Kommentar zur ersten Wahlrunde

Frankreich und das Gift für die Demokratie

Die rechtspopulistische französische Politikerin Marine Le Pen vom rechtsnationalen Rassemblement National (RN) nach der Veröffentlichung der Hochrechnungen

Die rechtspopulistische französische Politikerin Marine Le Pen vom rechtsnationalen Rassemblement National (RN) nach der Veröffentlichung der Hochrechnungen

Man darf sich den Niedergang von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht als Tag X vorstellen, an dem alles zusammenbricht. Nein, das ist vielmehr ein schleichender Prozess. Der Juli 2024 könnte als ein Monat in die Geschichtsbücher eingehen, in dem die Europäische Union als Gemeinschaft für eben diese Werte entscheidend geschwächt wurde.

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Mit der Neuwahl der Nationalversammlung, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einer Kurzschlusshandlung nach den schlechten Ergebnissen für seine Liberalen bei der EU-Wahl ausgerufen hat, droht Frankreich als eine der wichtigsten und verlässlichsten Nationen für die Europäische Union auszufallen.

Macron wird seine Mehrheit verlieren

Noch ist die letzte Entscheidung nicht gefallen. Seit diesem Sonntag aber ist klar, dass Macron die Regierungsmehrheit seiner Liberalen verlieren wird. Im schlimmsten Fall wird ihm künftig eine vom ausländerfeindlichen und antieuropäischen Rassemblement National (RN) geführte Regierung Knüppel zwischen die Beine werfen. Im besten Fall bekommt er eine schwache Kompromiss-Regierung. Beide Lösungen würden für Frankreich Stillstand bedeuten und die große Nation zum unsicheren Partner in Europa machen.

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Bitter ist, dass nach der Wahl in Frankreich ausgerechnet der Kreml Anlass sieht zum Frohlocken. Haben doch russische Banken die Rechtspopulisten um Marine Le Pen mit üppigen Krediten versorgt. Im Gegenzug bestritt sie schon 2017, dass die Besetzung der Krim durch Russland unrechtmäßig gewesen sei.

Marine, Marion und Sylvain

Gut aufgestellt und trotzdem rechts: Warum die Bürger von Villers-Cotterêts Präsident Macron loswerden wollen

Im nordfranzösischen Städtchen Villers-Cotterêts ließ Präsident Macron ein touristisch beliebtes Museum einweihen – trotzdem ist er bei vielen Menschen vor Ort verhasst. Im Rathaus regiert ein Bürgermeister des Rassemblement National. Und nun stehen Neuwahlen an. Was treibt die Menschen zu den Rechtspopulisten?

Es sind zwei ernüchternde Botschaften, die von diesem Wahlsonntag in Frankreich ausgehen. Zum einen ist die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttert, was ihren Zusammenhalt in einer Welt angeht, in der die Demokratien immer mehr unter Druck geraten. Wenn der deutsch-französische Motor abgewürgt ist, dann droht der EU die geopolitische Bedeutungslosigkeit.

Populisten haben für viele ihren Schrecken verloren

Zum anderen: Dass die Allianz der Demokraten stärker ist als die Verheißungen der Populisten – darauf jedenfalls kann man in Europa nicht mehr zählen. Zumal sie in all ihren Schattierungen von gestrig, chauvinistisch, rechtsradikal und demokratiefeindlich für viele Bürgerinnen und Bürger ihren Schrecken verloren haben (+). Erst mit parteipolitischer Professionalisierung wie aktuell die AfD in Deutschland und dann mit politischem Pragmatismus wie Giorgia Meloni in Italien und nun der RN in Frankreich greifen sie nach der Macht.

Was sie alle gemeinsam haben: Innenpolitisch versuchen sie, ihre Macht zu sichern, indem sie durch neue Gesetze die Justiz schwächen und die kritischen Medien mundtot machen – siehe Polen und die Phase der PiS-Regierung. Dass nach der PiS-Partei mit Donald Tusk wieder ein über alle Zweifel erhabener Demokrat die Regierung anführt, ist auch dem Druck der Europäischen Union zu verdanken. Ohne die durch die EU eingeleiteten Strafverfahren gegen das Mitglied Polen hätte die einst begonnene Demontage der demokratischen Strukturen möglicherweise nicht gestoppt werden können.

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Auf Dauer wird das Argument für das Überleben der Demokratie nicht ausreichen, Populisten und Radikale zu verhindern. Wie die Polarisierung zwischen Gut (Demokratie) und Böse (Populisten und Autokraten) schief gehen kann, hat Macron an diesem Sonntag eindrücklich bewiesen. Die demokratisch gewählten Institutionen müssen die von ihren Bürgerinnen und Bürgern als am drängendsten wahrgenommenen Probleme von Kaufkraftverlust über irreguläre Migration bis hin zum Klimawandel lösen oder sie zumindest lindern. Der schleichende Verlust an Vertrauen, dass die demokratischen Regierungen dazu in der Lage sind, ist Gift für die Demokratie.

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