpione darin befinden. Niemals allein das Camp verlassen. Nach der Bergung eines toten Koalas die Hände desinfizieren. Doch Melzers wichtigste Vorgabe lautet: "Wir wollen jeden Tag 20 Koalas registrieren. Dafür sind wir hier." St. Bees ist der perfekte Ort für Melzers Studie: Die schätzungsweise 300 Koalas auf der Insel leben ohne äußere Einflüsse, keines der 20 mit einem Peilsender ausgerüsteten Tiere kann einfach verschwinden. Außerdem ist die Zahl der Koalas hier seit Jahren konstant, während die Populationen auf anderen Inseln so rasant wachsen, dass die Blattfresser die Bäume zerstören - und damit auch ihre Lebensgrundlage.

Wie lassen sich Koalas in Zeiten des Klimawandels schützen?

Seit über acht Jahren kommt Forscher Melzer regelmäßig nach St. Bees, vier weitere sollen es noch sein. Seine Hoffnung ist es, herauszufinden, wie sich die Koalas in Zeiten des Klimawandels schützen lassen, obwohl viele ihrer natürlichen Lebensräume verschwinden. Vor allem anhaltende Dürreperioden bedrohen ihre Nahrungsgrundlage. Koalas sind nämlich die etwas einfältigen Gourmets unter den Pflanzenfressern; außer den Blättern einiger weniger Eukalyptusarten, die unter der Trockenheit leiden, nehmen sie fast nichts zu sich. Und ihr Gehirn ist so klein, dass sie sich neuen Gegebenheiten schlecht anpassen. Sie würden vor ihren Lieblingsblättern sitzend verhungern, wenn man diese auf den Boden streute. Die Blätter müssen an Zweigen wachsen und diese wiederum an einem Baum, sonst frisst ein Koala sie nicht. Das ist der Grund, weshalb Koalas in Zoos so selten sind und weswegen sie sich seit 25 Millionen Jahren kaum verändert haben. Nur weniger geworden sind sie. "Wo es auf dem Festland früher 40 Koalas pro Quadratkilometer gab, haben wir vor Kurzem nur noch zwei gefunden", erzählt Melzer.

Im Beutel hocken Koalas nur die ersten neun Monate nach der Geburt. Veronica muss für eine halbe Stunde nachsitzen, ihr Peilsender ist defekt und wird nun ausgetauscht
Im Beutel hocken Koalas nur die ersten neun Monate nach der Geburt.
Veronica muss für eine halbe Stunde nachsitzen, ihr Peilsender ist defekt und wird nun ausgetauscht
© Matthieu Paley

Unsere Mission also ist keine unwichtige. Und so kann das Meer am Nachmittag noch so verlockend schillern, wir Hobbyforscher versammeln uns, den Rücken zum Wasser gewandt, um ein ausrangiertes Trampolin, das uns als Tisch dient. Darauf liegen Geräte, die für die Koalasuche benötigt werden: Ferngläser, GPS, Notrufsender für Unfälle, Klemmbretter, Handfunkgeräte und - unverzichtbar - der Funkempfänger mit etwas, das aussieht wie eine Zimmerantenne aus Zeiten des Schwarzweißfernsehens. Diese Antenne in die Luft haltend, den Blick auf die Anzeige des Empfangsgerätes gerichtet, sehen wir aus, als wollten wir mit außerirdischen Lebewesen Kontakt aufnehmen. Und ein bisschen ist das ja auch so.

Der Ruf der Koalas

Melzer wird uns fortan täglich neu in zwei Dreiergruppen einteilen, "damit jede von euch die Chance hat, jede andere gleichmäßig hassen zu lernen". An diesem ersten Tag schreitet Melzer mit der Antenne noch selbst voran; wie der Anführer einer UFO-Sekte, auf dem Kopf einen Strohhut, von dem nicht mehr als der breite Rand übrig ist. Den Rest hat Melzer abgerissen, zur besseren Durchlüftung. Leichtfüßig klettert er die Berge hinauf, während wir mit den tastenden Schritten von Stadtbewohnern durch die Wildnis stapfen. Nach einer Weile übergibt der Forscher das Peilgerät an Versicherungsärztin Sandy. Sie stellt die Frequenz für den Koala Natascha ein und lotst uns kreuz und quer durch das Unterholz. Vorsichtig tauchen wir unter fein gesponnenen Netzen hindurch, in deren Mitte dicke Spinnen mit orangefarbenen Beinen hocken. Wir ignorieren anderthalb Meter lange Warane, die sich bedrohlich vor uns aufplustern, straucheln über Steine, rutschen Hänge hinunter, nur um sie gleich wieder hinaufzuklettern. Schließlich irren wir durch einen Mangrovenhain - bis die Nadel des Peilgerätes doch noch ausschlägt. Sandy dreht die Antenne so nervös in alle Richtungen, dass es aussieht, als verquirle sie heiße Luft.

