Anzeige

Interview Die Geschichte der Inquisition und ihre Folgen für die Kirche heute

Inquisition
© mauritius images / PAINTING / Alamy
Die Geschichte der Inquisition beschäftigt die Kirche bis heute. Ein Gespräch mit dem Historiker Hubert Wolf über die Unmenschlichkeit einer Verfolgungsbehörde, ihren finstersten Moment – und ihren größten Segen

GEO Epoche: Herr Professor Wolf, Sie haben als einer der ersten Außenstehenden das geheime Archiv der Inquisition studiert. Wie kam es dazu?

Prof. Hubert Wolf: Ich habe meine Doktorarbeit über einen Theologen geschrieben, der im 19. Jahrhundert einen Prozess vor der Römischen Inquisition durchstehen musste. Ich wollte dessen Untersuchungsakten einsehen und habe mich an die Glaubenskongregation gewandt. Und nach längerem Hin und Her hat der damalige Präfekt, Joseph Kardinal Ratzinger, beim Papst eine Sondererlaubnis erwirkt. Wir fuhren mit einem Fahrstuhl in die Tiefe, und dann öffnete sich die Tür. Ein unglaublicher Moment. Das Archiv war in dem Zustand, in dem es all die Jahrhunderte gewesen war: alte Regale aus edlem Holz, mehrere Kilometer staubbedeckter Akten.

Was war Ihre größte Überraschung?

Dass es so gut wie keine Dokumente zu den modernen Naturwissenschaftlern gab, die das Weltbild der Kirche massiv infrage gestellt haben. Nicht mal eine Akte „Charles Darwin“ hatte die Inquisition angelegt, keinen Eintrag über ihn auf dem Index der verbotenen Bücher.

Dabei hatte Darwins Evolutionstheorie die katholische Vorstellung von der Schöpfung ja komplett aus den Angeln gehoben.

Ich nehme an, dass die Inquisitoren aus dem Fall Galilei gelernt hatten. Sie akzeptierten die Ergebnisse der Forscher, solange sie als Hypothesen formuliert waren und nicht gezielt in einen Widerspruch zu Aussagen der Heiligen Schrift gestellt wurden. Und ernsthafte Naturwissenschaftler werden ja ohnehin nichts anderes als geprüfte Hypothesen vertreten. So konnte man sich auf lange Sicht sogar mit Darwin arrangieren.

GEO Epoche - Inquisition
Die Inquisition: Verfolgung und Gewalt im Namen der Kirche - jetzt in der Ausgabe Nr. 89 von GEO Epoche
© GEO EPOCHE

War demnach mit dem Prozess gegen Galileo Galilei die Arbeit der Inquisition im Prinzip beendet?

Nein. Ihre erklärte Grundaufgabe bestand ja weiter: die Wahrheit und Reinheit des Glaubens zu schützen. Aber bei der Römischen Inquisition verschob sich der Akzent. Gegründet wurde sie 1542 ja als antiprotestantisches Instrument. In der Zeit nach Galilei ging es aber um die Disziplinierung nach innen, aus vielfältigen Katholizismen sollte ein Einheitskatholizismus gemacht werden. Die Inquisition wurde immer mehr zu einem Instrument innerkirchlicher Kontrolle. Je nachdem, welcher Papst an der Macht war, traf es mal diese, mal jene Abweichler.

Wurde nicht die schon bald aufkommende Aufklärung zum Problem für die Inquisition? Die formulierte ja eine grundsätzliche Kritik an der Institution.

Die Aufklärung drang sogar direkt in die Inquisition ein: Eine der größten Sammlungen von Büchern der Aufklärung befand sich zu jener Zeit in der Bibliothek der Dominikaner in Rom; und manche Inquisitoren waren durchaus von der Aufklärung beeinflusst. Daher hatten sie im Umgang mit Philosophen der Aufklärung eine mitunter überraschend milde Position.

Dann aber kam Napoleon und schaffte die Inquisition ab.

Und er verschleppte die Archive nach Paris. Doch nach dem Ende Bonapartes wurde die Behörde 1814 wiedererrichtet, und nun war sie deutlich reaktionärer. Es setzte sich die Meinung durch, dass die Aufklärung nur zu Guillotine und Chaos geführt habe. Also brauchte es eine neue Ordnung – und wer garantierte sie? Die katholische Kirche. Deshalb kam erst jetzt der große Schlag gegen die Aufklärer und Neuerer.

Das wirkliche Ende der Römischen Inquisition vollzog sich dann allerdings von innen.

Ja, und zwar durch Papst Paul VI. höchstpersönlich – und nicht ohne einen gewissen Genuss, denn die Inquisitoren hatten ihm als jungem Mann auf die Finger geklopft, weil er kritische theologische Werke gelesen hatte. Per Dekret hob Paul VI. im Jahr 1965 die Behörde in der bisherigen Form auf: auch deshalb, weil innerhalb der Kirche die Kritik an der Überwachungsinstanz immer lauter geworden war.

Aber es gab eine Nachfolgeorganisation.

