Was passiert bei einem Handelskrieg?

Warum die deutsche Wirtschaft abhängiger von China ist als umgekehrt

Ein VW Passat und ein VW Touran fahren auf einer Straße in Shanghai. Die deutsche Wirtschaft ist massiv von China abhängig.

Ein VW Passat und ein VW Touran fahren auf einer Straße in Shanghai. Die deutsche Wirtschaft ist massiv von China abhängig.

Peking. Spätestens seit dem Krieg in der Ukraine warnt die Politik praktisch täglich vor den wirtschaftlichen Abhängigkeiten von autoritären Regimen. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Realität genau in die entgegengesetzte Richtung entwickelt: Die deutsche Volkswirtschaft hat sich im ersten Halbjahr 2022 so abhängig von ihrem wichtigsten Handelspartner gemacht wie niemals zuvor – der Volksrepublik China.

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Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat dies in einer aktuellen Studie eindrücklich aufgezeigt. Die deutschen Direktinvestitionen in China waren demnach von Januar bis Juni auf einem Rekordhoch, auch das bilaterale Handelsdefizit von derzeit über 40 Milliarden Euro war noch nie so groß. Denn während die Importe aus der Volksrepublik nach wie vor brummen – die Einfuhren aus China an den Gesamtimporten sind allein innerhalb von zwei Jahren von 3,4 Prozent auf 12,4 Prozent gestiegen – flachen die Exporte in die Gegenrichtung seit einigen Jahren deutlich ab. Vereinfacht ausgedrückt: Aus deutscher Sicht entwickeln sich die Abhängigkeiten „mit enormem Tempo in die falsche Richtung“.

Abhängigkeit entwickelt sich mit „enormem Tempo in die falsche Richtung“

Tatsächlich konnte die chinesische Wirtschaft im Zuge der Pandemie ihre Stellung als „Werkbank der Welt“ noch weiter ausbauen. Einerseits produzieren die Fabriken in der Volksrepublik weiterhin auf Hochtouren, doch gleichzeitig ist der Binnenkonsum – nicht zuletzt aufgrund der ständigen Lockdowns und der sich ausweitenden Immobilienkrise – deutlich eingebrochen. Für die exportgetriebene Wirtschaft in Deutschland sind das keine guten Nachrichten.

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Die Experten und Expertinnen des IW beobachten zudem einen weiteren besorgniserregenden Trend: Deutsche Unternehmen lagern immer größere Teile ihrer Produktion auf den chinesischen Markt aus, wodurch zwangsweise weniger Arbeitsplätze innerhalb Deutschlands abgesichert werden.

„Die Lage ist zunehmend angespannt“: Karsten Seehafer in seinem Betrieb in Marienwerder.

„Epochale Herausforderung“: Unternehmer warnt vor Insolvenzwelle wegen steigender Energiepreise

Ein Unternehmer aus Hannover warnt wegen der drastisch steigenden Energiepreise vor einer Insolvenzwelle in Deutschland. Für Betriebe wie seinen sei die Entwicklung „ein GAU“, sagt Karsten Seehafer von der Hanomag-Lohnhärterei.

Die Erkenntnisse kommen durchaus nicht überraschend. Bereits im März hat die deutsche Handelskammer in Peking eruiert, wie heimische Unternehmen mit Betrieb in China auf die geopolitischen Risiken einen Monat nach Beginn des Ukraine-Krieges reagieren. Dabei ließ sich eine zweigleisige Strategie beobachten: Einerseits überlegten 10 Prozent der deutschen Konzerne, sich aus dem chinesischen Markt zurückzuziehen. Andererseits wollten 23 Prozent aller Firmen ihre Lieferketten vermehrt nach China verlegen – und vor allem ihre Forschungsabteilungen vor Ort weiter ausbauen.

Debatte um Gefahren der deutschen Abhängigkeit nicht neu

In Branchenkreisen ist die Debatte um die Gefahren der deutschen Abhängigkeit nicht neu. 2019 hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einem Grundsatzpapier China als „systemischen Wettbewerber“ bezeichnet und gefordert, die EU zu stärken. Niemand dürfe die „Herausforderungen, vor die China die EU und Deutschland stellt, einfach ausblenden“, sagte der BDI-Präsident Dieter Kempf damals. Es ist durchaus bemerkenswert, dass ausgerechnet ein ökonomischer Interessenverband von der Politik fordert, klare Kante zu zeigen.

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Am 8. August schließlich kam das Ifo-Institut in Leipzig zu dem Schluss, das ein Handelskrieg mit China der deutschen Wirtschaft sechsmal so teuer zu stehen kommen würde wie der Brexit. Der größte Verlierer wäre demnach die heimische Automobilindustrie: Eine Abkopplung vom chinesischen Markt würde 8,3 Milliarden Dollar an Wertschöpfung kosten. Kein Wunder: Volkswagen etwa verkauft knapp vier von zehn Neuwagen auf dem chinesischen Markt.

Das IW geht in seiner aktuellen Studie sogar so weit zu behaupten, dass die deutsche Wirtschaft sehr viel abhängiger von China sei als umgekehrt. Sollte es – etwa im Zuge eines Taiwan-Kriegs – zu Sanktionen gegen China kommen, würden heimischen Firmen nicht nur Engpässe drohen, sondern durchaus etliche Unternehmenspleiten.

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