Rundes Gesicht, große, keilförmige Nase und Knopfaugen

Inventur nach 14 Tagen. 53 Koalas wurden registriert, die untersuchten waren zwischen 1,03 und 9,75 Kilogramm schwer. Bilanz auf Menschenseite: ein lädierter Arm
Inventur nach 14 Tagen. 53 Koalas wurden registriert, die untersuchten waren zwischen 1,03 und 9,75 Kilogramm schwer. Bilanz auf Menschenseite: ein lädierter Arm
© Matthieu Paley

Wenig später stolpern wir fast über unseren ersten Koala. Natascha, besser gesagt: das, was von ihr übrig geblieben ist. "Exzellente Arbeit", lobt Melzer, "ein toter Koala, am Boden liegend, ist am schwersten zu finden." Dann kniet er sich neben den Kadaver, schneidet Fell und Sehnen von den Knochen des Tieres und sammelt alles in einem Plastikbeutel, damit später in einem Labor die DNS analysiert werden kann. Sandy hockt sich dazu und packt beherzt mit an. Natascha ist schnell zerlegt. Kurz vor Sonnenuntergang finden wir Freedom. Sie sitzt in der Astgabel eines Eukalyptusbaumes und scheint uns mit ihren Knopfaugen zuzuzwinkern. Mit ihrem runden Gesicht und ihrer großen, keilförmigen Nase sieht das Koalaweibchen aus, als würde es lachen: ein silbergrauer Teddybär mit dem Umfang einer gut genährten Hauskatze, der reflexartig Streichelgelüste bei seinen Betrachterinnen auslöst. Was wiederum die Geschlechterzusammensetzung in unserer Gruppe erklärt, das Fehlen männlicher Hobbyforscher. Die Tierchen sind eben "süß, wenn auch ein bisschen langweilig", wie Caroline, die Französin, am dritten Tag feststellt.

Wann immer wir einen Koala finden, absichtlich oder zufällig, notieren wir Ort, Uhrzeit, die Baumspezies, auf der er sitzt, und vermessen die benachbarten Pflanzen, damit die Forscher später ein Profil der Umgebung erstellen können. Auch die Aktivität des Tieres vermerken wir. Was allerdings nicht nur nachts einfach ist: Koalas verschlafen rund 20 von 24 Stunden; daher kommen sie mit einem knappen halben Kilogramm Eukalyptusblättern aus. Einer Nahrung, die wenig energiereich und für die meisten Lebewesen giftig ist. Koalas schaffen es, sie zu entgiften - das aber kostet sie einen Teil der gewonnenen Energie. "Kaut selbst ein Blatt, damit ihr wisst, wie es den Koalas geht", ermuntert uns Melzer. Machen wir: Eukalyptus ist bitter, fasrig, und sofort trocknet der Mund aus.

Der Ruf der Koalas

Wir probieren während unserer Inseltage auch grüne Ameisen, Kaktusfrüchte und die exquisiteste Speise, die hier von der Natur geboten wird: Austern. Nach der Arbeit eilen wir hinaus in die trockengefallene Bucht, um sie dort aufzuschlagen und vor Ort zu schlürfen. Am Abend, sobald die Sonne untergegangen ist, versammeln wir uns stets an einem langen Tisch und proben den Ruf des Koalas. Erst ein lang gezogenes, kehliges Schnarchen, dann ein scharfes, abruptes Ausatmen. Und weil sich daraufhin nie ein Koala blicken lässt, erzählen wir uns von den Erlebnissen des Tages: von jenem Wallaby, das den Komposteimer hinter dem Haus geleert hat. Von dem Skorpion, der unter einer Reisetasche saß. Von Sally, die vergessen hat, einen Ausleger der Antenne anzuschrauben, und so ihre Gruppe eine Stunde in die falsche Richtung führte. Das sind die Themen, um die unsere Gespräche kreisen. St. Bees, unser Mikrokosmos für zwei Wochen, ist wie von einem Schutzschild gegen die Außenwelt umgeben.

