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Hirnforschung Warum wir unterbewusst erkennen, ob jemand krank ist

Müde Frau
Selbst wenn wir nicht permanent in Taschentücher tröten. Unser Aussehen und Geruch verraten, ob wir krank sind
© Patrick John / photocase
Erkennen wir, wenn andere krank sind? Eine Studie legt das nahe. Hirnforscher Henning Beck erklärt unseren „Krankheitssinn“

Es ist die Zeit von Erkältungen, Schnupfen und Heiserkeit. Alle Hypochonder sind jetzt besonders wachsam und müssen konsequenterweise allen Bazillenschleudern aus dem Weg gehen.

Aber wie erkennen wir, ob jemand krank ist? Eine Schniefnase, Husten- und Niesattacken sind ja noch untrügliche Erkältungszeichen. Doch infektiös können Menschen auch sein, wenn sie nicht permanent in Taschentücher tröten – und dennoch erahnen wir unterbewusst die kleinsten Krankheitsanzeichen. Als hätten wir einen zusätzlichen „Krankheitssinn“.

Diese besondere Eigenschaft unseres Gehirns kam heraus, als man untersuchte, wie Probanden auf Bilder und Körpergerüche kranker oder gesunder Mitmenschen reagierten. Um die Laborbedingungen möglichst konstant zu halten und nicht einen an saftiger Influenza Erkrankten mit einem von harmlosem Männerschnupfen Betroffenen zu vergleichen, behandelte man alle Testpersonen gleich: Einmal bekamen sie eine Salzlösung injiziert, ein anderes Mal eine kleine Dosis Lipopolysaccharide verabreicht – eine Substanzgruppe, die in der Wand von Bakterien vorkommt und unserem Immunsystem richtig einheizt. Für die Teilnehmer gab es einen Kinogutschein als Entschädigung dafür, dass sie sich absichtlich haben krank machen lassen.

Schweißproben der Gesunden kamen besser an

Eine zweite Gruppe sollte nun anhand von Porträtfotos und Schweißproben (die nur wenige Stunden nach der Injektion genommen wurden) beurteilen, wer aus der ersten Gruppe besonders sympathisch rüberkommt. Erstaunlicherweise schätzte man dabei schon anhand der möglichst neutral gehaltenen Porträts die Testpersonen im gesunden Zustand als attraktiver ein als im kranken.

Der Geruchstest bestätigte das – die Schweißproben der Gesunden kamen besser an als die von den Probanden im kranken Zustand genommenen. Vielleicht sollte man auch besser sagen: kamen nicht so schlecht an. Denn wer riecht schon gern am Schweiß aus fremden Achselhöhlen?

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© Geo

Parallel durchgeführte Hirnscans zeigten überdies, dass die Hirnregionen für Geruchs- und Gesichtsverarbeitung verstärkt aktiv waren und gemeinsam auf eine weitere Region einwirkten: den intraparietalen Sulcus, eine Großhirnfurche, die im hinteren Scheitelbereich liegt und vermutlich unser Vermeidungsverhalten steuert. Alle Hypochonder wissen nun endlich, wo ihre Gabe, Krankheiten zu erahnen, liegt: im intraparietalen Sulcus, quasi dem anatomischen Sitz ihres besonders ausgeprägten Krankheitssinns.

Doch ob dieser evolutionäre Schutzmechanismus automatisch ein Vermeidungsverhalten auslöst, ist nicht ganz klar. Es könnte auch andersherum sein und unser „sechster Sinn für Krankheiten“ zu mehr sozialer Nähe führen. Schließlich haben Eltern keine Probleme damit, die Rotznase ihres Kindes liebevoll abzuwischen und noch einen Genesungskuss hinterherzuschicken.

Literatur: Regenbogen C. et al. (2017): Behavioral and neural correlates to multisensory detection of sick humans, Proc Natl Acad Sci USA, 114 (24): 6400–6405

Dr. Henning Beck ist Buchautor, preisgekrönter Science-Slammer und arbeitet als Neurobiologe in Frankfurt/Main. Für GEO kommentiert er jeden Monat die neuesten Ideen aus der Neuro-Szene.

GEO Magazin Nr. 12/2017 - Wie gut sind wir wirklich?

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