GEO: Herr Dr. Rösch, Sie erforschen die Geschichte der Schule. Historische Schulzeit klingt nach unbeherrschten Lehrern, die Kinder nach Gutdünken schlagen. Klischee oder Wahrheit?
Dr. Mathias Rösch: Mehr Klischee als Wahrheit. Natürlich kennt die Schulforschung sadistische Lehrer, die Schüler blutig geschlagen und massiv gedemütigt haben. Das sind allerdings Einzelfälle. Gleichwohl waren die meisten Lehrer bis Mitte des 20. Jahrhunderts bereit, im "Ernstfall" sofort zuzuschlagen.
Im Ernstfall heißt: Wenn die Klasse gemacht hat, was sie wollte?
Im weitesten Sinne. Bereits im späten 19. Jahrhundert stellten Handbücher Lehrern ein ganzes Sammelsurium an Maßnahmen zur Seite, um die eigene Autorität durchzusetzen. Die Ratschläge reichten von: strenger Blick, den Schüler direkt ansprechen, auf seinen Tisch klopfen, am Ohr ziehen, mit dem Rohrstock auf die Finger hauen, auf den Hintern schlagen bis dahin, ihn in einen, manchmal auch verdunkelten Raum zu sperren, den Karzer.
Dann standen den Lehrern doch aber martialische Mittel zur Verfügung.
Schon, aber diese Mittel haben die meisten eben nicht exzessiv eingesetzt. Wir müssen uns klarmachen: Im 19. Jahrhundert gingen die meisten Schüler bis zur siebten Klasse auf Volksschulen. 60, manchmal 90 Kinder und Jugendliche saßen in solchen Klassen. Mädchen und Jungen wurden zumeist gemeinsam unterrichtet. Für einen Lehrer war es lohnender, statt permanenter Prügel den Unterricht klug zu organisieren – er musste ja mit seinem Unterrichtsstoff vorankommen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts betonten auch die Lehrerhandbücher zunehmend, dass maßvolle körperliche Zucht sinnvoller sei als wahlloses Prügeln oder Rumschreien.
Warum griffen die Lehrer überhaupt auf körperliche Gewalt zurück?