Anzeige

Lautes Liebesspiel Seltenes Naturspektakel: Milliarden Zikaden kriechen in den USA aus dem Boden

Eine Siebzehnjahr-Zikade Mitte Mai in der Stadt Bloomington im US-Bundesstaat Indiana
Mitte Mai begann die Invasion der Siebzehnjahr-Zikaden in den USA, wie hier am 14. Mai in der Stadt Bloomington im US-Bundesstaat Indiana
© IMAGO / ZUMA Wire
Es ist wieder soweit: In Scharen erobern Zikaden den Osten der USA. Alle siebzehn Jahre krabbeln Milliarden der kleinen Insekten an die Erdoberfläche. Während das Naturphänomen unter Entomologen für Begeisterung sorgt, freuen sich andere ganz und gar nicht darüber

Was an eine biblische Plage erinnert und bei vielen für ein leichtes Schaudern sorgen dürfte, ist eigentlich ein harmloses Naturspektakel: Alle 17 Jahre schlüpfen im Osten der USA Milliarden von Zikaden der Art Magicicada septendecim (Siebzehnjahr-Zikade). In diesem Frühjahr ist es wieder soweit.

Wenn die Temperatur im Boden etwa 18 Grad Celsius erreicht hat, kriechen die Insekten aus ihren Quartieren in der Erde, in die sie sich als Nymphen - ähnlich der Larven bei anderen Insekten - vor 17 Jahren eingegraben und sich dort jahrelang von Baumharz und Pflanzensaft ernährt haben.

"Sie klettern auf das erste, was sie finden können und häuten sich dort zu einem Erwachsenen mit weichem, weißem, geflügeltem Körper", erklären die Insektenforscher der Universität des US-Bundesstaats Maryland. "Es dauert etwa vier bis sechs Tage, bis ihr Außenskelett ausgehärtet ist. Dann fliegen sie in die Baumkronen, um sich zu paaren."

Der Lärmpegel der Zikaden kann bis zu 90 Dezibel erreichen

In diesem Jahr sind 15 US-Bundesstaaten betroffen, doch die amerikanische Hauptstadt Washington ist das Zentrum der Zikaden-Invasion. Auf der Rasenfläche vor dem Weißen Haus tummeln sich inzwischen Tausende der Insekten. Auch auf den Bürgersteigen und an Gartenzäunen, in Bäumen und Büschen lassen sich die Tiere nieder. Berechnungen zufolge sollen im Durchschnitt auf einer Fläche von etwas mehr als einem halben Fußballfeld rund eineinhalb Millionen Zikaden vorkommen.

Zikaden sitzen an einem Holzzaun
Siebzehnjahr-Zikaden, wissenschaftlich Magicicada septendecim, bevölkern einen Gartenzaun im Osten der USA
© IMAGO / Nature Picture Library

Die Zikaden der sogenannten Brut X (römisch: zehn) - die verschiedenen Populationen werden mit römischen Ziffern durchnummeriert - sind für ihre Lautstärke berüchtigt. In den Bäumen zirpen die männlichen Insekten mit ihrer vibrierenden Membran bei dem Versuch um die Wette, die Weibchen anzulocken. Dabei kann der Lärmpegel 90 Dezibel und mehr erreichen - vergleichbar mit der Lautstärke eines Benzin-Rasenmähers. Hartnäckig hält sich darum auch das Gerücht, Zikaden-Weibchen würden zuweilen durch das Geräusch eines Rasenmähers angelockt, da sie diesen mit einem Zikaden-Männchen verwechselten.

Zwei bis drei Wochen lang werden die Insekten das Leben unter freiem Himmel im Osten der USA beeinträchtigen. Jeder Aufenthalt im Garten, jedes Fest im Freien ist betroffen. Doch nicht nur das laute Zirpen beeinträchtigt die Einwohner Washingtons und der umliegenden Bundesstaaten. Manchmal landen die großen Insekten auch auf Menschen, was bei diesen meist zu wenig Begeisterung führen dürfte. Außerdem gilt es, sich vor dem Zikadenregen, den Sekreten der Insekten, in Acht zu nehmen. In den Zweigen der Bäume sitzend, lassen die Insekten zwischendurch gerne überschüssige Flüssigkeit ab.

Während das massenhaften Auftreten der Zikaden bei vielen Amerikanerinnen und Amerikanern daher für wenig Euphorie sorgen dürfte, ist es für Tiere wie Vögel, Mäuse und Eichhörnchen ein Grund zur Freude. Für sie sind die proteinhaltigen Zikaden ein Festmahl. Auch viele Hundearten sagen zu einem Zikaden-Snack nicht Nein.

Der Insektenforscher Michael Raupp von der Universität Maryland ist ebenfalls hellauf begeistert. Er sagt über das Spektakel: "Es geht um Romantik. Es sind nur die Männchen, die singen, und die sind sexbesessen. Das ist es, worum sich alles bei dieser großen Boy-Band oben in den Bäumen dreht - sie singen sich das Herz aus dem Leib, um diesen speziellen Jemand davon zu überzeugen, dass sie diejenige ist, die die Mutter ihrer Nymphen sein sollte."

Nymphen-Exoskelette von Zikaden der Brut X, die vermehrt im Osten der USA alle 17 Jahre auftreten
Die Zikaden der Brut X, deren Nymphen-Exoskelette hier an einem Blatt zu sehen sind, sorgen alle 17 Jahre im Osten der USA für Aufregung
© Gerry Bishop - Shutterstock

Waren die Mitglieder der Boy-Band erfolgreich und sind die weiblichen Zikaden befruchtet, legen die Weibchen ihre Eier - bis zu 600 Stück - in junge Baumzweige, die sie vorher aufgeschlitzt haben. Dann ist das größte Spektakel vorbei und es kehrt Ruhe ein. Denn das Leben oberhalb der Erdoberfläche ist für die Insekten nur ein kurzer Spaß: Bald nach der Befruchtung und der Eiablage sterben die erwachsenen Zikaden.

Nach einigen Wochen schlüpfen die Nymphen aus den Eiern am Baumzweig und graben sich ihrerseits wieder in den Boden ein. Dort bleiben sie wieder 17 Jahre lang und ernähren sich von den Säften der Baumwurzeln, bevor sie erneut an die Oberfläche kommen und das Spektakel von Neuem beginnt.

Rätselhafter Primzahl-Zyklus

Weshalb es auf die Woche genau immer 17-Jahres-Zyklen sind, in denen die Zikaden an die Oberfläche treten, haben Entomologen bis heute nicht zweifelsfrei klären können. Klar ist aber, dass der lange Zeitraum es ihren natürlichen Feinden erschwert, sich auf den Zyklus der Insekten einzustellen. Das steigert Wissenschaftlern zufolge die Überlebenschancen der Zikaden.

Auch ist die Gefahr, auf Fressfeinde zu stoßen, alle 17 Jahre geringer, da es weniger Überschneidungen mit Fressfeinden gibt, die sich im Rythmus von zwei, vier oder sechs Jahren vermehren. Das Massenschlüpfen der Insekten tue sein Übriges, um das Überleben ihrer Art zu sichern, da es schlicht nie genug Fressfeinde gibt, um alle Zikaden auf einmal zu erledigen.

mit dpa

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel