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Rohstoffe Wenn Klimaschutz Natur zerstört: Über die dunkle Seite der Energiewende

Ein Schild verbietet Mitarbeitenden von Bergbauunernehmen und Regierungsvertretern mit Bergbauinteressen den Zutritt zum Regenwald
Ein Schild verbietet Mitarbeitenden von Bergbauunernehmen und Regierungsvertretern mit Bergbauinteressen den Zutritt zum Regenwald
© Ines Possemeyer
Die Energiewende erfordert Unmengen an Kupfer und anderen Rohstoffen, die oft in ökologisch wertvollen Gebieten der Entwicklungsländer gefördert werden. Wir sourcen unsere Umweltschäden aus, meint Reiner Klingholz. Der ehemalige Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung ist im Beirat von GEO schützt den Regenwald

Die ecuadorianische Region Intag zwischen dem tropischen Tiefland und den bis zu 5.000 Meter hohen Bergen der Kordilleren und gilt als eine der artenreichsten Regionen der Erde. Über die Jahre hat "GEO schützt den Regenwald" dort gemeinsam mit der lokalen Schutzorganisation Decoin und dem deutschen Ökoenergieanbieter Lichtblick mehr als 8.100 Hektar Nebelwald aufgekauft und den lokalen Gemeinden überschrieben, auf dass die Bewohner den Wald eigenverantwortlich schützen, oder, falls notwendig, degradierte Gebiete aufforsten können.

Doch alles, was unter der Erdoberfläche liegt, gehört dem Staat. Und der hat in den letzten Jahren für weite Teile der Region Bergbaukonzessionen vergeben. Und das liegt ironischerweise an den Bestrebungen der Industrieländer, sich aus der Abhängigkeit von Kohle, Öl und Erdgas zu befreien und eine Energierevolution anzuzetteln, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Denn die dafür notwendigen Windturbinen, Solaranlagen, Wasserstoff-Produktionsanlagen, Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge erfordern eine Unmenge an Metallen, die meist nur als Erze im Erdreich vorkommen und unter großem Energieaufwand geschürft und zu Reinmetallen raffiniert werden müssen.

Ein Teil davon, vor allem Kupfer und Molybdän, liegt verborgen im Erdreich unter den nebelverhangenen Wäldern des Intag. Die Regierung von Ecuador will diese Bodenschätze jetzt ausbeuten lassen. Es ist der dritte Versuch, an die Rohstoffe heranzukommen. Die ersten beiden waren am Widerstand der einheimischen Bevölkerung gescheitert. Aufgrund der Proteste zog sich erst ein japanisches, dann ein kanadisches Bergbauunternehmen aus der bereits vergebenen Abbaukonzession zurück. Die Regierung musste 2018 eine Entschädigungssumme von 20 Millionen Dollar an die kanadische Copper Mesa Mining Company zahlen.

Was auf dem Spiel steht: Regenwald in Ecuador
Was auf dem Spiel steht: Regenwald in Ecuador
© Frank Löwen

Beim aktuellen, dritten Versuch an die Bodenschätze zu kommen, haben es die Gegner des Projektes mit einem noch mächtigeren Gegner zu tun: Die staatliche Minengesellschaft von Ecuador Enami hat sich mit dem chilenischen Kupferkonzern Codelco, dem weltweit größten seiner Art, zusammengetan. Beide wollen die Llurimagua-Mine mit einem Aufwand von drei Milliarden US-Dollar erschließen, um Kupfer und Molybdän zu fördern.

Materialschlacht für den Klimaschutz

Der Streit um das Intag-Tal ist ein typisches Beispiel dafür, welche Folgen die von den weit entwickelten Ländern angestrebte Energiewende und der Klimaschutz für den ärmeren Teil der Welt haben, wo ein großer Teil der Rohstoffe im Erdreich verborgen ist.

Der Abschied von der fossilen Ära bedeutet eine gewaltige Materialschlacht und ist zunächst einmal alles andere als umweltfreundlich. Die technischen Wunderwerke, die Wind und Sonne in Strom und Wasserstoff verwandeln sollen, erfordern erhebliche Mengen an Beton und Stahl, bei deren Herstellung bekanntlich das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) anfällt. Allein die Zementindustrie ist für rund acht Prozent der globalen CO2–Emissionen verantwortlich. Vor allem aber benötigt die energetische Transformation viele so genannte kritische Metalle. Von diesen sind in einem E-Auto sechsmal mehr verbaut als in einem klassischen Verbrenner. Ein Windkraftwerk an Land zu errichten verschlingt neunmal mehr kritische Metalle als der Bau eines herkömmlichen Gaskraftwerks.

In Batterien für Elektro-Autos stecken Kobalt, Mangan, Nickel und Lithium. Die Permanentmagnete für Windturbinen und Elektromotoren benötigen seltene Erden, Elemente, die zwar nicht unbedingt selten, aber meist nur als Beimischung zu anderen Mineralien vorkommen und aufwändig zu isolieren sind. Gallium ist ein zentraler Bestandteil von Photovoltaikzellen. Platin und Palladium stecken in Katalysatoren, ohne die eine Wasserstoffsynthese nicht möglich ist. Molybdän, Selen oder Chrom sind in Brennstoffzellen notwendig, die in der Energiewende eine wichtige Rolle spielen können. Und ohne Kupfer fließt kein Strom durch die Leitungen.

Reiner Klingholz ist Mitglied im Beirat des Vereins GEO schützt den Regenwald e.V.
Reiner Klingholz ist Mitglied im Beirat des Vereins GEO schützt den Regenwald e.V.
© Ines Possemeyer

Die Produktion kritischer Metalle habe sich im vergangenen Jahrzehnt bereits erheblich ausgeweitet, schreibt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Aber das ist nichts im Vergleich zum künftigen Bedarf: Weltweit dürfte sich Studien zufolge die Nachfrage nach Kupfer von jährlich 25 Millionen Tonnen im Jahr 2020 bis 2050 auf 50 Millionen Tonnen verdoppeln. Die von Lithium und Kobalt dürfte sich fast verzwanzigfachen, der von Nickel verdreißigfachen. Der wachsende Bedarf wird die Preise steigen lassen – und die Rohstoffförderer beflügeln, immer neue Minen zu eröffnen.

Outsourcing von Umweltschäden

Die meisten dieser kritischen Metalle stammen aus Ländern mit lascheren Umwelt- und Sozialstandards als in Deutschland. Berg- und Tagebau bedeuten massive Eingriffe in die Umwelt. Es kommt zu Kahlschlag am Urwald, Straßen werden durch das Land geteert, Anwohner vertrieben, Siedlungen für die Minenarbeiter hochgezogen. Wo der Wald fehlt, erodiert das Land. Die Auswaschungen der Erzförderung gelangen in die Gewässer und vergiften sie.

Der Import der begehrten Rohstoffe für den Klimaschutz hübscht zwar die heimische Energie- und Umweltbilanz auf, er belastet aber die der Exportländer. Auch weil der Abbau im Süden ungleich zerstörerischer ist, als wenn er in den Industrieländern mit ihren strengeren Vorschriften stattfinden würde. Benedikt Sobotka, der Vorstandschef des kasachischen Bergbaukonzerns Eurasian Resources Group, hält es deshalb für verlogen, wenn sich die Menschen hierzulande ein E-Auto kaufen und Solarzellen aufs Dach schrauben, die umweltgefährdenden Bergwerke und Metallschmelzen in Indonesien, China oder Bolivien dabei aber ausblenden.

Deutschland gehört zu den größten Importeuren kritischer Metalle. Nicht nur weil hierzulande die Energiewende vorangetrieben wird, sondern auch weil wir, nach China und den USA, das Land mit der weltweit drittgrößten Ausfuhr von Gütern sind, in denen diese Metalle verbaut sind. Unsere famose Exportbilanz und die damit verbundenen Wohlstandsgewinne bauen zu einem guten Teil auf der Einfuhr von Materialien, die anderswo Umweltschäden verursachen.

Besonders problematisch wird das Outsourcing, wenn der Bergbau in ökologisch wertvollen Gebieten wie dem ecuadorianischen Intag stattfindet. Die extremen topografischen Unterschiede machen die Region zu einem Mosaik aus Biotopen, mit einzigartiger Flora und Fauna. Die tropischen Anden zählen zu den 36 weltweiten „Biodiversitäts-Hotspots“. Das sind Gebiete von großer, aber bedrohter Artenvielfalt. Hier finden sich viele endemische Spezies, also Tiere und Pflanzen, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt, beziehungsweise bald nicht mehr geben dürfte. Denn einige der seltenen Frösche, Schlangen oder Vögel könnten demnächst aus dem Archiv der Arten verschwinden, wenn die Bulldozer und Bagger nationaler und internationaler Bergbaukonzerne anrücken.

Kupfer unter dem Regenwald

In dem Enami/Codelco-Gemeinschaftsprojekt soll die Natur auf knapp 50 Quadratkilometern aufgerissen werden, eine Fläche, so groß wie die fränkische Stadt Coburg. Das Vorhaben befindet sich in der erweiterten Erkundungsphase, 2024 könnte der Abbau beginnen. Die Explorateure versprechen sich einen Ertrag von 210.000 Tonnen Kupfer im Jahr über gut ein Vierteljahrhundert. Dafür müsste allerdings die gigantische Menge von 3,8 Milliarden Tonnen Gestein ans Tageslicht geholt werden, weil das Kupfererz lediglich 0,44 Prozent des gesuchten Metalls enthält.

Für das Intag-Tal gibt es 22 Bergbaukonzessionen, in 15 der Gebiete haben schon Arbeiten begonnen. Zu den möchtigen Akteuren zählt der chilenische Staatskonzern Codelco. Zorrilla lebt bei Santa Rosa
Für das Intag-Tal gibt es 22 Bergbaukonzessionen, in 15 der Gebiete haben schon Arbeiten begonnen. Zu den möchtigen Akteuren zählt der chilenische Staatskonzern Codelco. Zorrilla lebt bei Santa Rosa
© Stefanie Peters/GEO

Doch seit April dieses Jahres steht das Projekt auf der Kippe. Denn Ecuadors Verfassung erkennt die Natur als Rechtssubjekt an. Menschen können, im Namen der Natur, gegen deren Zerstörung klagen. Ein Provinzialgericht hat nun das Projekt Llurimagua erst einmal gestoppt, weil die Regierung den von der Mine betroffenen indigenen Kommunen keine Informationen zur und kein Mitspracherecht bei der Vergabe der Konzession gewährt hat, wie es eigentlich vorgeschrieben ist.

Was den Gegnerinnen und Gegnern außerdem Hoffnung macht: Im August sprachen sich bei einem Referendum in der Region Quito 68 Prozent gegen den Goldabbau in den Wäldern des Choco Andino aus, einer Nachbarregion des Intag. Sechs Konzessionen müssen nun still gelegt werden.

Im Intag haben die Anwälte in dem Kampf David gegen den Goliath in Gestalt der Kupferkonzerne das Sagen. Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Entweder gewinnen die Gegner des Projektes. Dann bleiben der Umwelt im Intag tiefe Narben erspart und die Energiewende in den Industriestaaten verzögert sich oder wird zumindest teurer. Oder Maschinen und Dynamit rücken dem ökologisch einzigartigen Gebiet zu Leibe, das arme Ecuador erzielt wichtige Einnahmen und der reiche Norden steuert weiter in aller Ruhe seine von grünem Strom angetriebenen SUVs durch die Lande.

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