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Extremwetter "Wir können nicht alle Kulturgüter vor dem Klimawandel schützen"

Alte Häuser unter Wasser bei Flut
Unter Wasser: Angesichts des dramatischen Hochwassers Anfang Juni hat die Stadt Regensburg den Katastrophenfall ausgerufen. Die Altstadt gehört zum UNESCO-Welterbe
© Sven Hoppe / dpa / picture alliance
Katastrophen wie die jüngsten Überschwemmungen in Süddeutschland bedrohen auch historische Baudenkmäler. Die Chemikerin Johanna Leissner erforscht, wie unsere Kulturgüter unter dem Klimawandel leiden – und wie wir sie besser schützen können

GEO:Frau Dr. Leissner, die verheerenden Überschwemmungen in Süddeutschland haben Menschenleben gekostet, aber auch historische Baudenkmäler und Altstädte bedroht, etwa das UNESCO-Welterbe in Regensburg. Wie ist Deutschlands Kulturerbe auf Extremklimaereignisse vorbereitet?

Dr. Johanna Leissner: Die möglichen Folgen von Extremklimaereignissen auf Kulturgüter wurden in Europa und Deutschland viel zu lange vernachlässigt. Dabei setzen nicht nur Ereignisse wie Überschwemmungen oder Starkregen historischen Bauwerken zu, sondern auch langfristige Entwicklungen durch den Klimawandel, etwa die steigenden Durchschnittstemperaturen. Trotzdem stehen wir bei der Frage, welche Maßnahmen wirksam sind und ergriffen werden können, europaweit noch am Anfang.

Hat man denn nichts aus vergangenen Katastrophen, etwa Überschwemmungen, gelernt?

Doch, im Bereich Hochwasserschutz hat sich tatsächlich einiges getan. Städte wie Dresden, Grimma oder auch Regenburg haben großangelegte Flutschutzmaßnahmen umgesetzt. In Regensburg haben mobile Hochwasserschutzsysteme – das sind Metallplanken, die in Verankerungen im Boden gesteckt werden – die Altstadt vor dem Schlimmsten bewahrt. Allerdings konnten einige dieser mobilen Wände dem langanhaltenden Wasserdruck nicht standhalten und sind umgekippt. Das heißt, hier brauchen wir technische Weiterentwicklungen.

Wie werden gezielt Kulturgüter gegen Hochwasser geschützt?

In Dresden gibt es seit dem Hochwasser 2002 zum Beispiel Feuerwehreinheiten, die speziell für den Schutz historischer Gebäude geschult sind. Auch haben viele Kulturerbeeinrichtungen wie Museen oder Bibliotheken und Archive Notfallverbünde eingerichtet, die wissen, welche Gemälde und Gegenstände im Ernstfall wie gesichert werden müssen.

Wenn es beim Hochwasserschutz, wie Sie sagen, voran geht, wo sehen Sie Nachholbedarf?

Etwa bei Starkregen- und Hagelereignissen. Anhand von Klimamodellen wissen wir sehr genau, dass vor allem im Alpenvorland und in Nordrhein-Westfalen vermehrt mit Hagel zu rechnen ist. Einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird, konnten wir 2023 beobachten: Ein zehnminütiger Sturm mit tennisballgroßen Hagelkörnern hat das Dach und die historischen Fenster des Klosters Benediktbeuern in Bayern, des ältesten Klosters Deutschlands, zerstört. Dabei wurde auch das Gebäude der Alten Schäfflerei beschädigt: Sie war erst 2016 saniert worden. Damals hatte es Ideen gegeben, dickere Dachziegel zu verwenden oder ein zweites Unterdach einzubauen.

Warum hat man das nicht getan?

Das Landesamt für Denkmal hatte darauf bestanden, die Originalziegel zu verwenden. Nun wurde das Dach durch den Hagel zerstört. Solche Fälle zeigen, dass wir sehr genau abwägen und hinterfragen müssen, wie sinnvoll es ist, Originalzustände zu erhalten, wenn wir damit rechnen müssen, dass bestimmte Materialien dem Klimawandel nicht standhalten können. 

Kloster mit Friedhof davor
Von tennisballgroßen Hagelkörnern getroffen: Im August 2023 hat ein Hagelsturm schwere Schäden am Kloster Benediktbeuern in Oberbayern angerichtet und das Dach zerstört
© Uwe Lein / dpa / picture alliance

Ein anderes Problem sind Hitzewellen. Wie wirken diese sich auf historische Gebäude auf?

Häufig stehen Hitzewellen in Verbindung mit langanhaltender Trockenheit und tropischen Nächten, in denen es über 20 Grad warm wird. Solche Klimaeinwirkungen führen selbst bei großen Gebäuden mit dicken Mauern wie Kathedralen dazu, dass sich die Wände dann wie Radiatoren verhalten und die Wärme in den Innenraum abstrahlen, so dass es statt einer nächtlichen Abkühlung zu einer weiteren Temperaturzunahme und Überhitzung auch in Innenräumen kommt. Häufig ist in älteren Gebäuden viel Holz verarbeitet, das sich zusammenzieht, wenn die Luftfeuchtigkeit sehr niedrig ist.

Wird es dann irgendwann wieder feucht, durch den Starkregen, dehnt sich das Holz wieder aus. Durch diese Schwankungen können viele Kunstobjekte wie Wandgemälde oder Ledertapeten, beschädigt werden, aber auch Möbelstücke. Insgesamt beschleunigen höhere Temperaturen die Korrosion von Baumaterialien. Gebäudesimulationen, die wir durchgeführt haben, prognostizierten beispielsweise für eine Kathedrale in Gent in Belgien Innenraumtemperaturen von 40 – 45°C zur Mitte des Jahrhunderts. Nun ist es so, dass man eine Kathedrale nicht einfach mit einer handelsüblichen Kühlungsanlage runterkühlen kann, um sie vor extremer Hitze zu schützen.

Was kann man dann tun?

Man kann im Außenbereich für Beschattung durch Bäume sorgen. Denkbar sind auch Folien an Fensterscheiben, die die Sonneneinstrahlung reflektieren. Aber dafür bräuchten wir zunächst Forschungsprojekte, und es gab in Deutschland dazu bislang keine Modellversuche. Eine andere Möglichkeit, große Schwankungen in der Luftfeuchtigkeit auszugleichen, sind sogenannte Feuchtigkeitspuffer – bestimmte Materialien also, die die Spitzen von Feuchtigkeitsschwankungen abmildern.

Wie funktionieren die?

Die Fraunhofer-Institute haben dazu im Königshaus am Schachen, einem Schlösschen König Ludwigs II. von Bayern, den Türkischen Salon untersucht. Das Gebäude wird im Winter nicht beheizt, entsprechend niedrig sind die Temperaturen. Im Sommer dagegen kann es auch in den Zimmern sehr warm werden. Trotzdem weisen die Gegenstände in dem Salon nur sehr geringe Schäden auf. Das liegt offensichtlich daran, dass der Raum mit Teppichen und zahlreichen Vorhängen ausgestattet ist, die die großen Schwankungen zumindest mildern. Möglicherweise könnten solche Textilien als Feuchtigkeitspuffer auch in anderen historischen Bauwerken verhindern, dass Gegenstände wie Gemälde oder Möbelstücke Schaden nehmen.

Alte Häuser mit Brücke und Fluss
Gefährdetes Welterbe: Die Speicherstadt in Hamburg ruht auf Eichenpfählen. Doch weil sich der Wasserpegel durch den Klimawandel ändert, stehen die Pfähle häufiger an der Luft – und werden mit der Zeit morsch
© Daniel Schoenen / imageBROKER / picture alliance

All diese Maßnahmen – Hochwasserschutzsysteme, Unterdächer, Feuchtigkeitspuffer – haben ihren Preis. Wer soll das alles bezahlen? 

Tatsächlich müssen wir uns fragen: Wie viel Kulturerbe können wir uns leisten? Wie wichtig sind uns historische Bauwerke? Welche Gebäude sollen erhalten werden und welche nicht? Und wer trifft diese Entscheidung? Das sind gesamtgesellschaftliche Fragestellungen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Wir können nicht alle Kulturgüter vor dem Klimawandel schützen. Einiges wird verloren gehen. Gleichzeitig gibt es aber auch einfache, kostengünstige Maßnahmen, die dazu beitragen können, Gebäude zu erhalten.

Zum Beispiel?

Regenrinnen! Viele historische Gebäude haben keine Regenrinnen, obwohl Klimamodelle eine Zunahme von Starkregen-Ereignissen prognostizieren. Das bedeutet, dass Wasser vom Dach direkt an der Fassade runterläuft, was zwangsläufig dazu führt, dass der Regen Mauern durchfeuchtet. Der beste Gebäudeschutz ist eine gute Instandhaltung. Gut gepflegte, in Schuss gehaltene Bauwerke sind widerstandsfähiger gegenüber Klimaextremen.

Johanna Leissner
Dr. Johanna Leissner arbeitet für das Fraunhofer-EU-Büro in Brüssel. Zudem ist Projektleiterin von KERES, kurz für "Kulturgüter vor Extremklimaereignissen schützen und Resilienz erhöhen"
© privat

An welchen historischen Kulturgütern zeichnet sich der Klimawandel schon heute ab?

Zum Beispiel am Kölner Dom. Durch den Klimawandel treten stärkere Winde und Stürme auf und setzen den filigranen gotischen Elementen an der Außenfassade zu. Man kann von einem deutlichen Materialabtrag sprechen. Mittlerweile muss bei Sturmereignissen der Domplatz abgesperrt werden, weil die Gefahr besteht, dass Bauteile herunterfallen und Personen verletzen. Auch an den mittelalterlichen Glasfenstern lässt sich der Klimawandel messen: Im Sommer heizen sich die Gläser auf 70 bis 80 Grad auf. Diese Temperaturen erzeugen gewaltige Spannungen in dem Material und derzeit kann niemand sagen, wie lange die Gläser das mitmachen. Auf ganz andere Art und Weise ist die Speicherstadt in Hamburg bedroht.

Wo liegt dort die Gefahr?

Der Tidenhub an der Elbe, also der Unterschied zwischen den Wasserständen bei Ebbe und Flut, hat sich in den letzten Jahrzehnten vergrößert. Die Speicherstadt ist auf Eichenpfählen gebaut, die ursprünglich permanent im Wasser standen und dadurch konserviert wurden. Durch die größeren Fluktuationen des Wasserpegels stehen die Pfähle nun häufiger an der Luft, kommen in Kontakt mit Sauerstoff und werden bei Flut wieder feucht. Die Hölzer verrotten allmählich und dieser Prozess gefährdet die Statik der Gebäude. Die Pfähle müssen also irgendwann ausgetauscht werden, und das ist ein gigantischer Aufwand, wenn wir nicht eine andere Lösung entwickeln.

Was brauchen wir in Deutschland, um mehr Maßnahmen zu entwickeln, die unsere Kulturgüter schützen können?

Ende 2024 sollen Welterbestätten in die neue Klimaanpassungsstrategie des Bundes aufgenommen worden. Das ist ein wichtiger Schritt, weil dadurch hoffentlich auch Schutzmaßnahmen finanziert werden können. Davon abgesehen aber brauchen wir dringend ein großangelegtes Programm zur Erforschung und Umsetzung weiterer Schutz-Strategien. Damit meine ich: Klimawissenschaftler, Ingenieure, Konservatoren und Restauratoren müssen sich multidisziplinär zusammentun, um kreative Lösungen zu entwickeln. Das geht nur durch eine entsprechende Förderung des Bundes. 

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