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Alarmierender Bericht Wie gebietsfremde Arten ganze Ökosysteme verändern

Wegen seines Pelzes wurde der Waschbär einst von Nordamerika nach Deutschland gebracht. Inzwischen hat er sich im ganzen Land ausgebreitet
Wegen seines Pelzes wurde der Waschbär einst von Nordamerika nach Deutschland gebracht. Inzwischen hat er sich im ganzen Land ausgebreitet
© Britta Pedersen/dpa
Der Japankäfer, der Felder abfrisst, die Pazifische Auster, die die Strömungen im Wattenmeer verändert, und ein neuer Pilz, der Salamander tötet: Invasive Arten richten riesige Schäden an. Ein internationaler Bericht zeigt, wie gravierend das Problem ist

Die Bisamratte und die Tigermücke, die Pazifische Auster und der Japankäfer - sie alle haben sich an Orten weit weg von ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet angesiedelt. Und sorgen dort mitunter für große Probleme: Die Folgen der Ansiedlung sogenannter invasiver Arten werden einem internationalen Bericht zufolge bisher massiv unterschätzt. So gelten die eingeschleppten oder absichtlich angesiedelten Spezies als eine der Hauptursachen für den weltweiten Artenrückgang - bei 60 Prozent aller ausgestorbenen Tiere und Pflanzen waren demnach gebietsfremde Arten maßgeblich am Verschwinden beteiligt. Und da immer mehr Menschen reisen und immer größere Warenströme ausgetauscht werden, dürfte das Problem in Zukunft noch zunehmen. Der Bericht wurde von dem in Bonn angesiedelten Weltbiodiversitätsrat (IPBES) veröffentlicht. 86 Expertinnen und Experten aus 49 Ländern haben daran vier Jahre gearbeitet.

"Es ist der erste Bericht, der das Problem so global und umfassend behandelt", sagte Sven Bacher, Professor für Ökologie und Evolution an der schweizerischen Universität Freiburg. "Jetzt haben wir endlich eine Datengrundlage, mit der wir zeigen können, wie groß das Ausmaß dieses Phänomens ist."

Insgesamt sind vorsichtigen Schätzungen zufolge mittlerweile 37.000 gebietsfremde Arten durch das Einwirken des Menschen aus ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in andere Regionen gebracht worden. Etwa 3500 dieser Arten richten Schäden an - sie sind die sogenannten invasiven Arten. Die jährlichen wirtschaftlichen Kosten betrugen dem Bericht zufolge im Jahr 2019 423 Milliarden Dollar (392 Milliarden Euro).

Für Deutschland gibt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) 900 gebietsfremde Arten an, von denen etwa 90 invasiv sind. "Diese Zahlen sind sehr zurückhaltend", sagt dazu der IPBES-Experte Hanno Seebens. "Nach unseren Datenbanken haben wir in Deutschland mindestens 2600 etablierte gebietsfremde Arten, von denen ein Teil invasiv ist." All diese Zahlen bezögen sich nur auf dokumentierte Arten - es gebe mit Sicherheit eine hohe Dunkelziffer.

Manche Art kann auch für Menschen gefährlich werden

Eine invasive Art ist zum Beispiel ein Pilz mit dem Namen Salamanderpest, der tödlich für Feuersalamander-Populationen ist. Er hat sich von den Niederlanden aus nach Deutschland verbreitet. "In den letzten Jahren haben wir den auch schon in Bayern gefunden, und jetzt haben wir große Angst, dass er sich noch weiter ausbreitet", erläutert Bacher. Es gebe aber auch invasive Arten, die ganze Ökosysteme veränderten. "Da könnte man die Pazifische Auster anführen, die in der Nordsee große Austernbänke bildet und dadurch sogar die Strömungsverhältnisse im Wattenmeer verändert. So wird der Lebensraum als Ganzes durch eine einzige invasive Art stark beeinflusst."

Neben diesen Naturschäden gibt es aber auch starke wirtschaftliche Schäden. So zerstören Bisamratten - ursprünglich wegen ihres Pelzes eingeführt - vielfach Uferbefestigungen. Der Japankäfer wiederum fällt über Felder her und frisst alles kahl. In der Schweiz wird dagegen mit Pestiziden auch in privaten Gärten vorgegangen. Auch für den Menschen können bestimmte Arten gefährlich werden: So ist die Asiatische Tigermücke potenziell Überträgerin von Krankheiten.

Seebens ist es wichtig zu betonen, dass nicht die invasiven Arten selbst diese Entwicklung auslösen, sondern der Mensch, der sie von einem Kontinent auf den anderen verpflanzt. Seit den 1950er Jahren nimmt die Verbreitung gebietsfremder Arten weltweit zu - und das immer schneller. "Aktuell erreichen wir eine Dimension von etwa 200 neuen Arten weltweit jährlich", so Seebens. Die dahinter liegenden Triebkräfte wie etwa der internationale Handel, aber auch die Zerstörung von Habitaten nähmen immer weiter zu. "Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend irgendwie abschwächen wird - im Gegenteil."

Die positive Nachricht ist, dass es nach dem einhelligen Urteil der Wissenschaftler erprobte und effiziente Maßnahmen zum Gegensteuern gibt. "Am besten ist es natürlich, die Verbreitung solcher Arten von vornherein zu verhindern - durch Prävention", betont Bacher. "Es gibt schon internationale Abkommen, etwa für Schifffahrt, für Ballastwasser, aber das Problem ist, dass sie nicht richtig eingehalten werden." Die Wissenschaftler fordern deshalb strengere Kontrollen. Auch sei ein koordinierteres Vorgehen wichtig. Es mache wenig Sinn, nur auf lokaler Ebene gegen das Problem anzukämpfen, denn invasive Arten halten sich natürlich nicht an Verwaltungs- und Ländergrenzen. Die Umweltschutzorganisation WWF weist darauf hin, dass über 80 Prozent aller Staaten bisher keine speziellen Gesetze oder Vorschriften für Invasions-Prävention und -Kontrolle besäßen.

Auch der Einzelne ist gefragt. "Viele von uns haben zum Beispiel gebietsfremde, vielleicht sogar invasive exotische Pflanzen im Garten stehen", so Bacher. "Oder ein anderes Beispiel: Wir bereisen immer entlegenere Gebiete, fliegen dann zurück und benutzen hier die Wanderschuhe, an denen sich noch Erde vom anderen Ende der Welt befindet. Auf diese Weise tragen wir unter Umständen selbst dazu bei, völlig fremde Arten hier anzusiedeln."

dpa

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