Anzeige

Das Lesestück Hamburgs coolste Plattenläden

Gereon Klug ist Autor und gründete 2007 die HANSEPLATTE in Hamburg. Seine hochgelobten Newsletter für dieses auf Hamburger Musik spezialisierte Geschäft erschienen als Buch im Haffmans & Tolkemitt-Verlag: "Low Fidelity - Hans E. Plattes Briefe gegen den Mainstream". Für GEO.de schrieb er über sein Fachgebiet
Das Lesestück: Gereon Klug ist Autor (von unter anderem dem Deichkind-Hit "Leider geil"), betrieb acht Jahre in Göttingen einen Plattenladen und gründete 2007 die HANSEPLATTE in Hamburg. Seine hochgelobten Newsletter für dieses auf Hamburger Musik spezialisierte Geschäft erschienen als Buch im Haffmans & Tolkemitt-Verlag: "Low Fidelity – Hans E. Plattes Briefe gegen den Mainstream"
Gereon Klug ist Autor (von unter anderem dem Deichkind-Hit "Leider geil"), betrieb acht Jahre in Göttingen einen Plattenladen und gründete 2007 die HANSEPLATTE in Hamburg. Seine hochgelobten Newsletter für dieses auf Hamburger Musik spezialisierte Geschäft erschienen als Buch im Haffmans & Tolkemitt-Verlag: "Low Fidelity – Hans E. Plattes Briefe gegen den Mainstream"
© Robin Hinsch

"Schreib mal was über die Musikstadt Hamburg, du kennst dich doch aus." So die Anweisung von Gott oder GEO an mich, ich weiß nicht mehr genau, wer anrief. Natürlich kenn ich mich mit allem aus, auch mit Musik, das ist ja klar bei meinem Namen und Ruf, aber buttergefischt: Am besten kenne ich mich aus - mit Schallplattenläden.

Ja, Plattenläden, gibt’s die überhaupt noch? Erstens: Natürlich. Und zweitens - das behaupte ich hier mal kühn - hat Hamburg immer noch die besten des Landes, jedenfalls in Dichte, Güte und Großartigkeit. Leicht erregbare Stadtnationalisten anderer Gebiete können sich jetzt mal kurz zur Seite echauffieren, aber es nützt nichts: Was sich im groben Dreieck St. Pauli, Schanzenviertel und Karoviertel an Rillenreitern tummelt, hat oberes Weltniveau.

Ich nehme Sie mal auf einen kleinen unvollständigen Rundgang mit. Wir fangen einfach bei dem größten der Kleinen namens Zardoz an: Am gentrifiziösen Schulterblatt gelegen und eine richtige Gemischtwarenbude, aber sowas von. Wie eine Messiewohnung, in der jemand aufgeräumt hat. Also irgendwie gut, weil man gleichzeitig das Gefühl hat, man findet nichts und man findet alles. Dieses Gefühl kann kaum eine Philosophie bieten, aber Plattenläden! Die sind Stellvertreter für alles Geile oder selber geil.

Wie auch Selekta, einmal um die Ecke. Kenner wissen, so nennen Jamaikaner findige Plattenauswähler. Also gibt es dorten nur Reggae oder verwandtes und wer jetzt bei dem Wort "nur", was ich gerade verwendete, nicht vor Wut zusammengezuckt ist, hat eh nichts in dem knuffigen und knirschenden Offbeat-Laden verloren. Besonders Singles in Winzauflage aus obskuren Quellen lassen mich da oft weinend am Tresen hängen. Der Besitzer kann mit Techno, Dixieland und Country nichts anfangen und gibt das sogar zu. Peinlich, aber für wen? Und sein Name ist gut, jedenfalls für einen Schallplattenhändler. Als wenn ein Fußballer Balakov heißen würde! Er heißt nämlich Schepper. Selekta Schepper - schön, oder?

Ähnlich inhabergeführt ist Groove City. Ein vornehmlich groovigen Tönen zugetaner Laden, auch wieder nur 300 Meter weiter mitten im Karoviertel, wo bizarrerweise eine Frau das Sagen hat. Als hätten die Check von Musik, die Weiber, geht ja gar nicht. So denken weltweit 90 Prozent aller Musiknerds. Aber einmal bei Marga, so heißt die arrogante feinsinnige Seele dort in Chefposition, sich was eintüten lassen und man ist korrekterweise doch plötzlich Feminist, aus welchem Grund auch immer.

Ihr Trüffelschweinigel und Scherge Booty Carrell holt alle paar Wochen die schönsten Musiken der dritten bis 18. Welt rein: Psycho-Jazz aus Kaledonien, Knallo-Funk aus den Ardennen oder Fieldmusiken aus der dreckigen Hose einer Schafshirtin - da stehen Sachen rum, die nicht mal Tiere je gehört haben dürften.

Wieder nur ein paar Pflastersteinwürfe weiter: Der Fischkopp-Plattenladen. Zugetan der härteren Kunst. Hier wissen alle, dass Punk spätestens dann tot war, als jemand sagte, dass Punk nicht tot ist. Aber hier ist es ihnen wumpe. Im Fischkopp werden also Gesetze wie Zeiten ausgehebelt, was nur Idioten generell von Plattenläden sagen, aber so nicht stimmt.

Eine These, die mich allgemeingültiger und mal kurz abschweifend sauer werden lässt: Denn ich hasse diese Schallplattenfeilbietern zugedachte Rolle als aus der Zeit gefallene Relikte! Als wären Plattenläden nur lebende Fossilien, die jauchzend als wertiges Symbol längst untergegangener Werte begrüßt werden.

Dieses bescheuerte "Ach, das gibt's noch, ist das aber süß!" hat inzwischen ja ganze Branchen in der Geschäftswelt versaut. Im Zoo angegafft werden, ist kaum schlimmer als ständig zu hören, wie skurril und belächelnswert man eigentlich ist. Tenor: Wie nice der Ast ist, auf dem du sitzt, aber Geld, das verdient man doch woanders, Junge.

Abkühlung bringt bei Zorn und Wut seit jeher Reduktion und kaltes, klares Wasser. Also gemessenen Schrittes zu Smallville, unserer nächsten Station. Führend und rührend in Sachen Techno und House, mittenmang auf St. Pauli. Die Einrichtung und die Höker sind stets konzentriert und auf den Punkt, wie Minimalismus nun mal ist. Wie in jedem sehr guten Laden hat man nach einem Besuch das Gefühl, nur diese Musik könne das eigene Leben fortan retten. Das nennt man wohl Empathie?

Das Lesestück: Smallville: "Führend und rührend in Sachen Techno und House, mittenmang auf St. Pauli", sagt Gereon Klug - und der muss es wissen
Smallville: "Führend und rührend in Sachen Techno und House, mittenmang auf St. Pauli", sagt Gereon Klug - und der muss es wissen
© Miguel Martinez
Das Lesestück: Gereon Klug: LOW FIDELITY. 240 Seiten, 19,95 €, erschienen im Haffmans & Tolkemitt Verlag
Gereon Klug: LOW FIDELITY. 240 Seiten, 19,95 €, erschienen im Haffmans & Tolkemitt Verlag

Und auch in dieser Hinsicht erweist sich Musik mal wieder als die schönste aller Kunstformen: Der Anstiftungsfaktor ist unerreicht hoch. Inkubationszeit gleich null. Wie leicht lässt man sich erregen, mitreißen, ja, auch überreden, die eine oder andere Musik gut zu finden, die man in Wirklichkeit gar nicht gut findet oder erst 20 Jahre später.

Wie toll manche Platten im Plattenladen klingen! Wie weltumspannend, wie ergiebig viele der Fachsimpeleien in Plattenläden immer noch sind! Frech behauptet: Da kommt doch keine Galerie mit, kein Theater und keine Buchhandlung - da sind die Wege zum Gefühlsglück weitaus komplizierter und mittelfristiger.

Gehe ich doch einfach mal zu Burnout, noch so ein Laden in unserem Hamburger Biotop, und überprüfe meine These. Dieses Geschäft hat fast ausschließlich amerikanische Undergrund-Gitarren-Nischenmusiken, die ich als ausgewiesener Kenner amerikanischer Undergrund-Gitarren-Nischenmusiken der 80er und 90er zwar schätze, die mich aber zuhause kaum noch interessieren. Jedenfalls keine neuen Bands dieses Genres zwischen Garage, Postpunk und Drone.

Verweile ich nun ein paar Minuten inmitten der bedingungslosen Hingabe zu diesem Segment und höre dem fidelen kernigen Burnout-Besitzer zu, bin ich selber wieder voll drauf und würde am liebsten sämtliche Platten ohne Gitarren wegschmeißen, was soll man denn damit, wie arm ist denn HipHop, wie gewollt ist denn Jazz, wie affig denn Soul? Schön und sogar wahr.

Zeit für die letzte Station dieser (unvollständigen!) kleinen Reise: Ab zu Freiheit & Roosen. Der unfassbar zugepfropfte Laden heißt so, weil er an der Ecke Kleine Freiheit/Paul-Roosen-Straße liegt. Naja, "liegt" ist eher falsch formuliert: Er mäandert vor sich hin, wie ein eingesperrter wachsender Krake! Abertausende von Schallplatten quellen dort müffelnd über ihre Kisten und verbreiten einen derartigen ungeordneten Wahnsinn, dass man entweder vor Begeisterung für Tage verschwindet (der Besitzer würde es nicht merken) oder sofort aufgibt, sich da durchzuwühlen.

Und so möchte dieser bemerkenswerte Garten Eden stellvertretend für mein Plädoyer stehen: Kauf dir einen Plattenspieler und werde wieder Kunde. Kunde von Schallplattenläden.

Nicht, weil sie niedlich sind. Sondern weil sie dir mehr Musik bringen als die unzumutbare Moderne, wie auch immer die sich kleidet.

Die Adressen der Plattenläden

Zardoz

Schulterblatt 36, 20357 Hamburg, Tel. 040/280 32 30, Mo-Fr 12-20 Uhr, Sa 10-20 Uhr,

www.zardoz-schallplatten.de

Selekta

Bartelsstrasse 11, 20357 Hamburg, Tel. 040/430 88 39, Mo 11-19, Di-Do 12-19, Fr 11-20, Sa 11-19 Uhr, www.selekta-shop.de

Groove City

Marktstraße 114, 20357 Hamburg, Tel. 040/430 21 49, Mo- Sa 11-19 Uhr. www.groove-city.com

Fischkopp

Grabenstraße 4, 20357 Hamburg, Tel. 040/00 54 83, Mo- Fr 12.30- 19.30, Sa 12-17 Uhr

Smallville Records

Hein-Hoyer-Str. 56, 20359 Hamburg, Tel. 040/7070 53 58,

Mo-Sa 14-20 Uhr, www.smallville-records.com

Burnout Records

Beim grünen Jäger 21, 20359 Hamburg, Tel. 040/31 97 74 90, Mo-Fr 11.30-19 Uhr, Sa 11.30-17 Uhr,

www.burnoutrecords.de

Freiheit & Roosen

Paul-Roosen-Straße 41, 22767 Hamburg, Tel. 040/23 54 93 39, Mo-Fr 12-20, Sa 12-18 Uhr, www.hafenschlammrekords.de

Hanseplatte

Neuer Kamp 32, 20357 Hamburg, Tel. 040/28 57 01 93, Mo-Sa 11-19 Uhr,

www.hanseplatte.de

Mehr im Netz

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel