Blick auf die Stichwahl

Gibt es in Frankreich noch eine Front gegen die Rechtsextremen?

Die Vorsitzende der französischen Rechtsextremen Marine Le Pen, kommt in der Parteizentrale des Rassemblement National an.

Die Vorsitzende der französischen Rechtsextremen Marine Le Pen, kommt in der Parteizentrale des Rassemblement National an.

Paris. Am Tag nach der ersten Runde der Parlamentswahlen begannen in Frankreich die Rechenspiele. Lässt es sich noch verhindern, dass der Rassemblement National (RN) beim zweiten Wahlgang am Sonntag die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreicht? Mit ihren Verbündeten um den bisherigen Chef der konservativen Republikaner, Éric Ciotti, lagen die Rechtsextremen mit 33 Prozent erwartungsgemäß auf dem ersten Platz. Damit haben sie ihr Ergebnis seit den letzten Parlamentswahlen 2022 fast verdoppelt. Das Linksbündnis Neue Volksfront erreichte 28 Prozent, das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron rund 20 Prozent.

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In insgesamt 74 Bezirken qualifizierten sich Bewerber bereits in der ersten Runde, unter ihnen 38 Politikerinnen und Politiker des RN und dessen Frontfrau Marine Le Pen. In den meisten der übrigen 503 Wahlkreise treten mindestens drei Kandidatinnen und Kandidaten gegeneinander an.

PARIS, FRANCE - APRIL 24: France's centrist incumbent president Emmanuel Macron beats his far-right rival Marine Le Pen for a second five-year term as president on April 24, 2022 in Paris, France. Emmanuel Macron and Marine Le Pen both qualified on Sunday April 10th for France's 2022 presidential election second round held today, on April 24. This is the second consecutive time the two candidates face-off in the final round of elections. (Photo by Jeff J Mitchell/Getty Images)

Was man zu den Neuwahlen in Frankreich wissen muss

Worum geht es bei den Neuwahlen in Frankreich am 30. Juni und 7. Juli? Welche Parteien stehen zur Wahl – und was passiert im Fall eines Sieges der Rechtsextremen?

Kreml begrüßt Wahlerfolg des RN

Der Kreml hat den Sieg des RN in der ersten Runde der Parlamentswahl als klares Zeichen für den Willen der französischen Wähler interpretiert. „Die bereits vorher ersichtlichen Tendenzen in einer Reihe europäischer Länder bestätigen sich, aber wir warten auf den zweiten Wahlgang, obwohl die Vorlieben der Franzosen, der französischen Wähler uns mehr oder weniger schon jetzt verständlich sind“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. Dem RN wurden in der Vergangenheit immer wieder enge Beziehungen zum Kreml vorgeworfen.

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So ist bekannt, dass Le Pens Partei Front National (später Rassemblement National) 2014 einen Millionenkredit bei einer russischen Bank aufgenommen hatte. Le Pen hat die in dem Jahr von Moskau annektierte Krim als russisch bezeichnet. In einem Bericht an das französische Parlament aus dem vergangenen Jahr wurde zudem darauf verwiesen, dass Parteifunktionäre vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs auf die Krim und in das schon damals von russischen Kräften besetzte Donbass-Gebiet gereist seien. In der Frage, ob der russische Angriffskrieg zu verurteilen sei, ist der RN gespalten.

Wie umfassend der Triumph für Le Pens Partei wird, hängt auch davon ab, ob es zu vielen Anti-RN-Bündnissen kommt. Welche Kandidaten der Linksallianz und des Regierungslagers ziehen sich zurück, um die Chancen der rechtsextremen Kandidaten zu schmälern und damit Jordan Bardella an der Spitze der nächsten Regierung zu verhindern? Der 28-jährige RN-Parteichef hat angekündigt, nur Premierminister werden zu wollen, falls er über eine absolute Mehrheit verfügt. Prognosen sagen seinem Lager 230 bis 280 Sitze voraus, nötig wären 289. Er rief seine Anhänger dazu auf, „mobilisiert für eine der entscheidendsten Wahlen der Fünften Republik“, also der jüngeren Geschichte Frankreichs seit 1958, zu bleiben. Während die Linken mit 125 bis 200 Sitzen rechnen könnten, dürfte es für die Allianz um Macron nur noch für 60 bis 100 reichen. Offen ist die Frage, wie er weiterhin regieren will. Noch am Sonntagabend kam es in Paris und mehreren anderen französischen Städten zu Demonstrationen gegen die Rechtsextremen, denen zugleich mehr als jeder Dritte seine Stimme gegeben hat.

Tausende Menschen demonstrieren gegen Rechtsruck in Frankreich

In Paris und etlichen anderen Städten sind am Sonntagabend viele Menschen auf die Straße gegangen.

Mélenchon provoziert auf Wahlabend

Am Dienstagabend um 18 Uhr müssen alle Kandidaten feststehen. Bis dahin wird noch gefeilscht, verhandelt und debattiert. Die konservativen Republikaner, die zehn Prozent erhielten, lehnten eine „republikanische Front“ gegen die Rechtsextremen, wie sie jahrzehntelang praktiziert wurde, ab – anders als die Linken. Der frühere sozialistische Präsident François Hollande hatte sogar seine Kandidatur mit dem notwendigen Kampf gegen den RN begründet. Auf Anhieb gewann er allerdings nicht. Selbst Jean-Luc Mélenchon, Führungsfigur der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“), kündigte an, dass sich die linken Kandidaten überall dort, wo sie nur drittplatziert sind, zurückziehen. „Keine Stimme, kein Sitz mehr für den RN“, tönte er, der sich gegenüber politischen Gegnern für gewöhnlich wenig kulant zeigt.

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Das Regierungslager war nicht so eindeutig – auch aufgrund der streitbaren Persönlichkeit Mélenchons. Dem 72-jährigen Linkspopulisten wird Antisemitismus vorgeworfen, da sich seine Partei seit dem Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober weigerte, diese klar als Terror-Organisation einzustufen. Wies er die Anschuldigungen stets von sich, so provozierte er einmal mehr, indem er seine Rede am Wahlabend neben Rima Hassan hielt, die ein Palästinensertuch um die Schultern trug. Die neue LFI-Europaabgeordnete ist aufgrund ihres militanten Einsatzes für die Palästinenser und ihrer anti-israelischen, mitunter auch anti-jüdischen Positionen umstritten. Ausgerechnet sie, die gar nicht zur Wahl stand, so prominent auf die Bühne zu stellen, war ein Symbol, das seine Wirkung nicht verfehlte.

Marine, Marion und Sylvain

Gut aufgestellt und trotzdem rechts: Warum die Bürger von Villers-Cotterêts Präsident Macron loswerden wollen

Im nordfranzösischen Städtchen Villers-Cotterêts ließ Präsident Macron ein touristisch beliebtes Museum einweihen – trotzdem ist er bei vielen Menschen vor Ort verhasst. Im Rathaus regiert ein Bürgermeister des Rassemblement National. Und nun stehen Neuwahlen an – was treibt die Menschen zu den Rechtspopulisten?

Macron-Lager auf Distanz zur LFI – Grünen-Chefin ist „extrem wütend“

Mehrere Persönlichkeiten aus Macrons Umfeld sprachen sich denn auch dafür aus, dass sich ihre Kandidaten in den Wahlkreisen, wo sie zurückliegen, zugunsten von Sozialisten, Grünen und Kommunisten zurückziehen – nicht aber der Linkspartei LFI. Diese Position bezogen unter anderem Ex-Premierminister Édouard Philippe und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, beide ehemalige Republikaner. „Für mich ist LFI eine Gefahr für die Nation“, so Le Maire. Die Partei sei antisemitisch und schaffe Parallelgesellschaften. Zudem traten mehrere LFI-Abgeordnete regelmäßig lärmend und aufrührerisch im Parlament auf.

Zu Le Maires Worten befragt, kamen der französischen Grünen-Chefin Marine Tondelier in einem Radiointerview fast die Tränen. Sie sei „niedergeschmettert und extrem wütend“ auf den Minister, der sich „wie ein Feigling und Privilegierter“ benehme. LFI könne nicht mehr die absolute Mehrheit erreichen, RN schon. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 und 2022 hätten etliche Linkswähler für Macron gestimmt, um Marine Le Pen zu verhindern. „Zum Glück sind unsere Wähler weniger feige“, so Tondelier.

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Zumindest Premierminister Gabriel Attal sei etwas eindeutiger, sagte sie. Dieser rief dazu auf, „alles zu tun, um das Schlimmste zu verhindern“; doch auch er sprach nur von einem Rückzug der eigenen Kandidaten zugunsten all jener, „die die Republik verteidigen“. Ähnlich hatte es zuvor Macron in einer schriftlichen Erklärung formuliert. Gehört LFI nach dieser Definition dazu? Das blieb unklar.

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