RN liegt aktuell vorn

Entscheidung am Sonntag: Was erwartet Frankreich?

Die Vorsitzende des französischen rechtsnationalen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen (l.), und Parteichef Jordan Bardella stehen während einer Wahlkampfveranstaltung zusammen. Der RN könnte die absolute Mehrheit bei der zweiten Runde der französischen Parlamentswahl noch verfehlen – auch wegen einiger Skandal­kandidaturen in den eigenen Reihen.

Die Vorsitzende des französischen rechtsnationalen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen (l.), und Parteichef Jordan Bardella stehen während einer Wahlkampfveranstaltung zusammen. Der RN könnte die absolute Mehrheit bei der zweiten Runde der französischen Parlamentswahl noch verfehlen – auch wegen einiger Skandal­kandidaturen in den eigenen Reihen.

Paris. Auf dem Wahlzettel steht zum Beispiel der Name von Annie-Claire Jaccoud Bell, die 1995 mit ihrem Mann aus Verzweiflung über ihre Schulden eine bewaffnete Geiselnahme im Rathaus einer Kleinstadt unternahm und nun bei den Parlamentswahlen für den rechtsextremen Rassemblement National (RN) antritt. Oder Gilles Bourdouleix, der einmal erklärte, die Nazis hätten „vielleicht nicht genug Zigeuner getötet“.

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Eine andere RN‑Bewerberin, Michèle Alozy, machte sich für ein „reines und sicheres Frankreich“ stark. Élodie Babin wiederum galt als „Phantomkandidatin“ der Rechtsaußen­partei, weil sie keinen einzigen Wahlkampftermin wahrgenommen hatte, auch nicht mit Bild auf den Plakaten erschien. Kurz vor der zweiten Wahlrunde am Sonntag gab sie per Video ein Lebenszeichen von sich: Sie habe eine schwere Grippe gehabt. Jeder dritte Wähler in ihrem Bezirk stimmte beim ersten Durchgang für die Unbekannte.

Vor dem entscheidenden Votum am Sonntag liegt der RN vorne, obwohl mehrere Dutzend der Kandidaten in den vergangenen Tagen mit teils schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert waren. Meist geht es dabei um rassistische oder antisemitische Aussagen, aber auch die einstige Mitgliedschaft in rechtsradikalen Gruppen. Parteichef Jordan Bardella versprach, eine extra beauftragte Kommission werde sich mit den lediglich „vier oder fünf schwarzen Schafen“ befassen. Zurückgezogen wurde nur eine einzige Kandidatin, Ludivine Daoudi, von der ein Foto mit Nazi-Kappe im Internet auftauchte.

RN rückt vom ursprünglichen Programm immer mehr ab

Neben diesen Enthüllungen offenbarten sich aber auch fachliche Schwächen. So zirkulierten im Internet Interview-Ausschnitte mit Kandidaten, die bei Sachfragen passen mussten und bestenfalls mit Allgemeinplätzen antworteten. Dies wirkte wie ein Widerspruch zu den Versicherungen des RN‑Kaders, man sei bereit zum Regieren.

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PARIS, FRANCE - APRIL 24: France's centrist incumbent president Emmanuel Macron beats his far-right rival Marine Le Pen for a second five-year term as president on April 24, 2022 in Paris, France. Emmanuel Macron and Marine Le Pen both qualified on Sunday April 10th for France's 2022 presidential election second round held today, on April 24. This is the second consecutive time the two candidates face-off in the final round of elections. (Photo by Jeff J Mitchell/Getty Images)

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Davon abgesehen distanzierte sich Bardella im Laufe des Wahlkampfs mit Blick auf die angespannte Haushaltslage von einigen bisherigen Versprechen, etwa der Forderung, die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron zurückzunehmen. Die Senkung der Mehrwertsteuer von 20 auf 5,5 Prozent soll nicht mehr für mehrere Alltagsprodukte gelten, sondern nur noch für Energie und Benzin. Das Kernprojekt der Partei gilt derweil als nicht verfassungskonform: Die „nationale Priorität“, bei der bestimmte soziale Leistungen, die Vergabe von Sozialwohnungen oder Jobs französischen Staatsbürgern vorbehalten bleiben soll, verstößt Experten zufolge gegen das Gleichheitsprinzip. Dasselbe könnte für die Idee gelten, unter 30‑Jährige unabhängig von ihrem Verdienst von der Steuer zu befreien.

Zwar verspricht RN-Frontfrau Marine Le Pen inzwischen, sich an internationale Verträge halten zu wollen, will den französischen Beitrag zum EU‑Budget aber dennoch um 2 Milliarden Euro senken. Die Forderung, die Militärstrukturen der Nato zu verlassen, nahm sie zurück, solange Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine weitergeht, ebenso wie jene nach einem Austritt Frankreichs aus dem europäischen Strommarkt.

Große Koalition wird in Frankreich nicht mehr ausgeschlossen

Die Gegner der Partei wiesen immer wieder auf die häufigen Positionswechsel und fehlenden Vorschläge zur Finanzierbarkeit der Maßnahmen hin. Viele Wähler störte dies bislang nicht, dennoch sahen die letzten Umfragen vor der Wahl voraus, dass der RN sein Ziel, eine absolute Mehrheit von mindestens 289 Sitzen in der Nationalversammlung zu erreichen, verfehlen könnte. Nur in diesem Fall will Bardella Premierminister werden. Jüngsten Erhebungen zufolge können der RN und dessen Alliierte um den bisherigen Republikaner-Chef Éric Ciotti mit 210 bis 240 Sitzen rechnen, das Linksbündnis mit 170 bis 200, Macrons Mitte-Lager mit 95 bis 125 und die Republikaner mit 25 bis 45 Sitzen.

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Premierminister Gabriel Attal versicherte, seine Regierung werde sich „so lange wie nötig“ um das Fortführen der Staatsgeschäfte kümmern. In den vergangenen Tagen schlossen Politiker verschiedener Couleurs die Bildung einer großen Koalition nicht aus, die von den Sozialisten über die Grünen und der Macron-Partei bis zu den gemäßigten Konservativen reichen könnte. Auf welche Art Programm sich diese einigen könnte, erschien allerdings schleierhaft. Die Linken fordern die Rücknahme der Rentenreform und eines verschärften Einwanderungs­gesetzes – das dürfte mit Macron nicht zu machen sein. Kleinster gemeinsamer Nenner bleibt demnach der Wunsch, den RN von der Macht fernzuhalten.

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