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Protest auf Tahiti Korallen sterben für Olympia: Wie Surfer um ihr Paradies kämpfen

Ein Mann bläst am Strand von Teahupoo in ein Schneckenhorn
Ein Surfer bläst in ein Schneckenhorn, ein mystischer Ton erklingt. Die Demonstration beginnt.
© Jennifer Köllen
Die Welle von Teahupoo ist eine der gefährlichsten der Welt. Trotzdem soll hier der Surf-Wettbewerb von Olympia 2024 stattfinden. Um die Infrastruktur zu schaffen, wurden bereits Teile des Korallenriffs zerstört. Viele Surfer versuchen verzweifelt, die Natur zu retten und die Veranstalter zu stoppen. Unsere Redakteurin berichtet aus Tahiti

Wenn ein Surfer stirbt, paddeln seine Freunde auf Surfbrettern raus aufs Meer. Sie bilden einen Kreis, halten sich an den Händen und beten. 

Heute soll am Strand von Teahupoo diese Zeremonie stattfinden. Um kurz vor 10 Uhr haben sich bereits um die Zweihundert Surfer eingefunden. Einige von ihnen sind schon die Welle von Teahupoo geritten – eine der gefährlichsten der Welt. Tonnenschwere Wassermassen treffen hier auf ein extrem flaches Korallenriff, stellenweise ist das Wasser nur 50 Zentimeter tief. Wer hier am falschen Ort stürzt, kann sterben.

Lorenzo Avvenenti hat schon einige schwere Blessuren von Stürzen auf das Riff davongetragen. Auf seiner Brust prangen große Narben von tiefen Schnitten. Der 30-Jährige steht in einer Gruppe, in Badeshorts, und hat die Arme vor dem Körper verschränkt. Seine Augen sind zusammengezogen. Man sieht, dass er sauer ist. 

Der Grund: Die Surfer und Einheimischen sind heute nicht zusammengekommen, um einem Freund die letzte Ehre zu erweisen. Sie trauern um das Korallenriff.

Surfer Avvenenti spricht bei einer Demonstration in Teahupoo zu Surfern
Avvenenti spricht zu den circa 200 Surfern. Sie kämpfen für die Natur, die Korallen, die Welle.
© Jennifer Köllen

Olympia auf Tahiti: Für drei Tage Wettbewerb wird Natur zerstört

Da Tahiti ein französisches Überseegebiet ist, wurde die spektakuläre Welle als Austragungsort des Surf-Contests der Olympischen Sommerspiele 2024 auserwählt. Das Problem: Damit die Kampfrichter einen guten Blick auf die Surfer haben, um ihre Leistungen beurteilen zu können, soll ein neuer Turm aus Aluminium im Meer nahe der Welle gebaut werden: drei Stockwerke hoch, 25 Tonnen schwer. Natürlich braucht es dafür massive Fundamente, die das Monstrum tragen sollen. Und diese sollen mitten in ein Korallenriff geschlagen werden, das dabei schwer zerstört werden würde. 

Bei einem Testlauf mit einem großen Lastkahn, der einmal den Turm aufs Meer bringen soll, sind durch die Turbinen große Stücke von Korallen abgesplittert. Das war vor zwei Tagen. Und das dürfte erst der Anfang gewesen sein.

Eine weitere Zerstörung der Natur wollen lokale Surfer um jeden Preis verhindern. Seit Wochen protestieren sie auf friedlichen Demonstrationen für die Erhaltung des Riffs, posten auf Instagram Video-Appelle mit dem Hashtag #saveteahupoo. Und finden weltweit Gehör. Sogar der elffache Surfweltmeister, Kelly Slater, hat neben 245.000 anderen eine Petition gegen den neuen Turm unterzeichnet. Er selbst gewann hier in Teahupoo mehrere Contests. 

Surfer auf Tahiti: "Die Natur ist alles, was wir haben – wir versuchen nur, sie zu schützen"

Auch die heute geplante Zeremonie soll den Druck auf die französische Regierung erhöhen. Avvenenti, der aus Teahupoo kommt, sagt im Gespräch mit GEO: "Wir sind keine Leute, die Probleme machen wollen. Die Natur ist alles, was wir haben – wir versuchen nur, sie zu schützen."

Den Surfern geht es nicht nur um das Korallenriff – sondern auch um den Ort Teahupoo, nach dem die Welle benannt ist. Er liegt am Ende einer Straße, inmitten von Palmen, an einer Lagune mit türkisfarbenem Meer. Wer in den Ort kommt, ahnt nicht, dass hier einer der bekanntesten Surfspots der Welt ist. Es gibt keine Shops mit Equipment, kein Hipster-Cafe, wie sie an anderen bekannten Surf-Orten wie Hossegor oder Peniche zu Dutzenden stehen.

Teahupoo ist ursprünglich – ein kleines Paradies. Oder sagen wir besser, war. Denn seit Monaten verliert dieser Ort immer mehr an Charme. Große Teile sind mit hohen Zäunen abgesperrt, Kräne ragen in den Himmel. Bagger haben die Hälfte des Strandes umgebaut, um eine Fußgängerbrücke und eine Aussichtsplattform für Touristen zu bauen. "Alles wird verändert, und das nur für drei Tage Contest. Früher haben an dem Strand hier jeden Sonntag Kinder gebadet und gespielt. Sehen Sie, es ist niemand da!"

