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Naturschutz Wölfe in Deutschland: Erfolgsgeschichte oder Problemfall?

Wilder Wolf in Deutschland
© Axel Gomille
Einst gnadenlos vom Menschen verfolgt, sind Wölfe nach Deutschland zurückgekehrt. Ein enormer Erfolg für den Naturschutz, aber auch eine große Herausforderung — denn nicht alle Menschen freuen sich über die Rückkehr der Raubtiere

Es ist keine Wildnis, auf die ich hier blicke, und doch befinde ich mich mitten im deutschen Wolfsgebiet: auf dem sächsischen Truppenübungsplatz Oberlausitz. Ich hocke auf einem Hochsitz am Rande einer der vielen Brandschutzschneisen, die das riesige unbewohnte Gebiet durchziehen.

Ein Kolkrabe krächzt in der Ferne. Der sandige Boden ist mit Tierspuren übersät: Rehe, Rothirsche, Wildschweine, Füchse — aber auch Wölfe haben hier ihre Fährten hinterlassen. Und tatsächlich passiert nach einer Weile das Unglaubliche: Ein Wolf tritt aus dem Wald. Immer wieder hält er inne, um mit gesenkter Schnauze die Gerüche einzu­fangen, die verschiedene Waldbewohner hinterlassen haben. Ich kann es kaum fassen — es ist meine erste Begegnung mit einem wild lebenden Wolf in Deutschland.

Isegrim liest weiter mit seiner empfindlichen Nase in den Gerüchen und kommt dabei immer näher. Plötzlich trägt ihm der Wind auch meinen Duft zu. Nach einer kurzen Schrecksekunde wechselt der Wolf sofort Gang­art und Richtung und läuft in den dichten Wald. Menschen mag er offenbar nicht.

Für die Rückkehr des Wolfes hatte ein historisches Ereignis die Weichen gestellt

Mehr als zehn Jahre ist das nun her, und Hun­derte weitere Begegnungen folgten. So wie dieser Wolf verhalten sich auch die meisten seiner Artgenossen. Sie ziehen sich zurück, sobald sie die Gegenwart von Menschen bemerken. Deswegen sind viele Aspekte ihres Lebens kaum bekannt.

Wilder Wolf in Deutschland
© Axel Gomille

Die Biologinnen Ilka Reinhardt und Gesa Kluth vom "LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland" arbeiten seit vielen Jahren daran, dies zu ändern. "Nachwuchs, Abwanderungen, Verwandtschaftsverhältnisse, Todesfälle — all das wird untersucht, um beurteilen zu können, wie sich der Wolfs­bestand entwickelt", sagt Ilka Reinhardt.

Auch der Nachweis des ersten Wolfes fand im militärischen Sperrgebiet statt. Ein historisches Ereignis hatte dafür die Weichen gestellt: Mit der deutschen Wiedervereini­gung änderte sich auch die Gesetzeslage. Seit 1990 steht der Wolf in ganz Deutschland unter strengem Schutz. Getan wurde für die Tiere jedoch nichts. Tatsächlich beschränkte sich der Schutz darauf, die Wölfe nicht mehr abzuschießen. Das war noch zu DDR-Zeiten gängige Praxis, wenn Tiere aus dem Osten einwanderten.

Ende der 1990er Jahre schließlich wurde der Truppenübungsplatz Oberlausitz zur neuen Heimat für einen Rüden und eine Wölfin, die aus Polen zugewandert waren. Im Jahr 2000 kamen dann Welpen im militärischen Sperrgebiet zur Welt. Es waren die ersten in Deutschland geborenen wild lebenden Wölfe seit rund 150 Jahren. Zuvor waren sie bei uns systematisch ausgerottet worden — die Rückkehr der Wölfe war deshalb eine Sensation.

Deutschland verfügt über viele Regionen, die für Wölfe geeignet sind

Heute erstreckt sich das Vorkommen der deutschen Wölfe vom Osten Sachsens über Brandenburg und Sachsen-Anhalt bis in die Lüneburger Heide nach Niedersachsen. In diesem Bereich gibt es die meisten Wölfe mit etablierten Territorien. Nach offiziellen Angaben des Bundesamtes für Naturschutz leben in­zwischen 184 Rudel, 47 Wolfspaare und 22 sesshafte Einzeltiere in Deutschland (Monitoring-Jahr 2022 / 2023). Insgesamt wurden 1339  Individuen nachgewiesen.

Schäfer mit Herdenhunden und Schafen
© Axel Gomille

Und der Wolfsbestand wächst jährlich weiter. Deutschland verfügt mit seinen waldreichen Mittelgebirgen sowie den Alpen und ihrem Vorland über viele Regionen, die für Wölfe geeignet wären, die aber noch nicht wieder besiedelt sind. Je nachdem, mit welchen Bezugsgrößen man rechnet, könnten laut Bundesamt für Naturschutz in Deutschland geeignete Naturräume für etwa 700 bis 1400 Wolfsterritorien vorhanden sein. Gesehen werden die Tiere allerdings kaum.

Frank Neumann ist ihnen jedoch schon häufiger begegnet. Zusammen mit seiner Familie betreibt er in der Lausitz eine große Schafzucht. Für sich selbst sieht er keine Gefahr, für seine Schafe indessen schon. Die schützt er mit Elektrozäunen und speziellen Herdenschutzhunden. Der Durchbruch gelang damit, Pyrenäen-Berghunde im Team arbeiten zu lassen. Diese Rasse wird in ihrer Heimat seit Jahrhunderten speziell zum Schutz vor Raubtieren wie Wölfen und Bären gezüchtet. Nach fünf Wolfsangriffen mit insgesamt 38 getöteten Schafen kehrte schließlich Ruhe ein.

Weniger Verständnis für die Beutegreifer haben manche Jäger

Aufgrund seiner jah­relangen Erfahrung ist Frank Neumann mittlerweile davon überzeugt, dass er "seine" Wölfe erziehen kann. Sie versuchen zwar anfangs ihr Glück, irgendwann lernen die Wölfe aber, dass sich die Mühe nicht lohnt, und suchen sich andere Nahrung.

Gleichzeitig verteidigen die lokalen Wölfe ihr Revier gegen fremde Artgenossen. "Mein Rudel lässt einfach keine fremden Wölfe mehr hier durch", erläutert der Schäfer. "Dadurch schützen die Wölfe, die hier leben, meine Schafe genauso wie die Herdenschutzhunde. Es dauert ein paar Jahre, bis man es begriffen hat." Diese erstaunliche Methode funktioniert sehr gut, und seitdem gab es keine Übergriffe mehr auf seine Schafe.

Weniger Verständnis für Wölfe haben jedoch manche Jäger, weil sie seltener zum Schuss kommen. Das Wild ist vorsichtiger, seit die Raubtiere wieder die Wälder durchstreifen, und einige gönnen dem Wolf nicht seinen Anteil an "ihrer" Jagdstrecke.

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Immer wieder werden Wölfe daher illegal abgeschossen. In solchen Fällen ermittelt die Kriminalpolizei, denn nach deutschem Gesetz genießen die Wölfe höchsten Schutz. Sie vorsätzlich zu töten ist eine Straftat. Mögliche Folgen sind der lebenslange Entzug des Jagdscheins, Geldbußen von bis zu 50000 Euro und Gefängnis bis zu fünf Jahren.

Wölfe können sich in unserer Kulturlandschaft sehr gut behaupten

Doch die Zahl der Menschen, die dem Wolf ablehnend gegenüberstehen, scheint zu sinken. "Die Zeit arbeitet für die Wölfe", sagt Ilka Reinhardt. "Und je länger die Menschen mit den Tieren leben und merken, dass das ihren Alltag überhaupt nicht betrifft, desto schneller legt sich auch diese Aufregung wieder", ergänzt sie.

Die Menschen können weiterhin im Wald spazieren gehen und sehen dabei so gut wie nie einen Wolf. Deshalb werden auch in den Gebieten, die Wölfe erst kürzlich wieder zurückerobert haben, die Stammtischgespräche nach einer Weile wieder leiser. Genauso wie damals in der Lausitz. Der Wandel in den Köpfen hat längst begonnen. Ein lange verges­sener Teil der Natur ist zurückgekehrt und wird langsam wieder zur Normalität. Wölfe können in Deutschland sehr gut überleben. Sie können sich in der Kulturlandschaft weiter ausbreiten, denn Wölfe brauchen keine Wildnis.

Es hängt von den Menschen ab, ob sie den Mythos vom bösen Wolf überwinden, und den Tieren diesmal eine Chance geben.

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