Anzeige

Mittelalter Waren Ratten unschuldig an der schnellen Ausbreitung der Pest?

Ratten waren wohl zu langsam, um die rapide Ausbreitung der Pest im Mittelalter zu erklären
Ratten waren wohl zu langsam, um die rapide Ausbreitung der Pest im Mittelalter zu erklären
© picture alliance / abaca | Morissard Aurelien/ABACA
Eine neue Studie weckt Zweifel an der These, dass Ratten verantwortlich waren für die rapide Ausbreitung der Pest im Mittelalter

Die Pest forderte im Europa des Mittelalters Millionen Tote. Und grub sich als "Schwarzer Tod" tief in das kulturelle Gedächtnis des Kontinents ein. Erst spät im 19. Jahrhundert wurde ein Schuldiger ausgemacht: die Ratte. Genauer: Ratten-Flöhe, die mit dem Blut ihrer Wirte das Bakterium Yersinia pestis aufnehmen und auf Menschen übertragen.

Nun ist es zwar unstrittig, dass Ratten und Dutzende andere Nagetiere, etwa Murmeltiere, natürliche Reservoire des Bakteriums sind – ebenso wie die Flöhe, die an ihrem Blut schmarotzen. Doch die Rolle der Nager bei der Ausbreitung der Infektionskrankheit könnte bislang überschätzt worden sein. Das zeigen Forschende in einer Studie, die kürzlich im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschien.

Der Pest-Erreger ist noch da

Weltweit gab es drei große Pest-Pandemien: vom frühen 6. bis zum späten 8. Jahrhundert, vom 14. bis zum 19. Jahrhundert und seit 1894. Doch zumindest Europa gilt heute als pestfrei. Der Grund dafür könnte sein, dass die Umweltbedingungen für das Überleben des Erregers hier eher ungünstig sind – und es auch in der Vergangenheit waren.

Zu den begünstigenden Faktoren zählen laut der Studie das Vorkommen von Kupfer und Magnesium im Boden, ein hoher pH-Wert des Bodens, außerdem geringe Niederschläge – auch wenn die biologischen Zusammenhänge bislang unklar sind. Im Südwesten der USA oder in China sind diese Bedingungen erfüllt – und hier gibt es in wilden Nager-Populationen bis heute natürliche Pest-Reservoire.

In Zentralasien könnte es nach heutigem Kenntnisstand aktive Reservoire schon seit Jahrtausenden geben. Hinweise darauf fanden die Forschenden sowohl in erhaltenem Erbmaterial als auch in überlieferten Berichten. Nach Europa, so schlussfolgern die Autoren, muss die Krankheit also mehrfach eingeschleppt worden sein.

Pest des Mittelalters breitete sich in Rekordtempo aus

Neben den Umweltfaktoren haben sich die Autorinnen und Autoren auch den zeitlichen Verlauf der Pest-Ausbrüche in Europa angesehen. Und kommen zu dem Ergebnis, dass die Pest des Mittelalters sich schneller ausbreitete als irgendeine andere Krankheit davor und danach – bis zum Cholera-Ausbruch der 1830er Jahre. Zu schnell jedenfalls, als dass Ratten als Überträger (der Überträger) in Betracht kommen.

"Die Geschwindigkeit, mit der sich der Schwarze Tod ausbreitete ... legt nahe, dass sich langsam bewegende Ratten nicht die entscheidende Rolle bei der Übertragung der Krankheit gespielt haben, die ihnen oft zugeschrieben wurde", resümieren die Studienautoren, Samuel Cohn und Philip Slavin von den Universitäten Glasgow und Stirling, in einem Beitrag für das Wissenschaftsmagazin "The Conversation".

Stattdessen, so schlagen die Autoren vor, könnte die Lungen- ebenso wie die häufigere Beulenpest weitaus effizienter von Mensch zu Mensch übertragen worden sein. Sei es über den Umweg von Flöhen oder Läusen, durch Berührung oder durch Tröpfcheninfektion. Vielleicht also ist es an der Zeit, die Ratten zu rehabilitieren.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel