Anzeige

Ökologie Immer weniger Insekten: Wildblumen bestäuben sich jetzt einfach selbst

Die Blüten von Acker-Stiefmütterchen sind in den vergangenen Jahrzehnten kleiner geworden. Weil es immer weniger Insekten gibt
Die Blüten von Acker-Stiefmütterchen sind in den vergangenen Jahrzehnten kleiner geworden. Weil es immer weniger Insekten gibt
© tom / Adobe Stock
Wozu auffallende, nektarreiche Blüten bilden, wenn eh keiner guckt? Acker-Stiefmütterchen gehen laut einer aktuellen Studie dazu über, sich selbst zu bestäuben. Das könnte den Insektenschwund sogar noch beschleunigen

Schöne Blüten sind, evolutionär gesehen, nicht dazu da, von Menschen bewundert zu werden. Sie sollen Insekten gefallen – zu einem gegenseitigen Nutzen: Bienen und andere Insekten erhalten energiereichen Pollen und Nektar, und die Pflanze profitiert davon, dass das Insekt ihre Pollen von Blüte zu Blüte weiterträgt. Rund 80 Prozent aller Pflanzen, so schätzten Forschende, sind für ihre Fortpflanzung auf bestäubende Insekten angewiesen. Aber was, wenn Insekten immer weniger werden?

Dann verlassen sich manche Blütenpflanzen weniger auf die Bestäubung durch Insekten – und gehen dazu über, sich selbst zu bestäuben. Das konnte nun ein französisches Forschungsteam am Beispiel des Acker-Stiefmütterchens (Viola arvensis) zeigen.

In der Umgebung von Paris untersuchten die Wissenschaftler*innen vier verschiedene Populationen von Stiefmütterchen in landwirtschaftlich geprägten Landstrichen. Zugleich kultivierten sie zwischen 20 und 30 Jahre alte Samen von Stiefmütterchen aus denselben Regionen. Der Vergleich der wild wachsenden und der kultivierten Pflanzen – in der Forschung ist das Verfahren als "Auferstehungs-Ökologie" bekannt – zeigte kaum Unterschiede – außer bei der Blüte. So waren die Blüten der heutigen Stiefmütterchen im Schnitt um zehn Prozent kleiner und boten 20 Prozent weniger Nektar als die der älteren Pflanzengeneration. Zudem wurden sie weniger von Insekten angeflogen.

Die im Fachjournal New Phytologist veröffentlichte Studie zeige, so die Autor*innen, wie schnell Pflanzen sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Und sie bestätigt Forschungsergebnisse aus dem vergangenen Jahr, denen zufolge die Zahl der Acker-Stiefmütterchen, die auf Selbstbestäubung "umsteigen", in den letzten zwei Jahrzehnten um ein Viertel zugenommen hat.

Pflanzen sparen Energie, wenn sie weniger Nektar bilden. Doch der fehlt den Insekten

Der Strategiewechsel birgt allerdings auch erhebliche Risiken. Denn zum einen könnte die Selbstbestäubung die Fähigkeit der Pflanzen schwächen, sich an zukünftige Umweltveränderungen anzupassen, weil evolutionäre Mechanismen wie die natürliche Auslese außer Kraft gesetzt werden. Zum anderen könnte das verringerte Nahrungsangebot für Insekten den Insektenschwund weiter verstärken.

Pflanzen und ihre Bestäuber haben sich im Verlauf von Dutzenden von Jahrmillionen aufeinander eingespielt. Die Anpassung der Blütenpflanzen an eine insektenarme Welt würde somit eine ohnehin dramatische Entwicklung beschleunigen. Und hätte weitere negative Kaskadeneffekte: Viele Vogelarten sind auf Insekten als Nahrungsgrundlage angewiesen.

Dass die Zahl der Insekten zurückgeht – als Gründe werden die intensive Landwirtschaft, das Verschwinden ungenutzter Flächen, die Düngung und der Einsatz von Pestiziden genannt – ist seit langem bekannt. Im Jahr 2017 hatten Krefelder Insektenkundler mit einer aufsehenerregenden Studie gezeigt, dass die Insekten-Biomasse selbst in Schutzgebieten seit 1989 um mehr als 75 Prozent zurückgegangen war. Der Befund hat nicht nur für Deutschland repräsentativen Charakter: Die Anzahl der Insekten-Spezies und der -Biomasse ist weltweit rückläufig.

Ebenfalls schon länger bekannt ist, dass Pflanzen innerhalb erstaunlich kurzer Zeitspannen auf veränderte Umweltbedingungen reagieren können. So hat etwa ein vor 200 Jahren nach Costa Rica eingeschleppter Fingerhut die Form seiner Blüten an die Schnäbel von Kolibris angepasst.

Die Ergebnisse der Studie, so heißt es in einer Mitteilung des Französischen Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung, "unterstreichen, wie wichtig es ist, so schnell wie möglich Maßnahmen zu ergreifen, um diesem Phänomen entgegenzuwirken und so die seit Millionen von Jahren bestehenden Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Bestäubern zu erhalten."

 

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel