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Northern Territory Weitab von allem

Darwin ist Australiens nördlichste Stadt, und es ist auch die ungewöhnlichste. In direkter Nachbarschaft zeigt sich der rote Kontinent von seiner wildesten Seite, Frank Stern über Krokodile und das Outback
Northern Territory: Der Kakadu-Nationalpark ist halb so groß wie die Schweiz und zählt zu den artenreichsten Nationalparks im Northern Territory
Der Kakadu-Nationalpark ist halb so groß wie die Schweiz und zählt zu den artenreichsten Nationalparks im Northern Territory
© Felix Hug/Lonely Planet Images/Getty Images

Abgelegen wäre untertrieben. Darwin taucht auf, wenn man schon nicht mehr damit rechnet, und das an einem Ort, der nicht für Menschen gemacht scheint. Im Norden ein Meer, das alles bereithält, was die Natur an Gemeinheiten in petto hat, im Süden das Outback. Endlos, gnadenlos, glühend heiß. Bis Alice Springs, der nächst größeren Stadt im staubigen Nichts, sind es knapp 1.500 Kilometer. Kein Wunder, dass im Northern Territory, das viermal so groß ist wie Deutschland, nur 250.000 Menschen leben.

Wer nach Darwin kommt, sollte sich zunächst im Museum and Art Gallery of the Northern Territory anschauen, womit er es unter der tropischen Sonne zu tun bekommt. So manchem dürfte die Stadt anschließend wie ein wackliger Vorposten der Zivilisation erscheinen, belagert von Spinnen, Schlangen und Kröten, die alle imstande sind, dem fröhlichen Wanderer ein überraschend qualvolles Ende zu bereiten. Würfelquallen, Blauringkraken und Kegelschnecken runden das Schreckenszenario von Seeseite her ab. Und nicht zu vergessen das Salzwasserkrokodil, das dem Naturfreund, seinem Namen zum Trotz, auch in Flüssen und Teichen auflauert.

"Jedes Jahr gibt es hier vier bis fünf Krokodilangriffe", berichtet Charlie Manolis, Chef des Crocodylus Parks unweit von Darwin. "Ein bis zwei davon enden tödlich." So wie im Juni, als ein knapp fünf Meter langes Tier einen Angler im Kakadu Nationalpark aus seinem Boot fischte. "Wenn man von einem über vier Meter langen Exemplar attackiert wird, kann man sich verabschieden", stellt Manolis nüchtern fest. Quasi als Ausgleich kann man im Crocodylus Park Croc-Burger und Croc-Steaks ordern. Für einen Krokodilzoo ein interessanter Ansatz.

Northern Territory: Charlie Manolis ist Chef des Crocodylus Parks und weiß um die Gefahr, die von seinen Schützlingen ausgeht
Charlie Manolis ist Chef des Crocodylus Parks und weiß um die Gefahr, die von seinen Schützlingen ausgeht
© Frank Stern

Laut Statistik sind es vor allem junge Männer zwischen 18 und 35, die Opfer von Krokodilangriffen werden. Immer, wenn ein Krokodil wieder mal die Oberhand gewonnen hat, machen die Northern Territory News groß damit auf. Ansonsten gibt es wenig Aufregendes zu berichten. Neulich schaffte es eine Ente auf die Titelseite, die jemand in eine Plastiktüte gestopft und an der Straße abgelegt hatte. "Lucky Duck" wurde gerettet – Darwin atmete auf. Kaum zu glauben, dass dieses aufgeräumte Städtchen die australische Kriminalitätsstatistik anführt. Die Polizei hat in den Straßen Dutzende Kameras in Stellung gebracht, um die Einwohner bei Bedarf schnell zur Raison bringen zu können. Seit 2010 dürfen in den Pubs während der Happy Hour maximal vier Drinks serviert werden, Bier gibt es nur in Plastikbechern oder in Gläsern, die beim Zuschlagen nicht splittern, und nach ein Uhr in der Früh wird kein Schnaps mehr ausgeschenkt. Es ist ein raues Land.

Etliche Male in seiner Geschichte wurde Darwin fast ausgelöscht. Wie im Februar 1942, als japanische Bomber die Stadt angriffen. Oder zu Weihnachten 1974, als Zyklon Tracy über den Ort herfiel. Pfarrer Ted Collins hatte in jener Nacht den Nerv, ein Band mitlaufen zu lassen. Man kann sich im Museum anhören, wie Tracy über ihn hinwegdonnerte. Haarsträubend! Doch Darwins Einwohner bauten das Tor zur Wildnis wieder auf. Im vergangenen Jahr lockte Australiens Top End 225.000 Touristen aus Übersee an, die die Wahl zwischen 90 Nationalparks und Reservaten von zum Teil enormen Ausmaßen hatten. Allein der Kakadu-Nationalpark ist halb so groß wie die Schweiz. Eine Schweiz im Naturzustand – ungezähmt und potenziell tödlich.

Northern Territory: Agil und stark: Brutus ist mit seinen 80 Jahren noch immer der Star unter den "Jumping Crocs" im Adelaide River
Agil und stark: Brutus ist mit seinen 80 Jahren noch immer der Star unter den "Jumping Crocs" im Adelaide River
© Frank Stern

Im Adelaide River würde man gefressen, bevor man ertrinkt. In dem Fluss wimmelt es von Krokodilen, die keine Sekunde zögern würden, einen Touristen samt Kamera zu verschlingen, die sich aber auch nicht zu schade sind, für ein paar Fleischbrocken meterhohe Sprünge zu vollführen. Harry und Morgan Bowman haben mit ihren "Adelaide River Cruises" ein Geschäft daraus gemacht. "Keine Sorge", beruhigt Bootsführer Morgan seine Gäste, "bei uns ist noch nie etwas passiert." Ein Schild weist die Neuankömmlinge darauf hin, dass sie die Tour auf eigene Gefahr antreten. Brutus ist der Star unter den "Jumping Crocs". Das 80 Jahre alte Krokodil springt nicht mehr so hoch wie seine jüngeren Artgenossen, aber als es sich gegen die Bordwand wirft und nach dem Fleischhappen schnappt, den ihm Morgan hinhält, drücken einige Passagiere doch etwas nervös den Rücken durch.

Schätzungen gehen davon aus, dass in Australiens Nordregion rund 90.000 Krokodile in freier Wildbahn leben. Anfang der 70er Jahre waren die Urzeitmonster fast ausgerottet. Seine Renaissance verdankt Crocodylus porosus dem 1971 verfügten Abschussverbot und der seit den 80er Jahren erlaubten Krokodilzucht. 150.000 Farmtiere sehen derzeit einer Zukunft als Ledertasche oder Rückensteak entgegen. "Eine Art überlebt dann, wenn sie für die Menschen einen Wert hat", erläutert Charlie Manolis, der das robuste Konzept in Australiens Nordland mit umgesetzt hat – mit dem Segen der Weltnaturschutzunion IUCN und gegen den Widerstand von Tierschutzorganisationen. "Es gibt Leute, die würden eine Art eher aussterben lassen, als sie nachhaltig zu nutzen", sagt der Zoologe.

Die Rückfahrt nach Darwin führt über den Stuart Highway, benannt nach John McDouall Stuart, dem es 1862 als Erstem gelang, den Kontinent von Süden nach Norden zu durchqueren. 1845 hatte sich bereits der Deutsche Ludwig Leichhardt von Queensland aus bis in die Nähe des heutigen Darwin durchgeschlagen. Auf dem Treck wurde einer seiner Begleiter von Aborigines getötet, zwei andere wurden von Speeren verletzt. Was den Brandenburger nicht davon abhielt, schon 1846 erneut aufzubrechen – diesmal, um den Kontinent von Ost nach West zu durchmessen. Die erste Expedition 1846 scheiterte. Beim zweiten Versuch 1848 verschwanden Leichhardt und seine Männer irgendwo im Outback. Weitab von allem. Man hat nie wieder etwas von ihnen gehört.

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