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Tierportrait Hochspringer, Profitaucher, Supernase: Das geheime Leben der Elche

Elch aus der Vogelperspektive, der einen See zum Ufer durchquert
Wenn Elche auf Wanderschaft gehen, hält sie wenig auf: Mit ihren langen Beinen durchschreiten sie mühelos flache Gewässer
© Staffan Widstrand / Collection: Corbis Documentary / Getty Images
Sie sind die größten Hirsche der Welt und vollbringen Verblüffendes: Elche können räumlich riechen, kilometerweit schwimmen und minus 50 Grad ertragen. Was ist ihr Geheimnis?

Er ist ein Wanderer zwischen den Welten. Ein Langstreckenschwimmer und Tiefschneeläufer. Ein Hochspringer und Profitaucher, ein Muskelprotz und Heimlichtuer. Einer, bei dem auch die Frauen einen Bart tragen und die Männer einen Schallverstärker auf dem Kopf. Er ist durchaus ein großer Unbekannter. Und doch glaubt jeder, ihn zu kennen. Vielleicht, weil er so sympathisch wirkt. Oder weil er Rekorde hält: Schließlich überragt der Elch mit einer Schulterhöhe von bis zu 2,30 Metern alle anderen Vertreter seiner Familie. Der größte Hirsch der Welt wuchtet locker zwölf Zentner auf die Waage. Und kommt trotzdem alles andere als wuchtig daher. Wenn er eines seiner stelzenhaften Beine mit Bedacht vor das andere setzt, strahlt er Anmut und Grazie aus.

Elche mögen es langsam und lassen sich in der Regel nicht anmerken, dass sie auch ganz anders können. Aus dem Stand anderthalb Meter hohe Hindernisse überspringen? Kein Problem! Ein Tempo von 55 Kilometern pro Stunde erreichen? Wenn es sein muss.

Welche Ausdauer in ihnen steckt, zeigt sich besonders eindrucksvoll, wenn Elche auf Wanderschaft unbeirrt mächtige Schneefelder durchschreiten, Sümpfe und Moore queren. Für diese Wege tragen sie eine Einsinksperre an den Füßen: Ihre gespaltenen Hufe sind breit, lassen sich weit spreizen und bieten so sicheren Halt im Morast. Praktischerweise wachsen auf ihren langen Beinen sehr kurze Haare, was unter widrigen Bedingungen das Fortkommen erheblich erleichtert: Nasser Schnee haftet nicht am knappen Fell.

Kälte macht Elchen ohnehin wenig aus: Ihr Rumpf ist bedeckt von derben, leicht gekräuselten Haaren, die zahllose Hohlräume formen. Darin sammelt sich Luft und sorgt für effiziente Wärmedämmung. So effizient, dass die Tiere sogar klirrende minus 50 Grad Celsius ertragen, jedoch ab einer Temperatur von rund 14 Grad plus ihre Aktivitäten zunehmend in die Nacht verlegen und tagsüber zur Abkühlung schattige Plätze aufsuchen. Vielleicht schützt auch der Bart vor Überhitzung, er wächst beiden Geschlechtern. Noch gibt die Funktion dieses von Adern durchzogenen Kehllappens Rätsel auf. Doch Forschende spekulieren, dass das bis zu 50 Zentimeter lange Anhängsel der Thermoregulation dienen könnte: Blut wird beim Durchfließen womöglich gekühlt und strömt anschließend wieder in den Körper zurück.

Beim Schwimmen wagen sich Elche teils weit auf das offene Wasser 

Wenn Elche sich ein Ziel in den Kopf gesetzt haben, halten sie selbst mächtige Flüsse und eisige Seen nicht auf. Wasser, das ist quasi ihr zweites Element. Mühelos können die Hirsche 20 Kilometer in den Fluten zurücklegen. Eine gewisse Popularität erlangte ein Tier, das vor etlichen Jahren an der südschwedischen Küste in die Ostsee stieg und offenbar mehrere Kilometer über den Öresund bis zum dänischen Seeland schwamm. Solche waghalsigen Ausflüge enden zuweilen auch tragisch. Auf einen Elch, der vor Pleasant Island, Alaska, im Meer badete, wurde ein Trupp Schwertwale aufmerksam – der den Abenteurer eine Meile vor der Küste tötete.

Elche im Schnee Drohnenaufnahme
An sich sind Elche Einzelgänger, doch im Winter finden sich die Tiere zuweilen in kleineren Gruppen zusammen
© Orsolya Haarberg / Nature Picture Library

Zwar wandern mitnichten alle Elche. Die meisten Tiere sind sogar „standorttreu“, fühlen sich über eine lange Zeit ihres Lebens in einem Revier von mehreren Quadratkilometern Größe wohl. Andere aber zieht es in die Ferne. So verlassen vor allem Jungtiere die ihnen vertrauten Gegenden, wenn dort bereits viele Elche leben – 80-Kilometer-Tagesmärsche sind dann keine Seltenheit.

Und wieder andere machen sich Jahr für Jahr auf den immer gleichen Weg von den Sommer- zu den Winterquartieren – und wieder zurück. Gut möglich, dass diese Wanderlustigen ihre Routen über viele Generationen, vielleicht schon jahrtausendelang benutzen. Während der warmen Monate bevorzugen manche Elche in Schweden bergigeres Terrain, in der frostigen Saison wechseln sie dann zu tiefergelegenen Revieren, wo sich der Schnee nicht ganz so hoch türmt und sie mehr Nahrung finden.

Der Elch ist der einzige Paarhufer der Welt, der unter Wasser grasen kann

Üblicherweise sind die Tiere allein unterwegs: Abgesehen von der Paarungssaison im Herbst führt Alces alces eher ein Leben als Eigenbrötler. Und ist dabei stets auf der Hut. Denn auch der Hüne hat Feinde: vor allem in jungen Jahren Wölfe und Bären, Luchse und Vielfraße. Nicht zufällig tragen Elche eine Tarntracht – hellgrau an den Beinen, dunkelbraun bis schwarz an Kopf und Rumpf – und machen sich so im Dickicht fast unsichtbar.

Obendrein entgeht den Tieren kaum etwas. Denn Elche sind Sinnesmeister. Zwar sind ihre Augen eher durchschnittlich. Aber das Gehör ist spitze: Die löffelförmigen Ohren sind ständig in Bewegung, drehen sich unabhängig voneinander in alle Richtungen, sondieren die Umgebung. Und befähigen die Giganten, ein verdächtiges Geräusch selbst aus drei Kilometer Distanz genau zu orten. Wahrscheinlich können die Bullen besser hören als die Elchkühe. Jedenfalls, bevor sie im Winter ihr imposantes Geweih abwerfen: Der schaufelförmige Kopfputz kann mehr als zwei Meter überspannen und reflektiert, wie Studien ergaben, Schall in Richtung der Ohren – ein Hörrohr aus Haut und Knochen.

Elchkuh mit Kalb
Im Mai bringen Elchkühe ein bis zwei Junge zur Welt. Schon nach einer Viertelstunde können die Kleinen ihrer Mutter folgen
© Staffan Widstrand / Getty Images

Und was er nicht hört, das wittert der Elch. Seine knuffige Nase verleiht ihm eine exklusive Fähigkeit: das 3-D-Riechen. Die großen Nüstern liegen so weit auseinander, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Aromen die Riechkanäle in unterschiedlichen Konzentrationen erreichen. So vermag der Elch Richtung und Entfernung einer Duftquelle zu detektieren – sei es die Ausdünstung eines Feindes, das lockende Bouquet eines potenziellen Partners. Oder der Duft von Futter.

Und auch hier, in puncto Ernährung, tanzt Alces alces aus der Reihe. Zwar knuspert er, wenig überraschend, mit Vorliebe Früchte, Kräuter, Knospen, Laub. Dabei hilft ihm seine eigentümlich gewölbte Oberlippe, auch Muffel genannt, Grünzeug von Zweigen zu rupfen. Doch der Elch ist wohl der einzige Paarhufer der Welt, der imstande ist, unter Wasser zu weiden. Selbst Flusspferde, ebenfalls Paarhufer und tagsüber in Gewässern dümpelnd, gehen nachts an Land, um im Schutz der Dunkelheit zu grasen.

Elch im Portrait
Der Elch ist der größte Hirsch der Welt: Den Bullen wächst ein imposantes Schaufelgeweih, das bei europäischen Tieren bis zu 1,35 Meter breit und 20 Kilogramm schwer wird
© Erlend Haarberg / Nature Picture Library

Elche dagegen entschließen sich bei Gelegenheit, zum Futtern ein Bad in einem Fluss oder See zu nehmen. Dort holen sie ordentlich Luft, verschließen die klappenförmigen Nasenlöcher – und tauchen ab, bis zu sechs Meter tief. Etwa eine Minute können Elche den Atem anhalten und am Seegrund nahrhafte Wasserpflanzen fressen. Tatsächlich fragen sich Forschende, ob urtümliche Paarhufer, deren Nachfahren sich vor vielen Jahrmillionen zu reinen Meereswesen entwickelten, einen ähnlichen Ernährungsstil pflegten. Doch anatomische Studien lassen vermuten, dass selbst sie anfangs nicht unter Wasser fressen konnten. Der Elch, er hätte sogar den Ahnen der Wale etwas voraus.

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