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Geschmackssinn Verblüffende Ursachen: Warum Flugzeugessen so fad schmeckt

Essen auf einem Tablett im Flugzeug
Da kann das Menü noch so liebevoll angerichtet sein: Im Flugzeug lassen Lärm, niedriger Luftdruck und geringe Luftfeuchtigkeit unsere Sinne abstumpfen
© Ashley Cooper / Getty Images
Geschmacksarm und lasch, das ist das Image der Bordmenüs. Dabei scheuen Airlines keine Mühe, ein leckeres Mahl auf den Klapptisch zu zaubern. Aber warum will es in luftiger Höhe oft nicht schmecken? Forschende gingen der Frage nach – und machten erstaunliche Entdeckungen
von Chris Löwer

Sonor brummen die Triebwerke und erzeugen ein gleichmäßiges Hintergrunddröhnen. Endlich serviert das Kabinenpersonal die ersehnte warme Mahlzeit. Doch was sich da unter Alufolie verbirgt, will trotz Hunger nicht schmecken. Schade – aber ist es nicht immer so an Bord?

Flugzeugessen gilt als besonders fad. Es liegt nahe, den Herstellungsprozess der an Bord meist wieder aufgewärmten Fertiggerichte dafür verantwortlich zu machen. Doch wie Wissenschaftler herausfanden, hat das enttäuschende Geschmackserlebnis häufig nichts mit den Kochkünsten des Herstellers oder der Frische der Zutaten zu tun. Es gibt vielmehr andere, überraschende Einflüsse, die uns in luftigen Höhen den Genuss vermiesen.

Lärm verdirbt den Appetit

Eine großer Geschmackskiller ist offenbar die laute Umgebung: Bei einem Versuch der US-amerikanischen Cornell University wurden 48 weibliche und männliche Testesser einer 80 bis 85 Dezibel lauten Geräuschkulisse ausgesetzt, wie sie in Flugzeugen herrscht. Was sie serviert bekamen, bewerteten sie anders als eine Kontrollgruppe, die in Ruhe aß. Das Gleichgewicht in der Geschmackswahrnehmung war gestört – vor allem Süßes wurde weniger intensiv wahrgenommen.

Lärm verdirbt den Appetit. Ein Befund, den auch die Psychologin Kathrin Ohla vom Forschungszentrum Jülich bestätigt. Ob eine direkte Wirkung vom Gehör auf die Geschmacksnerven besteht, ist zwar noch nicht geklärt. Doch "in jedem Fall handelt es sich auch um ein kognitives Phänomen," sagt Ohla. "Wir sind durch den Flugzeuglärm abgelenkt, wodurch wir uns weniger auf den Geschmack konzentrieren." Je störender Geräusche empfunden werden, desto unangenehmer werden Geruch und Geschmack von Speisen wahrgenommen.

Kann man den erhofften Essgenuss also wecken, indem man Kopfhörer aufsetzt und sich beim Kauen mit Lieblingsmusik berieseln lässt? So einfach ist es leider nicht. Denn die laute Umgebung ist nur ein Faktor, der an Bord das Essen vermiest. Die Sinneseindrücke von Augen und Nase spielen beim Schmecken ebenfalls eine Rolle. "Es handelt sich um ein multisensorisches Erlebnis, das sich nicht nur auf den reinen Geschmackssinn von Zunge und Gaumen beschränken lässt", erklärt Kathrin Ohla.

Luftdruck und Luftfeuchtigkeit als Geschmackskiller

In gut 10.000 Meter Höhe rücken weitere Geschmackskiller in den Fokus der Forscher: Luftdruck und Luftfeuchtigkeit. Die künstlich geschaffenen Druckverhältnisse in der Kabine gleichen jenen auf einem rund 2500 Meter hohen Berg, und die Luftfeuchtigkeit ist mit rund zehn Prozent sehr niedrig – in normalen Wohnräumen herrschen etwa 40 bis 60 Prozent. Die Verhältnisse an Bord entsprechen eher denen im kalifornischen Death Valley, einem der trockensten Orte der Erde. Und das hat Folgen.

"Die geringe Luftfeuchtigkeit lässt die Nasenschleimhäute austrocknen und den Speichelfluss stocken. Dadurch werden Gerüche und Geschmack deutlich schlechter wahrgenommen", sagt Ohla. Zwar sind nach landläufiger Ansicht vor allem die Geschmacksknospen auf der Zunge, am Gaumen und im Rachen für das Geschmacksempfinden verantwortlich, doch ohne eine einwandfrei funktionierende Nase können sie ihren Dienst nur unvollkommen versehen.

"Wesentlich für die kulinarische Bewertung ist der Geruchssinn", unterstreicht die Psychologin Ohla. Genauer gesagt etwa 350 verschiedene Riechrezeptoren. Wie wichtig ihre Rolle ist, zeigt ein einfacher Selbsttest: Wer mit geschlossenen Augen und bei zugehaltener Nase etwas in den Mund geschoben bekommt, dessen Beschaffenheit er nicht wiedererkennt, wird kaum erraten, was er gerade isst.

Salz und Zucker nehmen wir geschmacklich weniger intensiv wahr

"Essen und Getränke an Bord werden so wahrgenommen, als wäre man verschnupft", erklärt die Aroma-Chemikerin Andrea Burdack-Freitag. Mit ihrem Team hat sie am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Holzkirchen bei München erforscht, was geschieht, wenn wir unseren Hunger und Durst im Flugzeug stillen. Ergebnis: Salz nehmen wir 20 bis 30 Prozent und Zucker 15 bis 20 Prozent weniger intensiv wahr. Saures und Fruchtiges schmeckt dagegen weitgehend unverändert. Das ist wohl auch einer der Gründe dafür, warum sich Tomatensaft mit Salz und Pfeffer im Flugzeug außergewöhnlicher Beliebtheit erfreut.

Den präzisen Zahlen liegt ein aufwendiges Testverfahren des Fraunhofer-Instituts zugrunde. Die Forscher ließen Probanden im Original-Flugzeugrumpf eines ausgemusterten Airbus A310-200 verschiedene Speisen probieren. Getestet wurde zum einen unter Bedingungen, wie sie am Boden herrschen, zum anderen "im Flug".

Hierzu war das 16 Meter lange Teilstück von einer 30 Meter langen und knapp zehn Meter breiten Niederdruckkammer umschlossen, um die Verhältnisse in Reiseflughöhe zu simulieren. Sogar das Rumpeln beim Start sowie die Fluggeräusche wurden realitätsnah nachgeahmt. Als durch den Niederdruck die Luft in der Kabine dünner wurde und die Feuchtigkeit sank, servierten die Forscher bei gedimmtem Licht das Essen – Bedingungen wie bei einem echten Flug.

Auch das Trinkerlebnis ist im Flieger getrübt

Auf dem Speiseplan der rund 150 Testesser standen bewährte Gerichte aus den Bordmenüs der Lufthansa, unter anderem pochierte Geflügelbrust, wahlweise mit Dillrahm-, Schnittlauch- oder Limonensoße. Die in Aluschalen eingefrorenen Gerichte wurden an Bord erhitzt. So ist es weltweit gängige Praxis bei den Airlines. Nur in der Business- und First-Class wird etwas mehr Aufwand betrieben – hier kommt häufig auch frisch Zubereitetes auf den Klapptisch. Zum Dessert gab es rote Grütze und Mango-Creme.

Wie erwartet schmeckte das Menü während des simulierten Fluges fader. Während sich der Geschmack von salzig und süß unter Flugbedingungen abschwächte, setzten sich Saures und Bitteres umso stärker durch. Auch eine Variante, die für die Flugsimulation schärfer gewürzt worden war, kam nicht so gut weg.

Immerhin: Egal unter welchen Bedingungen wir Nahrung zu uns nehmen – unsere Sinne erkennen bittere Substanzen, die ein Hinweis auf potenzielle Giftstoffe sein können, offenbar zuverlässig.

Auch das Trinkerlebnis ist während des Flugs getrübt. Daher empfehlen die Fraunhofer-Forscher Weinliebhabern, leichte, säuerliche Tropfen eher zu meiden – diese bekommen an Bord eine extrem saure Note. Wer etwa zu einem Riesling greift, könnte herb enttäuscht werden, da dessen Aroma schwindet und die Säure in den Vordergrund tritt. Besser geeignet sind vollmundige, schwere Weine, etwa ein kalifornischer Chardonnay, der längere Zeit im Holzfass gereift ist. Gleiches gilt für Rotweine, die an Bord etwas kräftiger sein sollten und einen hohen Gehalt an Gerbstoffen haben dürfen.

Genuss während des Flugs ist trotzdem möglich

Die Sommeliers großer Fluggesellschaften berücksichtigen diese Regeln, wenn sie bei Verkostungen ihre Auswahl treffen – wie zum Beispiel bei Singapore Airlines, wo das Menü unter möglichst authentischen Bedingungen abgestimmt wird. Die Fernost-Airline genießt ohnehin einen Heimvorteil. Die oft kräftig abgeschmeckten asiatischen Gerichte kommen in der Luft gut an, ohne nachgewürzt werden zu müssen – anders als europäische Fisch- oder Geflügelgerichte, die ohne ein Extra an Salz und Kräutern in der Luft fade schmecken würden.

Gerüstet mit diesem Wissen, ist es nicht schwer, ein gutes Bordmenü zusammenzustellen. Dafür benötigt man keinen Sternekoch oder Sommelier, sondern nur die richtige Würze sowie genügend Getränke, damit Körper und Schleimhäute nicht zu sehr unter der trockenen Kabinenluft leiden. Mit angenehmer Musik oder einem Kopfhörer, der Störgeräusche unterdrückt, ist Genuss auch während des Flugs möglich. Was nicht nur im Sinne der Gäste an Bord, sondern auch der Airline sei, sagt Kathrin Ohla: "Schließlich möchte keine Fluggesellschaft für furchtbares Essen in Erinnerung bleiben."

Zuerst erschienen in GEO WISSEN Ernährung Nr. 10/2021 - Die Wahrheit über unser Essen

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