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Tierschutz Streit um "das einsamste Schaf": Welches Zuhause hat Fiona verdient?

"Einsamstes" Schaf Fiona vor Felsen
Abgeschnitten vom Rest der Welt fristete Herdentier Fiona ein Eremitendasein an einem einsamen Strand in Nordschottland. So blickte es den ersten Besuchern seit zwei Jahren entgegen
© Animal Rising
Der Medien-Hype um Schaf Fiona geht weiter: Es wurde zwar vom Strand in Schottland gerettet – aber erwartet es auch ein gutes Leben? Nein, sagen jetzt Aktivisten. Sie wünschen ihm Ruhe auf dem Gnadenhof statt Fans im Streichelzoo

Zwei Jahre lang hat sich niemand um das Schicksal von Schaf Fiona gekümmert – jetzt bekommt es jede Menge Aufmerksamkeit. Sogar zu viel, könnte man sagen. Denn um das Tier, das gerade von einem einsamen Strand in Nordschottland gerettet wurde, ist ein Streit entbrannt. Der Vorwurf: Statt ein ruhiges, glückliches Leben erwarteten Fiona jetzt Medienrummel und Ausbeutung.

Die freudige Nachricht drang am vergangenen Wochenende in die Welt: Retter haben das Schaf, das wohl mehrere Jahre abgeschnitten in einer kleinen Bucht bei Brora überlebt hat, aus seinem Gefängnis befreit. Angeführt wurde die Gruppe von Cammy Wilson, einem Schafscherer und Influencer, der dem Tier den Namen Fiona verpasste, nach der Partnerin der Filmfigur Shrek. Nur waren sie nicht die Einzigen, die das Schaf retten wollten.

Eine Kajakfahrerin hatte das Tier bereits vor zwei Jahren an der Stelle entdeckt. Als sie vor einigen Wochen noch einmal dort vorüberfuhr, blökte ihr dasselbe Tier entgegen, nur mit einem riesigen, zotteligen Pelz. Offensichtlich war das Schaf das Kliff heruntergerutscht und seitdem dort gefangen.

Felsvorsprung
Vor zwei Jahren muss Schaf Fiona diese Klippen heruntergerutscht sein. Jetzt nahmen Helfende denselben Weg, um sie zu befreien – und lieferten sich dabei ein Wettrennen
© Animal Rising

Seit letzter Woche hatten deshalb Tierschützer den Küstenabschnitt sondiert, an dem Fiona ihr Eremitendasein fristete. Sie wollten den sichersten Weg finden, um das Tier zu befreien. Tierrechtsaktivist Jamie Moyes hatte extra sein 3,6-Meter-Boot mit Außenborder aus Inverness angekarrt. Aber über den Strand war der Zugang unmöglich: "Das war mir sofort klar. Alles voller tückischer Felsen, und die Brandung war enorm", sagt Moyes. Also blieb nur der Weg von oben, über das abschüssige Kliff. "An einer Stelle fiel die Küste drei Meter steil nach unten ab."

Der neue Plan der Gruppe, die mit der Tierrechtsorganisation Animal Rising zusammenarbeitet: das Schaf mit Harnisch, Seilen, einem selbstgebauten Trailer und Menschenkraft nach oben zu bugsieren. Als Testlauf kletterten sie selbst drei Tage hintereinander hinunter. "Sheepy", auf diesen Namen haben die Tierschützer das Schaf getauft, hätte etwas erschrocken aus ihrer Höhle geschaut – sei dann aber bald von allein bis auf einen Meter an ihre Besucher herangekommen.

Der Landbesitzer, so Moyes, habe die Gruppe unterstützt – nur immer wieder hingehalten. Am Samstag erfuhren Moyes und die anderen auch, warum: Die Gruppe um Cammy Wilson war ihnen zuvorgekommen. Am frühen Morgen hatten sie das Schaf befreit. Stunden, bevor die Tierrechtsaktivisten ihren Einsatz beginnen wollten.

An Seilen hangelten sich die Tierschützer nach unten in die Bucht, die Schlaufen dienten als Halt für Hände und Füße. An einer Stelle fiel die Wand drei Meter tief ab
An Seilen hangelten sich die Tierschützer nach unten in die Bucht, die Schlaufen dienten als Halt für Hände und Füße. An einer Stelle fiel die Wand drei Meter tief ab
© Animal Rising

Ihre Retter und Fast-Retter nennen Fiona "clever" und "intelligent". Tatsächlich ist es ein kleines Wunder, dass sie überlebt hat. Sie hatte zwar genug Gras und eine Frischwasserquelle. Aber hätte sie sich bei Regen nicht in der kleinen Höhle versteckt, wäre sie sicher gestorben: Ihr Fellvlies war mittlerweile so schwer und dick geworden, dass es sie vollgesogen zu Boden gedrückt hätte. "Sie hätte sich nicht mehr bewegen können, wäre verhungert oder unterkühlt", sagt Moyes.

Influencer Cammy Wilson war für ein Gespräch nicht zu erreichen. Wie es dem Schaf seit seiner Rettung ergangen ist, kann man aber auf seinen Social-Media-Kanälen verfolgen, in Fotos und im Live-Stream: wie er es mit der Schermaschine von neun Kilo Wolle befreit. Wie Fiona erst "an einem geheimen Ort" untergebracht wird, dann in ihrem neuen "Für-immer-Zuhause": der Dalscone Farm nahe Dumfries in Südschottland. Wilson postet öfter Videos von dort, die Besitzer gehören zu seinem Zirkel.

"Mit Dalscone hat Fiona den Jackpot gewonnen", sagt Wilson in einem seiner Videos. Tatsächlich wirkt Fiona entspannt und neugierig in dem Stall voller Heu, in dem sie jetzt untergebracht ist. "Sie ist kerngesund, vielleicht ein bisschen pummelig", bestätigt auch der Tierarzt, der mit vor der Kamera steht.

Die Dalscone Farm ist ein Familienbetrieb, dessen Schafe, Ziegen und Esel in großen, luftigen Ställen und auf Weiden leben. Beim "Dalscone Farm Fun" kann man im Sommer Kindergeburtstage feiern, Schafscher-Wettkämpfen zuschauen und Tiere streicheln. "Die Farm hat erst mal für vier Monate geschlossen", erklärt Wilson seinen Zuschauern bei Facebook. Fiona werde sich in der Zeit an ihr neues Zuhause und neue Gesichter gewöhnen. Wie es ihr geht, könne man bald live auf der Webseite der Farm verfolgen.

Aktivisten der Tierschutzorganisation Animal Rising mit "Free Fiona" Schildern
Eine Bedrohung? Aktivisten um die Gruppe Animal Rising protestieren vor der Dalscone Farm, wo Schaf Fiona ihr "Für-Immer-Zuhause" finden soll. Entgegen dem Wunsch der Tierschützer
© Animal Rising

Genau das kritisiert Animal Rising: Statt dem Schaf nach seiner Odyssee ein ruhiges Zuhause zu schenken, werde das Tier in Zukunft an Touristen und Fans vermarktet. "Sie war über Jahre isoliert. Das letzte, was sie braucht, sind Hunderte Kinder, die sie anfassen wollen", sagt Moyes. Deswegen habe die Aktivisten-Gruppe nach der Rettung vor der Farm demonstriert.

 "Unfassbar, was hier passiert", sagt einer der Farmbesitzer in einem Facebook-Video aus diesen Stunden. Sie täten für das Schaf alles, was möglich sei. "Meine Mutter hat Angst. Was haben die vor?"

Moyes erzählt später, seine Gruppe habe lediglich mit den Besitzern sprechen wollen. Um das Schaf doch noch auf einen Gnadenhof zu bringen, wie von ihnen geplant. "Wir haben extra pinke Shirts getragen. Wir wollten nicht bedrohlich wirken." Die Mutter habe ihnen sogar noch Tee und Müsliriegel angeboten. Aber mit ihnen diskutieren wollte niemand.

Mittlerweile sind die Aktivisten abgezogen. Im Internet haben sie eine Petition erstellt, "Free Fiona" ist der Titel. "Ich gebe sie nicht auf", sagt Moyes. "Sie hat mehr verdient, als ein Spektakel zu sein."

"Fiona hat hier ein Fünf-Sterne-Zuhause gefunden", beteuert Wilson auf seinen Social-Media-Kanälen. "Wir machen alles nach Schulbuch, alles ist transparent." Beide Gruppen möchten das Beste für das Tier. Nur was genau das ist, darüber haben sie sehr unterschiedliche Ansichten. Moyes sagt: Der Landbesitzer, an dessen Küste das Schaf so lange gefangen war, habe immer wieder betont, dass er Angst vor zu viel Medienaufmerksamkeit hat. Mit der muss sich nun stattdessen das Schaf Fiona herumschlagen.

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