Ich rühre das schwarze Pulver an, bevor ich abends schlafen gehe. Was hier meistens gegen 22 Uhr der Fall ist. All die anderen Pillen, Pasten und Pülverchen, die ich im Laufe des Tages zu festen Uhrzeiten schlucken soll, gehen mühelos runter. Doch abends muss diese schwärzliche Brühe hinter die Binde gegossen werden. Sie schmeckt bitter und säuerlich zugleich – nichts, was man freiwillig an der Bar bestellen würde. Dafür sei der aus der getrockneten Kräutermischung Triphala zubereitete "Nightcup" gut für Stoffwechsel und Verdauung, sagt Dr. Pushpa Abhayawardene. Sie ist die Oberärztin in den vier "Barberyn Ayurveda Resorts". Das neueste Haus "Barberyn Waves" liegt über dem wild herandonnernden Indischen Ozean an der Südspitze Sri Lankas. Hier habe ich für eine zweiwöchige Ayurveda-Kur eingecheckt, um etwas gegen Stress, Erschöpfung und manch Zipperlein zu tun. Drei oder vier Wochen wären besser, sagt Dr. Pushpa (auf Sri Lanka spricht man sich mit Vornamen an), aber in vierzehn Tagen könne man auch schon einiges bewirken.
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Im Bedtime-Trunk meines ersten Abends steckte auch die im Wortsinne bittere Erkenntnis, dass Ayurveda nicht einfach irgendein fernöstliches Wellnessprogramm ist, sondern echte, ernsthafte Medizin. Schon vor 5000 Jahren ist die ganzheitliche Heilkunde in Indien als "Wissenschaft vom Leben" entstanden. Zu ihren Heilmethoden gehören zwar auch die in westlichen Wellnesstempeln so beliebten Massagen und Stirngüsse, aber eben auch sehr viel mehr – eine sehr ausführliche Diagnose, Yoga, Meditation, eine spezielle Ernährung und vor allem Öle und besondere Medikamente.
"Ohne die Heilkräuter-Medizin ist Ayurveda überhaupt nicht denkbar," sagt Dr. Pushpa in ihrem schlichten Konsultationsraum, rückt die schwarze Brille zurecht und berichtet von Rezeptsammlungen mit aberhunderten Kräutermischungen für die unterschiedlichsten Beschwerden und Konstitutionen. Zählen könne man die Medikamente kaum, weil jeder Arzt aus der riesigen Vielfalt an Heilpflanzen, aus Wurzeln, Samen, Rinden, Hülsen und Blüten immer wieder eigene Kreationen herstelle.
Meine Doshas sind ziemlich aus dem Lot
Die Medikamente finde ich, säuberlich in Seidenpapier eingewickelt und einzeln beschriftet, jeden Nachmittag in meinem Hotelzimmer. Sie sollen auch gegen meine Kopfschmerzattacken, die Magenübersäuerung und die Knieschmerzen helfen. Allerdings nicht zielgenau und punktuell, sondern auf Ayurveda-Art. Das heißt: Sie sollen mithelfen, die drei Körperkräfte wieder ins Lot zu bringen. Deren spezielle Mischung macht jeden Menschen aus. Wenn diese sogenannten Doshas nicht richtig ausbalanciert sind, entwickelt der Mensch laut der ayurvedischen Theorie Krankheiten und Beschwerden.
Nichts war bei mir im Gleichgewicht, als ich mich zur Eingangsuntersuchung bei Dr. Kossala Jayaweera vorstellte, Dr. Pushpas Kollegin. Die sang zunächst ein kurzes Mantra, sah mir dann in die Augen und auf die Zunge und fühlte schließlich mit geschlossenen Augen lange meinen Puls.
An seiner Schnelligkeit, an Rhythmus und Volumen können Ayurveda-Ärzte feststellen, wie es um die Doshas bestellt ist, "Viel zu viel Vatha", diagnostizierte Dr. Kossala. "Und auch Pitta und Kapha sind etwas zu hoch." Dann verschrieb sie mir die Reinigungskur Panchakarma. Zwei Wochen lang täglich Massagen, Kräuterauflagen, Akupunktur und warme Bäder, auf halber Strecke dann ein intensiver Abführtag, danach würden wir, je nach Behandlungsverlauf, mit "Special Treatments" weitermachen, um mich weiter zu entgiften. Denn erst wenn der Körper gründlich von den Ama genannten schädlichen Ablagerungen befreit sei und Agni, das Verdauungsfeuer, wieder auf großer Flamme lodere, könnten die Doshas wieder ins Gleichgewicht geraten. Dazu verordnete Dr. Kossala sechs verschiedene Medikamente sowie die sogenannte Decoction, eine kaffeefarbene Kräuterabkochung, die ich vor den Mahlzeiten einnehmen soll.
Sundana Rodrigo war seine Zeit voraus. Keiner glaubte an die Idee – nur er
Die Pharmacy ist ein wichtiger Bereich im Health-Center des Barberyn Waves, wo ich täglich zu meinem dreistündigen Massagen- und Treatment-Programm einlaufe. In schlichten Teakholzschränken stehen hier Glasflaschen und Gläser mit den am häufigsten verschriebenen Pillen, Pulvern und Ölen. Im Hinterzimmer köcheln auf offener Gasflamme die Decoctions in Tontöpfen; Helferinnen in weiß-blau gestreiften Schürzen bereiten sie für jeden Gast täglich frisch zu und bedienen sich dabei aus Kräuterregalen und Tabletts voller getrockneter Rinden, Samen, Zwiebelchen und Ästchen. Auch Knoblauch liegt bereit. Für meinen persönlichen Sud bräuchte es rund 70 verschiedene Zutaten, hatte Dr. Kossala verraten. Einen Raum weiter blubbert in einem großen Alukessel Wasser mit Indischem Lungenkraut – für den Kräuterguss, der die tägliche Behandlungsprozedur abschließt.
Dass Ayurveda-Hotels ihre Medikamente und medizinischen Öle selbst herstellen, ist die Ausnahme auf Sri Lanka. Doch in den vier Barberyn-Resorts gehört die hauseigene Öl- und Medizinproduktion zur Unternehmensphilosophie; bis zu 70 Prozent der Rezepturen kommen aus der eigenen Kräuterküche, vor allem die schwierigeren. "Weil wir uns dann hundertprozentig auf die Qualität verlassen können", sagt Geetha Karandawala. "Aber vor allem, weil es uns Spaß macht!" Geetha hat als Juristin lange für die UN gearbeitet. Sie ist die Tochter des Barberyn-Gründers Sundana Rodrigo, der in den 1980er-Jahren mit dem "Barberyn Reef" Sri Lankas erstes Ayurveda-Hotel eröffnete – ein mutiger Pionier zu Zeiten, als sich im Westen nur ein paar Hippies mit Yoga, Meditation und alternativen Heilmethoden befasste. "Mein Vater wollte den Leuten mehr bieten als sun and fun. Er war waghalsig und seiner Zeit voraus. Im Tourismusministerium schütteln sie nur den Kopf über seine Pläne. Keiner glaubte daran, dass sich westliche Touristen für Ayurveda interessieren würden."
Es kam anders. Heute gibt es auf der tropischen Insel unzählige große und kleine Hotels, die Ayurveda-Kuren für vor allem für ausländische Gäste anbieten, oft allerdings nur in der urlaubsfreundlichen Soft-Version mit ein paar Massagen und Stirngüssen.
Manche Ayurveda-Heilöle köcheln mehrere Wochen
Im Nachbarhotel, im etwas einfacheren "Barberyn Beach", lasse ich mir im Kräutergarten zeigen, was die heimische Natur an Heilmitteln hervorbringt: Bethelnüsse für Mund und Zähne, Lotusblüten gegen Hämorrhoiden, Curryblätter – am besten gründlich gekaut – bei zu viel Cholesterin, Jasmin zum Gurgeln, die Stachelannone soll sogar die Krebsheilung unterstützen. Doch die Produktion der Barberyn-Medikamente und -Öle sowie der Anbau vieler der pflanzlichen Zutaten findet nicht auf dem Hotelgelände statt, sondern auf dem großen, historischen Rodrigo-Familiensitz nahe der Hauptstadt Colombo.
