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Winter-Tipp Ausflug in die Urzeit: Auf Fossiliensuche an der Ostsee

Strand von Heiligenhafen, Ostsee
Stürme, Fluten und Fröste legen an den Stränden der Ostsee (hier bei Heiligenhafen) immer wieder Gesteine frei, die Fossilien enthalten
© 1110tulpe - Shutterstock
Die Steinstrände der Ostsee sind ein Eldorado für Fossiliensammler: Gerade im Winter lassen sich hier zahllose versteinerte Relikte von Urzeitwesen aufspüren - einzigartige Zeugnisse einer fernen Vergangenheit

Es mag ein wenig verwunderlich klingen, aber für viele Menschen sind Ausflüge an die Strände der Ostsee zu keiner Zeit so reizvoll wie zwischen November und März. Denn in den kalten Monaten waschen Regen, Sturm und Hochwasser Gestein aus den steilen Hängen der Küsten. Zu Füßen mancher Steilufer sammelt sich dann Geröll - und gibt zuweilen faszinierende Schätze preis: Millionen Jahre alte, versteinerte Hinterlassenschaften von Urzeitwesen.

Es sind einzigartige Zeugnisse aus längst vergangenen Erdzeitaltern. Und man muss kein Paläontologe oder Geologe sein, um in Steinbrocken solche Relikte des Lebens zu entdecken - Fossilien, die eine Ahnung von der Vielfalt früherer Kreaturen auf unserem Planeten vermitteln. Wer bei einem Spaziergang aufmerksam in den Trümmern stöbert, wird vielleicht die Reste früher Schwämme, Korallen und Schnecken entdecken oder die im Stein erhaltene Kriechspur eines archaischen Meereswurms.

Gut möglich auch, dass im losen Strandkies ein sogenannter Klapperstein herumliegt, der beim Schütteln Geräusche erzeugt: Das kuriose Gebilde aus Feuerstein birgt einen Hohlraum, in dem sich lose Überbleibsel eines urzeitlichen Kieselschwamms befinden. Ebenso erstaunliche Fundstücke sind versteinerte Skelett-Elemente des Belemniten, eines Ahns unserer heutigen Tintenfische. Einst hielten die Germanen die kegelförmigen Fragmente für Sand, der zu dieser Gestalt schmolz, wenn der Donnergott Donar Blitze auf den Strand schleuderte. Von dieser Legende erhalten hat sich die Bezeichnung des Fossils: „Donnerkeil“.

Eine Mücke im Harz

Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wirbelt die Brandung eines winterlichen Sturms hier und dort auch Bernstein, das fossile Harz ehemaliger Baumriesen, vom Meeresgrund auf und trägt es an die Küste. Und man hält eine Rarität in Händen, wenn man darin Einschlüsse entdeckt: eine urzeitliche Schnake oder Trauermücke vielleicht, die vor wohl rund 40 Millionen Jahren mit den Beinen im Harz einer Konifere stecken blieb, vom honiggelben Baumsekret ertränkt und für alle Zeiten konserviert wurde. Seltene Stücke können 1000 Euro und mehr einbringen.

Und so erklärt es sich auch, weshalb man Spaziergängern an den Steinstränden von Rügen, Fehmarn und Heiligenhafen, von Bornholm, Fünen oder Møn häufig in gebückter Haltung begegnet - denn nirgendwo lassen sich derart vielfältige Fossilien in so unterschiedlichen Gesteinen auffinden wie im südwestlichen Ostseeraum. Der Grund dafür liegt in der wechselvollen geologischen Geschichte dieser Region. Geformt wurde sie vor allem von mehreren Vereisungen, die vor 2,6 Millionen Jahren ihren Anfang nahmen.

Strandfunde
Wer aufmerksam den Strandkies absucht, mag mit etwas Glück auf versteinerte Seeigel stoßen - oder auf Überreste von Korallen (im Bild links unten)
© Erik Gross

Damals kühlte die Erde ab, das Eiszeitalter begann. In den hohen Breiten, vor allem in den skandinavischen Gebirgen, schmolz der Schnee nicht so schnell wie neuer fiel. Gewaltige Eisschichten entstanden und schoben sich fortan südwärts. Unterbrochen wurden die Kaltzeiten von wärmeren Phasen, in denen sich die Gletscher wieder zurückzogen.

Zuletzt war der Norden Deutschlands vor rund 15.000 Jahren von Eis bedeckt; vor allem im Osten nahmen die Gletscher gewaltige Ausmaße an: Auf dem Land, das heute die Ostseeküste Schleswig-Holsteins bildet, lasteten damals mehrere Hundert Meter Eis, auf den dänischen Inseln und auf Rügen gut 1000 Meter. Und bis zu 3500 Meter mächtig soll der Skandinavische Eisschild über dem Bottnischen Meerbusen gewesen sein.

In den Bergen hat das große Eis, wie es Gletscher heute noch tun, Felsen geschliffen und gerammt, Unmengen von Gesteinstrümmern mitgerissen und über Hunderte Kilometer ins Flachland geschleppt, vom winzigen Tonpartikel bis zum tonnenschweren Findling. In der Norddeutschen Tiefebene liegt der Schutt noch heute - eine durchschnittlich gut 100, mitunter bis zu 500 Meter dicke Decke aus Sand und Ton, Kieselsteinen und Felsbrocken aus jener Zeit, als hierzulande klimatische Bedingungen wie in der Arktis herrschten. Zutage tritt das Material vor allem an den Steilufern der Ostsee: Dort lassen sich mit wenig Mühe Dutzende verschiedenartige Steine auflesen, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Mineralen ohne ersichtliche gemeinsame Herkunft, sowie Unmengen Feuersteine.

Strandfunde
Schatzsucher: Nach einem Sturm hat die Brandung neues Material angespült
© Erik Gross

Für Fossilienjäger ist die Fülle ein Glücksfall: Denn zum Teil kommen hier Lebensspuren aus weit auseinanderliegenden Perioden der Erdgeschichte ans Licht. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie allesamt in Sedimentgesteinen enthalten, die beispielsweise durch Ablagerung von Tonpartikeln, Sand oder Schalen abgestorbener Meerestiere entstehen. Die ältesten Relikte finden sich etwa in meist cremefarbenen, zuweilen auch grün-grauen Sandsteinen aus dem Zeitalter des Kambriums und sind immerhin eine halbe Milliarde Jahre alt!

Es handelt sich um rätselhafte Spuren lange schon ausgestorbener Tiere, die am oder im Meeresboden lebten, wo sie dicht nebeneinander liegende Röhren anlegten. Und mit sehr viel Glück bekommt man dann versteinerte Reste von Trilobiten zu Gesicht - archaischen Gliederfüßern, deren älteste Vertreter im Kambrium lebten und die mit unseren heutigen Tausenfüßern, Spinnen und Insekten verwandt sind.

Sonderbare Organismen

Ähnlich begehrt und zuweilen kaum jünger sind die Kopfund Schwanzschilde von Agnostiden; das sind wenige Millimeter lange, mit den Trilobiten verwandte Tierchen, die sich vor allem in bestimmten Tonund Kalksteinen erhalten haben. Oder die Abdrücke winziger Muschelkrebse, 420 Millionen Jahre alt, unter anderem zu finden im „Beyrichien-Kalkgestein“. Auch die Reste früher Fische lassen sich darin entdecken: Stacheln und Knochenfragmente sowie die winzigen Zähne urzeitlicher Haie.

Die schneeweißen, „nur“ gut 70 Millionen Jahre alten Kreideablagerungen von Rügen und Møn wiederum bergen gleich Hunderte verschiedene Arten interessanter Fossilien — darunter versteinerte Seeigel, Korallen, Armfüßer (Brachiopoden), Seelilien- und Seesternfragmente sowie zahllose Schwämme (die häufigsten Fossilien überhaupt). Vergleichsweise junge Sedimentsteine sind dagegen gerade einmal mehrere Zehntausend bis zweieinhalb Millionen Jahre alt. Die fossilen Muscheln und Schnecken, die sich in ihnen recht häufig finden lassen, erinnern schon deutlich stärker an heutige Arten.

Zwischen diesen Extremen, den sehr alten und den jüngeren Gesteinen, findet sich an den Küsten der Ostsee die ganze Bandbreite all jener teils sonderbaren Organismen, die einst die Ozeane bevölkerten - und die heute als versteinerte Zeitzeugen jeden begeistern, der sie mit wachem Blick aufspürt. Wer sich ein wenig mit Aussehen und Herkunft der jeweiligen Tier- und Pflanzenrelikte beschäftigt, wird verblüfft sein, wie facettenreich die Welt der fossilen Lebewesen ist — und wie rasch sich ein gewöhnlicher Spaziergang am winterlichen Strand zu einem überraschenden Ausflug in die Naturgeschichte wandeln kann. Man muss nur genau hinschauen.

Das Sammeln an Stränden ist in kleinen Mengen fast überall erlaubt. Besonders seltene Funde müssen in Dänemark oder Schweden jedoch in den geologischen Museen vorgelegt werden. Tipps zum Finden und Bestimmen von Donnerkeilen, Seeigeln, versteinerten Schnecken und Kreideaustern bietet das Buch "Fossilien sammeln an der Ostseeküste" von Andrea Rohde.

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