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Paris en blog

Blogger stellen ihr Paris vor: die Mode und die Musikclubs, die kreative Küche und Kunst, die die Wände hochgeht. Außerdem erfahren wir, was "Konzerte zum Mitnehmen" sind - der coolste Kulturbeitrag aus Paris seit dem schwarzen Rollkragenpullover

Inhaltsverzeichnis

Streetart in Paris

Wo Künstler vor Begeisterung sprühen

Von der Hauswand glotzen kantige Käferchen, die hier Asyl gefunden haben. Einst wurde diese Spezies im Computer gejagt, in einem Spiel der siebziger Jahre. "Die sind vom Space Invader", sagt Ana Lee, "einem Straßenkünstler." Der heißt wie das Spiel und klebt die Aliens als Mosaike an Fassaden. Wie diese Käfer sollte man durch die Stadt laufen, findet Ana: die Augen weit aufgesperrt. Denn Paris ist eine Galerie unter freiem Himmel. Hier sieht man Kunst, vor allem zeitgenössische, nicht nur in Museen und Galerien, man trifft sie auch auf der Straße. Der Space Invader, ein Franzose, postiert seine Wesen aus bunten Quadraten nicht mehr nur in Paris, sondern in der ganzen Welt. Auf einer Website kann man den Stand der Invasion ablesen. Paris, aktuell: 704 Motive.

Streetartist in Belleville
Streetartist in Belleville
© Frank Heuer/laif

Schon ist mit dem Betrachter etwas geschehen. Hat man die Figuren - Quallen, Totenköpfe, Käfer - einmal wahrgenommen, entdeckt man sie überall: an Häuserwänden, Brücken, Mauern. Dann läuft man mit anderen Augen durch die Stadt, bemerkt Werke weiterer Künstler: Graffiti, Tierchen, Sprüche auf dem Gehweg; neben einem Garagentor ein küssendes Paar oder die entschlossenen Frauen, welche die Künstlerin Miss.Tic bereits seit den Achtzigern auf Hauswände zaubert, mit Sprüchen wie: "Was mir nicht gegeben wurde, nahm ich mir." Oder Némo, der schwarze Männer mit Hut und roten Regenschirmen malt, die Wände entlanglaufen oder auf ihnen turnen. Ständig kommt Neues hinzu, nehmen sich Künstler freie Flächen und machen sie sich zu eigen.

Ana, die an der Sorbonne studiert, kann das gut verstehen. An der Universität sei der Zugang zur Kunst recht streng, überall in Paris spüre man Tradition, Geschichte, Prunk. "Das reizt einen doch, etwas Chaotisches zu tun", sagt sie. "Irgendwo müssen Künstler ihre Ideen ja verwirklichen." Ana rät, sich neben den großartigen Galerien im Haut Marais, etwa in der Rue des Coutures Saint Gervais, auch einmal die Rue Dénoyez in Belleville anzusehen: eine winzige Straße gleich neben der "Bar Aux Folies". Diese Straße ist ein einziges Graffito, ein Flash der Farben.

Die Kunst macht dort auch nicht vor den Mülleimern halt. Von einer grünen Tonne grinst das Konterfei von Barack Obama. Der Künstler, der ihn gesprüht hat, heißt Pedro, hat sein Atelier nebenan und ist ein schlaksiger Typ mit Baseballcap, unter der lange Haare hervorschauen. Er verkauft Pflastersteine – mit Jimi Hendrix darauf, Notenblätter, auf denen Billie Holiday prangt, eine alte Waage mit dem Gesicht von Marilyn Monroe oder eben auch Barack Obama auf einem kenianischen Kaffeesack. Pedro lebt seit 20 Jahren in Belleville, erzählt er. Er hat auch schon in Berlin gewohnt und im Kulturzentrum "Tacheles" ausgestellt. Wenn Leute von dort vorbeikommen, kramt er gern ein paar deutsche Sätze heraus und sagt zum Abschied: "Tschüssi".