Die Welle von Teahupoo
Der Ort Teahupoo erscheint hinter seiner weltberühmten Welle.
© imago images
Bauarbeitem am Strand von Teahupoo auf Tahiti
Die Bauarbeiten für Olympia am Strand von Teahupoo: viele Bagger, wenig Strand.
© Jennifer Köllen

Dafür ist jemand anderer heute an den Strand gekommen. An einem Baum lehnt Moetai Brotherson (54), seit Mai 2023 Präsident von Französisch Polynesien. Was bedeutet es für Avvenenti und den Protest, dass der Präsident heute gekommen ist? "Viel. Wir haben schon angefangen, die Hoffnung zu verlieren, aber dass uns der Präsident heute unterstützt, gibt mir ein gutes Gefühl." Zuletzt hätte er die Hoffnung in die tahitianische und französische Regierung verloren, sagt Avvenenti. "Sie hören nicht auf uns. Surfen gibt es erst seit 2020 bei den Olympischen Spielen. Die Verantwortlichen haben noch nie ein Surf-Event auf einem Korallenriff organisiert. Warum folgen sie nicht dem Beispiel der World Surf League (WSL), die hier seit 20 Jahren Events veranstaltet?"

Der Präsident versteht die Surfer – will Olympia aber nicht absagen. Und nun?

Die WSL nutzt für die Wettbewerbe seit jeher ebenfalls einen Turm, aber aus Holz. Auch dafür wurden Fundamente in das Riff geschlagen. Die Surfer fordern, dass dieser Turm auch für Olympia genutzt wird. Schließlich hatte die alte Regierung vor Brotherson ihnen versprochen, es würde sich für Olympia nichts ändern – alles würde so ablaufen, wie bei einem Contest der WSL. 

Auf die Frage, warum der alte Turm nicht ausreiche, sagt Präsident Brotherson: "Wir können die vorhandenen Fundamente des bestehenden Turms leider nicht wiederverwenden. Wir haben sie von einem Gutachter prüfen lassen, er gab uns keine Zertifizierung. Es gibt also keine Versicherungsgesellschaft, die die Nutzung des alten Turms übernimmt." Er stehe zwischen den Stühlen, erzählt der Präsident, der einen englischen Vater hat, seine Mutter kommt aus Polynesien. Brotherson ist auf Tahiti geboren, trägt traditionelle Tattoos auf seinen Armen. Er selbst habe Verwandte in Teahupoo und verstehe seine Landsleute sehr gut, wie er sagt. "Aber ich muss eine Lösung finden. Denn ich möchte nicht, dass die Spiele abgesagt werden."

Olympia im eigenen Ort wollten auch Deutsche nicht: zu viele Kosten, zu viel Veränderung

Viele Tahitianer hätten schon Eigenkapital investiert in neue Unterkünfte und Boote, da sie hofften, im Sommer 2024 ihr großes Geld mit Touristen zu machen. Dazu werde schon der Hafen ausgebaut, der Aluminium-Turm, und vieles mehr. Mehrere Milliarden pazifische Francs (eine Milliarde sind circa 8,4 Millionen Euro) seien bereits investiert worden.

Nicht er habe sich um die Ausrichtung der Surfwettbewerbe der Olympischen Sommerspiele beworben, betont Brotherson, sondern seine Vorgänger. (Olympia im eigenen Land oder gar der eigenen Stadt auszurichten, will ohnehin nicht jeder. Die Hamburger stimmten nach einem Referendum 2015 gegen Olympia, aus ähnlichen Gründen: zu viele Kosten, zu viel Veränderung.) 

Es müsse also eine Lösung gefunden werden, sagt Brotherson. Der neue Turm sei bereits auf die Größe und das Gewicht des alten reduziert worden. "Wir haben unser Bestes getan, um den Turm zu verkleinern. Aber wir müssen die neuen Fundamente bauen. Ich möchte niemanden anlügen. Dabei wird es einige Schäden an den Korallen geben müssen." 

Die Surfer springen auf ihren Surfbrettern ins Wasser
Die Surfer springen auf ihren Surfbrettern ins Wasser. Gleich wollen sie einen Kreis bilden und beten.
© Jennifer Köllen

Das Präkäre: Die Hälfte der Korallenriffe weltweit sind bedroht, 30 Prozent sind allein in den letzten 40 Jahren verschwunden. Korallen könnten bis 2050 ausgestorben sein – und sind daher absolut schützenswert. Dass der Lastkahn bereits Korallen zerstört habe, bedauere der Präsident sehr, sagt er. "Wäre ich an diesem Tag hier gewesen, hätte ich den Lastkahn angehalten. Es war offensichtlich, dass ein Kahn dieser Größe nicht durch die Korallen hindurchfahren kann, ohne ihnen zu schaden." Auf kleinen Booten und Bojen solle in Zukunft versucht werden, Teile des Turms an seinen Ort zu bringen – zu den neuen Fundamenten.

Surfer halten sich an den Händen und beten: "Das hier ist ein heiliger Ort"

Es ist eine verfahrene Situation hier auf Tahiti, die wohl noch länger andauern wird. Heute bleibt den Surfern nichts anderes übrig, als abzuwarten, weiter ihre Stimme zu erheben – und zu beten. Nach einer Ansprache blasen Einheimische durch Muscheln, ein mystischer, lauter Ton erklingt. Die Surfer springen zusammen mit Avvenenti auf ihre Surfboards und paddeln hinaus aufs Meer, in Richtung der großen Welle. Sogar der Präsident geht mit ihnen ins Wasser und watet etwas ungelenk zu den anderen, die bereits einen Kreis gebildet haben. 

Alle halten sich an den Händen, schweigen in Gedenken – und beten für das Korallenriff. Noch haben sie Hoffnung, dass das Riff, und somit ihre Heimat, beschützt wird. "Das hier ist ein heiliger Ort", sagt Avvenenti, als er wieder am Strand steht. "Und das muss man respektieren."

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