Reisen für das gute Gewissen

Mit jedem Tag gehen wir routinierter ans Werk, steigt die Zahl der gefundenen Koalas pro Team, lernen wir ihre Eigenarten besser kennen und glauben allmählich, was Melzer am Anfang gesagt hat: dass jeder Koala eine Persönlichkeit besitzt. Vor allem aber wissen wir bald alles über die Eigenarten eines Koalaforschers und seiner Helferinnen. Wir können vorhersagen, dass Melzer um halb sechs den ersten Tee des Tages trinkt. Dass Sandy beim Frühstücken am lautesten klappert. Unser Rhythmus ist so gleichmäßig wie Ebbe und Flut, es herrscht Ferienlageratmosphäre: Lagerfeuer, Doppelstockbetten, Küchendienst. Mit dem Unterschied, dass niemand versucht, sich vor der Arbeit zu drücken. Im Gegenteil: An unserem freien Tag rutscht Sandy auf Knien durchs Haus, wischt die Böden und stellt unmissverständlich klar: "Heute habe ich Küchendienst!"

Süchtig nach den magischen Momenten

Auch Caroline aus Melbourne, die am dritten Tag per Helikopter evakuiert werden muss, nachdem ein morscher Ast samt Forschungsleiter auf sie gekracht ist, will nach 36 Stunden im Krankenhaus wieder auf die Insel. Mit einer grünen Bandage am linken Arm, angebrochenem Handknochen, Bänderriss, Sehnenzerrung. "Wegen solcher Kleinigkeiten fliege ich doch nicht nach Hause", sagt sie und geht wieder mit auf Koalasuche. Bald schon sind wir süchtig nach den magischen Momenten, die alle Anstrengungen wettmachen. Wie jenem, in dem Koala Tea von seinem Baum herabklettert, auf Augenhöhe mit der Französin Caroline anhält, keinen Meter von ihrem Gesicht entfernt. Eine unendliche Minute lang starrt er sie an, dann macht er sich davon. Und die Französin behauptet erschüttert: "Der Koala hat mir in die Seele geblickt."

Wie merkwürdig ist es da, am Ende unserer Zeit auf der Insel tatsächlich noch einen Koala im Arm zu halten: Um dem Koalaweibchen Veronica einen defekten Peilsender abzunehmen, haben wir es eingefangen und in einen Jutesack gesteckt. In der Zwischenzeit halte ich das Junge, ein federleichtes Fellbündel mit winzigen Krallen, die es in meine Schultern gräbt. Schwer zu sagen, wer mehr zittert, der kleine Koala oder ich. Und wie eigenartig, hinterher kaum ausdrücken zu können, wie sich sein Fell angefühlt hat: seltsam hart. Am letzten Abend auf der Insel präsentiert Melzer die Bilanz unserer Forschung auf seinem Laptop. Wir haben 53 Koalas gesehen, von denen 15 mit Peilsendern ausgestattet sind, haben drei Koalaskelette aufgesammelt, 116 Beobachtungsformulare ausgefüllt, 243 Bäume vermessen. Wie lange es nun dauert, die Ergebnisse auszuwerten? Melzer lacht: "Mindestens drei Jahre." Für den Forscher fängt die Arbeit an. Für uns geht etwas zu Ende, das ich länger als jeden Urlaub im Gedächtnis behalten werde.

Reisen für das gute Gewissen

Earthwatch Institute: Die wohl bekannteste Freiwilligen-Organisation für Tier- und Naturschutz wurde 1971 gegründet. Mit derzeit 140 Projekten ist Earthwatch in mehr als 50 Ländern vertreten. Die Idee: Wissenschaftler bewerben sich bei der unabhängigen Organisation, die Forschungsvorhaben auswählt und fördert. Lehrer und Studenten bewerben sich ebenfalls, um kostenlos an den Expeditionen teilnehmen zu können. Zahlende Freiwillige schließlich finanzieren die Projekte durch ihre Teilnahmegebühr, die bei den meist 14-tägigen Einsätzen zwischen 1100 und 3800 Euro (plus Kosten für die Anreise) liegt.

Earthwatch Institute Europe Oxford, Tel. 0044-1865/31 88 20, www.earthwatch.org/europe. Auf ihrer Internetseite informiert die Organisation über alle geplanten Forschungsvorhaben - inklusive Tagesabläufen und Packlisten. 2008 stehen zehn neue Expeditionen an, die so unterschiedliche Ziele wie Ecuador oder die Pribilof-Inseln vor Alaska ansteuern. Interessenten sollten sich rechtzeitig anmelden, da beliebte Einsätze oft schon ein Jahr im Voraus ausgebucht sind. Freiwillige, die in ihrem Urlaub die Welt ein bisschen besser machen wollen, sind zwischen 16 und, nach Angaben von Earthwatch, "weit über 80 Jahre" alt. Spezielle Vorkenntnisse außer einer Grundsicherheit in englischer Sprache werden nicht erwartet. Die tägliche Arbeitszeit beträgt etwa acht Stunden; teilweise wird auch sehr früh morgens oder in der Nacht gearbeitet. Ein oder zwei freie Tage während des Aufenthalts sind eingeplant.

Weitere Veranstalter: Umweltbewusstsein liegt im Trend, was auch die Nachfrage nach den sogenannten Volunteering-Angeboten steigen lässt - und unseriöse Anbieter auf den Plan ruft. Seriöse Anbieter erkennen Sie daran, dass der überwiegende Teil des Reisepreises tatsächlich dem Projekt zugutekommt. Dies ist zum Beispiel der Fall bei:

Bergwaldprojekt Würzburg, Tel. 0931/ 452 62 61, info@bergwaldprojekt.de, www.bergwaldprojekt.de. Meist einwöchige Waldarbeit unter Anleitung eines Försters, zum Beispiel im Harz, am Schliersee oder auf Amrum; auch in Österreich und der Schweiz. Die Teilnahme ist kostenlos, Spenden sind erwünscht.

Biosphere Expeditions Pliezhausen, Tel. 07127/98 02 42, deutschland@biosphereexpeditions.org, www.biosphere-expeditions.org. 14-tägige Einsätze bei Forschungsprojekten, zum Beispiel Schneeleopardenbeobachten im Altai. Ab 1790 Euro (plus Anreise), zwei Drittel des Betrages gehen direkt an das Projekt.

Coral Cay Conservation London, Tel. 0044-20/76 20 14 11, info@coralcay.org, www.coralcay.org. Gemeinnützige Organisation, deren Schwerpunkt auf dem Schutz von Korallenriffen liegt. Ein- bis zwölfwöchige Taucheinsätze, zum Beispiel bei einem Korallenschutzprojekt auf den Philippinen (Kosten pro Woche 520 bis 660 Euro).

Ethical Volunteering, Tel. 0044-77/20 46 17 16, info@ethicalvolunteering.org, www.ethicalvolunteering.org. Seit 1998 untersucht und bewertet die Engländerin Kate Simpson Programme, mit denen Freiwillige in Entwicklungsländer reisen können. Ihr "ethical volunteering guide" hilft Interessenten bei der Auswahl seriöser und passender Angebote.

Frontier London, Tel. 0044-20/76 13 24 22, info@frontier.ac.uk, www.frontier.ac.uk. Die 1989 gegründete Organisation entsendet Freiwillige in mehrwöchige Naturschutzeinsätze rund um die Welt. Beispiel: ein Orang-Utan-Schutzprojekt in Indonesien (sieben Wochen, Kosten: etwa 3000 Euro, Flug exklusive).

Year Out Group: Dachorganisation, deren Internetseite www.yearoutgroup.org einen hervorragenden Überblick über Freiwilligen-Einsätze weltweit bietet.

GEO SPECIAL Nr. 01/2008 - Die großen Abenteuerreisen

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