Die Bloggerin: Ana Lee, 23, kommt aus San Francisco, studiert Kunstwissenschaft an der Sorbonne und schreibt nebenbei für den Blog "Vingt Paris" über zeitgenössische Kunst, die Welt der Galerien und Pariser Kultur-Events. Sie lebt im Marais.

Essen in Paris

Nicht ohne mein Baguette

Die Franzosen wären imstande, für ihr Brot eine Revolution anzuzetteln. Baguette ist ihnen heilig. Sie tragen es wie ein Accessoire - und es ist ganz und gar nicht egal, wie es aussieht. Clotilde bleibt stehen und atmet tief ein. "Riechst du das?" Aus der offenen Tür einer Bäckerei weht ein warmer Duft. Wir stehen in der Rue des Martyrs in Montmartre. "Ein gutes Baguette", schwärmt Clotilde, "muss aussehen wie von Hand geformt. Es muss eine gesunde Farbe haben, rustikal und lebendig wirken." Und schön fest sein. "Nach einer Weile bekommt man ein Auge dafür", sagt sie, und das klingt irgendwie beruhigend für jemanden, der den Unterschied nicht sieht. "Wenn man sich mal vergreift", fügt sie hinzu, "macht es nichts. Ein schlechtes Baguette ist immer noch für Käsefondue gut."

Baguette - Accessoire und Essen zugleich
Baguette - Accessoire und Essen zugleich
© Ocean/Corbis

Clotilde Dusoulier gibt sich alle Mühe, mir die französischen Spezialitäten zu erklären, während wir durch die Rue des Martyrs, eine der Pariser Genussmeilen, schlendern. Delikatessenläden reihen sich aneinander, einer verführerischer als der nächste – Boulangerie neben Charcuterie, Fromagerie neben Eisladen. Clotilde liebt die französische Küche. Nur eines gefällt ihr nicht: dass diese Küche den Ruf hat, kompliziert und abgehoben zu sein. Deshalb hat sich Clotilde auf eine Mission begeben: Sie gibt Tipps und Informationen, die man braucht, um die französische Küche richtig genießen zu können.

Beim Käseladen etwa soll ich auf den Zusatz "Affineur" schauen; er verrät, dass der Käse hier nicht bloß verkauft, sondern auch verfeinert wird. Oder diese Sache mit den Betreibern kleiner Delikatessenläden und Bistros: "Manche Leute beschweren sich, dass sie unfreundlich sind", sagt Clotilde bekümmert. Doch man müsse einfach wissen: "Für die Wirte und Ladenbesitzer fühlt es sich so an, als würde man ihr Wohnzimmer betreten." Wer solch einen kleinen Laden betritt, sagt deshalb als Erster "Bonjour" - und nicht anders herum. Nicht umsonst, erklärt Clotilde, tragen viele Restaurants ein "chez" im Namen - weil man eben "bei" jemandem isst und nicht anonym. Wer also wartet, bis er einen Platz zugewiesen bekommt, wer Interesse an den Gerichten zeigt, wer die Kellner und ihre Arbeit respektiert, "der wird sehr positive Erfahrungen machen. Das Essen ist wirklich ein wichtiger Teil unserer Kultur", sagt Clotilde. "Vielen ist das gar nicht bewusst."

Deshalb wohl antwortet die Expertin für Essen und gute Küche auf die Frage, welches ihr liebstes Paris-Gericht sei, mit: "Für mich gibt es das nicht." Dafür sei die Küche zu vielfältig. Ihr Rat lautet ganz einfach: "Gehen Sie in ein gutes Restaurant, wo die Karte täglich wechselt, vertrauen Sie dem Chef, und lassen Sie sich überraschen."

Die Bloggerin: Die Pariserin Clotilde Dusoulier, 30, startete ihren Blog über Essen und Küche aus privater Kochleidenschaft. Ihre Website zählt inzwischen 17 000 Besucher am Tag. Sie betreibt ihren Blog von ihrer Wohnung in Montmartre aus, wo sie zwischen den Zeilen Brot backt. www.chocolateandzucchini.com

Musik in Paris

Musik to go –Melodien für Millionen

So beginnen Filme, die ein offenes Ende haben. Im Zwielicht einer Pariser Sommernacht erscheinen am Canal Saint-Martin die Schemen junger Leute. Zuerst erklingt eine Akustikgitarre, ein einfacher Rhythmus. Dann eine klare, schöne Männerstimme. Eine Geige setzt ein, ein Tamburin folgt. Die Kamera beobachtet den Sänger, der sich in Bewegung setzt. Lichter schimmern auf dem Wasser, die Musiker lachen, zufällige Zuhörer fangen an mitzuklatschen.

"Hidden Cameras" heißt die Gruppe - sehen und hören können wir sie auf einer Website namens "Blogothèque!". Wie hypnotisiert streifen Musiker und Zuhörer durch die Nacht, Mädchen nicken im Takt, ein Junge filmt das Gehsteigkonzert mit dem Handy. So entspannt, so fröhlich und cool ist die Stimmung, dass man sich auf der Stelle wünscht, man könnte live dabei sein. Aber auch als Video ist der Auftritt noch ein Ereignis - eines von etwa 100 "Concerts à emporter", Konzerten zum Mitnehmen, die sich auf "Blogothèque" finden. Überall in Paris treten die meist jungen Musiker auf, in Bars, auf Dachterrassen, in Parks, in Fahrstühlen, auf den Boulevards. Eine ganz neue Art von Straßenmusik ist hier entstanden, die jeder, weltweit und jederzeit, über das Internet miterleben kann. Und eine neue Sicht auf Paris.

Die Idee für die Clips "kam uns in der Nacht und mitten auf der Straße", erzählt Alexandre Lenot, einer der Macher von "Blogothèque". Es war, als die kanadische Indie-Rockband "Arcade Fire" im "Nouveau Casino" in der Rue Oberkampf auftrat - und spontan die Bühne verließ. Die Musiker liefen durch die Menge hinaus auf die Straße und spielten weiter. Was dann passierte, schwärmt Alexandre heute noch, "hat einen umgehauen".

Also holten die "Blogothèque"-Macher die Bands von der Bühne. Das war 2006. Aus einer verrückten Idee ist eine Erfolgsgeschichte geworden. Eine sehr französische, mit traumwandlerischem Gespür für die Momente, in denen sich die Seele der Dinge offenbart. Alles sieht leicht, verspielt und ein wenig melancholisch aus. Intime Augenblicke auf offener Straße, mit Paris als Horizont.

Natürlich klopfen die Plattenfirmen bei ihnen an. „Aber wir sind wählerisch“, sagt Alexandre. Sie wollen ihre Unabhängigkeit bewahren, ihren eigenen Zugang. Und sie haben bereits eine neue Idee realisiert: Konzerte in Privatwohnungen – soirées de poche genannt. Kommen dürfen, je nach Ort, etwa 50 Leute. Das Los entscheidet, wer eines der Tickets bekommt, bewerben kann man sich kurz vor dem Event per E-Mail. Eintritt? Jeder zahlt, was er kann. Damit das Publikum gemischt bleibt, vom Studenten bis zum Loftbesitzer.

Der Blogger: Bis zu fünf Mal pro Woche besucht Alexandre Lenot, 32, ein Konzert – Musik ist sein Leben. Er betreut den redaktionellen Teil des Musikblogs "Blogothèque", für den etwa 15 Autoren schreiben. Alexandre hat Politikwissenschaft und Kommunikation studiert und seinen ersten Roman geschrieben – natürlich geht es um Musik. www.blogotheque.net

GEO SAISON Nr. 10/2009 - Metropolen

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