Geetha leitet dort die Herstellung der rund 100 verschiedenen Heilöle, die teilweise mehrere Wochen lang auf offenem Feuer köcheln, bis sich das als Basis verwendete Sesam- und Kokosnussöl mit den zugegebenen Decoctions und Pflanzenheilmitteln zur gewünschten Mischung verdichtet hat. Aber warum braucht es überhaupt all das Öl bei Ayurveda? "Weil es die Gewebe weich macht, sodass sich die Toxine besser lösen können", sagt Ayurveda-Ärztin Pushpa: "Es geht durch die Poren, transportiert die heilsamen Eigenschaften der Heilkräuter zu den Organen, ölt die Gelenke, verbessert die Blutzirkulation."
Und schenkt, obwohl es manchmal eine ganz leicht ranzige Note verbreitet, sehr schöne Entspannungsmomente. Das sagt nicht Dr. Pushpa, das sage ich, seit ich jeden Tag eine Stunde lang eine vierhändige, ölige Ganzkörpermassage verabreicht bekomme, seit mir warmes Öl in den Bauchnabel geträufelt wurde und ich zwei Mal Shirodara erleben durfte, der legendäre Stirnguss.
Ölglänzend und mit fettigem, irgendwie zusammen gewurschteltem Haar über die luftigen Etagen des Barberyn Waves zu spazieren, fühlt sich längst völlig normal an. Wie die anderen Gäste tragen ich im Health Center nichts als einen dunkelblauen Sarong, habe eine helle Baumwolltasche über die Schulter gehängt, in der ich Medikamente und Lesebrille aufbewahre. Wie erleuchtete Jünger wandeln wir herum, tiefentenspannt dank morgendlichem Yoga, abendlicher Meditation, Infinity Pool und der Spaziergänge am Meer oder unter Mango-, Gummi- und Bayanbäumen.
Die Affen werfen mit Kleenex-Boxen
Es gibt keine Fernseher, die nahe Küstenstraße ist nicht zu hören und nur manchmal dringen ein paar Takte "Für Elise" in einer quäkenden Elektroversion herüber, mit denen Sri Lankas fahrende Brothändler auf sich aufmerksam machen. Sonst stört nichts die wohltuende Stille dieses Orts, an dem die Therapeutinnen in ihren altmodisch am Rücken gekreuzten Schürzen barfuß über die Böden huschen.
Nur einmal ist während der Akupunktur Rabatz: Eine Affenbande hat sich Zutritt zu einer Besenkammer verschafft, sich mit der Beute in die Bäume zurückgezogen und wirft jetzt kreischend mit Reinigungsmitteln und Kleenex-Boxen. Darauf kann man beim Heilfasten im Schwarzwald natürlich lange warten.
Nach meinen beiden Panchakarma-Wochen sind nicht nur Kopfweh und Magenprobleme verschwunden, auch Dr. Kossala ist sehr zufrieden mit mir. Die Doshas sind jetzt fast im Gleichgewicht; den Rest, sagt sie, könnte ich schaffen, wenn ich zuhause noch ein paar Wochen lang Medikamente nehme. Als ich an meinem letzten Abend auf mein Zimmer komme, liegt schon ein großer Papierumschlag bereit. Ich nehme ihn mit raus auf den Balkon, strecke mich auf der Liege aus, lausche ein letztes Mal dem donnernden Ozean und reiße den Umschlag auf. Es stecken ein paar kleine Pulverpäckchen darin, ein Gläschen mit Pillen und ein sehr großes, sehr prall gefülltes Paket mit einem schwärzlichen Kräutermix.
Der bittere Bedtime-Trunk wird mich wohl noch eine Zeit lang begleiten.