Die „Glaubenskongregation“, wie sie seither heißt, ist aber deutlich abgewertet in ihrer Bedeutung, auch der Index der verbotenen Bücher ist abgeschafft worden. Und die neue Institution sollte die Kirche nicht durch Bann und Zwang schützen, sondern den Glauben positiv entfalten und zeigen, wie moderne Menschen glauben können. Was freilich nur bedingt funktionierte. Denn die Glaubenskongregation wurde unter der Hand doch wieder zu einer Überwachungsinstitution – etwa, als sie rigide gegen die Befreiungstheologie in Lateinamerika vorging. Da wurden wieder Verurteilungen ausgesprochen. Allerdings gab es nun nur noch rein kirchliche Strafen, Exkommunikation etwa. Und bei Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche hat die Glaubenskongregation Geistliche zwangsweise in den Laienstand zurückversetzt.

Diese Strafen allerdings sind harmlos im Vergleich zu dem, was die Inquisition in ihrer vielhundertjährigen Geschichte mit ihren Opfern gemacht hat.War die Inquisition die größte Sünde der katholischen Kirche?

Das lasse ich einmal dahingestellt. Aber so viel steht fest: Man muss heute jede inhumane Praxis der historischen Inquisition ohne Wenn und Aber als solche benennen und offen und ohne jede Beschönigung über das Leid der Opfer sprechen. Dennoch würde ich als Historiker auch sagen: Der Inquisitionsprozess als solcher, als Verfahren, war eine segensreiche Erfindung. Denn er brachte rechtshistorisch eine Neuheit – nämlich die Rolle des Staatsanwalts, in Gestalt des Inquisitors. Die Kirche führte eine Untersuchung von Amts wegen ein, eine inquisitio. Das war ein Fortschritt. Bis dahin konnten sich etwa Adelige und Bischöfe bei schwerwiegenden Vergehen einfach durch einen Reinigungseid freisprechen und behaupten, sie hätten nichts Unrechtmäßiges getan. Fortan ging es um Fakten, Beweise und Zeugen.

Ab wann wurde es dann verhängnisvoll?

Als Papst Innozenz IV. im Jahr 1252 die Folter im Zusammenhang mit dem Inquisitionsprozess erlaubte. Dadurch wurde eine fortschrittliche Form der Wahrheitsfindung pervertiert – weil jetzt in Glaubensdingen die Folter eingesetzt wurde, was der Tradition der Kirche widersprach.

Was viele heutzutage tief befremdet, ist vor allem die Tatsache, dass die Inquisition die Menschen verurteilte, weil sie anders geglaubt, anders gedacht, sich religiös anders verhalten haben.

Unser heutiges Bewusstsein ist durch die Aufklärung geprägt und sträubt sich zu Recht gegen jede Inkriminierung des Glaubens und der Gedanken. Doch historisch gesehen gehörte die Zensur zum Alltag: So waren beispielsweise noch die von Metternich initiierten Karlsbader Beschlüsse von 1819 weitaus härter als alles, was in jener Zeit die Römische Inquisition in Sachen Buchzensur unternahm. Dass es einen Schutz geben muss vor gefährlichen Gedanken und falschem Glauben, das war für mittelalterliche Menschen wie auch für frühneuzeitliche Staaten und Religionsgemeinschaften ganz normal.

Wer durch religiöse Abweichung riskierte, dass Gott das ganze Gemeinwesen züchtigte, wer also das Wohl aller aufs Spiel setzte, musste auf Linie gebracht werden?

So weit würde ich nicht gehen. Zugegeben: Es hat viel Negatives gegeben bei den unterschiedlichen Inquisitionen – denn historisch gesehen hat es die Inquisition im Singular nie gegeben. Aber vieles, was da hineinprojiziert wird, trifft schlicht nicht zu. So hat sich die Römische Inquisition definitiv nicht an der Hexenverfolgung beteiligt. Sie hat sogar eine Instruktion gegen den Hexenwahnveröffentlicht, in der steht, dass viele Frauen zu Unrecht verfolgt würden, da vieles, was man ihnen als Teufelswerk unterstelle, natürliche Ursachen habe.

Wie steht die Kirche heute zur Inquisition?

Die Inquisitionen der Geschichte werden einhellig als mit der Wahrheit und Freiheit des Evangeliums unvereinbar angesehen. Es ist auch unbestritten, dass die Inquisition – vor allem bei Bücherverboten – ein Misserfolg war. Der Buchdruck, das Medium neuzeitlicher Wissenskultur, war einfach nicht zu kontrollieren. Insofern glaube ich, dass man die Wirkung inquisitorischen Vorgehens der Kirche möglicherweise überschätzt.

Sie sind nicht nur Historiker, sondern auch geweihter Priester. Fällt Ihr Urteil über die Geschichte der Inquisition eigentlich als Kirchenmann anders aus?

Nein. Weil es beiden um Wahrheit und Wahrhaftigkeit geht und die Wahrheit des Glaubens keine Zwangsmaßnahmen braucht, sondern den offenen Diskurs geradezu verlangt.

GEO EPOCHE Nr. 89 - Die Inquisition

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel