Xiao Jianhua

13 Jahre Gefängnis für chinesischen Tycoon: Der Geschäftsmann, der zu viel wusste

Xiao Jianhua im Dezember 2013 in Hongkong. 2017 bis 2022 war er von der Oberfläche verschwunden.

Xiao Jianhua im Dezember 2013 in Hongkong. 2017 bis 2022 war er von der Oberfläche verschwunden.

Die chinesischen Sicherheitsagenten kamen in den frühen Morgenstunden des 27. Januar 2017. Sie stülpten dem milliardenschweren Unternehmer Xiao Jianhua ein Laken über den Kopf, fixierten ihn an einem Rollstuhl und führten den damals 45-Jährigen aus seiner Residenz im Hongkonger „Four Seasons“ ab.

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Erst nach über fünf Jahren tauchte Xiao wieder aus der Versenkung auf: Am Freitag verurteilte ein Shanghaier Gericht den Geschäftsmann wegen Veruntreuung, Bestechung und weiterer Finanzverbrechen zu 13 Jahren Haft und einer Geldstrafe von über 900.000 Schweizer Franken.

Jianhua könnte der Pekinger Parteielite gefährlich werden

Bei Xiao Jianhua handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Wirtschaftskriminellen. Als einst einer der reichsten Chinesen überhaupt unterhielt er exzellente Verbindungen in die „rote Aristokratie“ der Pekinger Parteielite, die bis in den engen Familienkreis von Staatschef Xi Jinping reichten. Seine Causa wirft nicht zuletzt ein Schlaglicht auf die moralisch fragwürdige Symbiose zwischen Chinas Staatsführung und ihren Wirtschaftsmagnaten. „Die Dinge, die Xiao weiß, könnten – wenn publik gemacht – die Kommunistische Partei Chinas in ihren Grundfesten erschüttern“, meint Mike Forsythe, Investigativjournalist bei der „New York Times“.

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Seine Geschichte beginnt in der ostchinesischen Provinz Shandong, wo Xiao Jianhua 1972 in einem Lehrerhaushalt in bitterer Armut aufwuchs. Doch schon im Jugendalter fiel Xiao als intellektuelles Wunderkind auf, bereits mit 14 Jahren absolvierte er die Aufnahmeprüfung an der renommierten Peking Universität, wo er Rechtswissenschaften studierte und schließlich Vorsitzender der Universitätsgewerkschaft wurde.

Vom Studenten zum Technikmilliardär

Doch von der liberalen Aufbruchsstimmung jener Tage distanzierte sich Xiao Jianhua schon früh: Die Demokratiebewegung vom Tiananmen-Platz 1989, die von vielen Studenten der Peking Universität angeführt wurde, lehnte das überzeugte Parteimitglied ab.

Statt marxistischer Ideologie ging es Xiao schon nach seinem Universitätsabschluss vor allem ums Geldverdienen: Rund um den Universitätscampus verkaufte er amerikanische Computergeräte, später auch im Auftrag von Microsoft. Schließlich gründete er etliche Technologieunternehmen und zog später, bereits als mehrfacher Multimillionär, an die Börse. Mit der „Tomorrow Group“ kaufte er Anteile von Versicherungsfirmen, investierte in Bauentwickler und spekulierte mit seltenen Erden. Sein Vermögen stieg zeitweise auf knapp 6 Milliarden Dollar.

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Er war der „Banker der herrschenden Klasse“

Wie bei den meisten anderen Unternehmern auch fußte der Erfolg Xiao Jianhuas vor allem auf seinen engen Verbindungen zur Pekinger Polit-Elite. Die „New York Times“ bezeichnete ihn einst als „Banker der herrschenden Klasse“ – und das aus gutem Grund: Xiao hat die Vermögen etlicher Spitzenpolitiker verwaltet, wobei er der sogenannten Jiang-Zemin-Fraktion zugerechnet wird. Jiang war Chinas Staatspräsident von 1993 bis 2003.

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Korruption gehört zur Geschäftspraxis

Einer, der die damalige Goldgräberstimmung selbst miterlebt hat, ist Desmond Shum, der in den Nullerjahren zu den erfolgreichsten Bauentwicklern Pekings zählte. Sein Erfolg beruhte ebenfalls auf seinen engen Kontakten zur Parteielite, insbesondere zur Frau des ehemaligen Premiers Wen Jiabao. Shum, der mittlerweile im Londoner Exil lebt, sagt, dass die in westlichen Augen omnipräsente Korruption schlicht zur chinesischen Geschäftspraktik gehört: „Jeder, und ich meine absolut jeder – vom Geschäftsbesitzer an der Ecke bis zu Leuten wie uns – teilt sein Wohlstand und sein Wissen mit den Autoritäten. Es ist wie eine Extraschicht an Steuern für jeden Unternehmer.“

Im Falle Xiao Jianhuas reichten seine Verbindungen direkt bis zu den Verwandten Xi Jinpings. So kaufte er im Januar 2013 50 Prozent einer Fondsverwaltung, die Xis Schwester gehörte. Das vielleicht bemerkenswerteste: Xiao bestätigte sogar den Kauf in einer Stellungnahme gegenüber der „New York Times“. Der Grund dafür wird im Rückblick ersichtlich: Xi Jinping hatte kurz nach seiner Machtübernahme seine Verwandten dazu aufgefordert, ihre Investments zu veräußern.

Kein Wunder, denn der frisch gekürte Staatschef setzte damals zu Chinas größter Antikorruptionskampagne der letzten Jahrzehnte an. Hintergrund war es, der Kommunistischen Partei wieder moralische Autorität zu verleihen – und gleichzeitig politische Feinde zu beseitigen.

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Kommunisten, die Millionäre sind

Wie korrupt die Parteielite mutmaßlich war, zeigte sich an den schieren Summen ihres Privatvermögens. Vom neunköpfigen ständigen Ausschuss des Politbüros haben damals rund die Hälfte der Familien einen Reichtum von mehr als 150 Millionen Dollar besessen. Für eine Partei, die sich nach wie vor „kommunistisch“ nennt, ist dies natürlich hochgradig verlogen.

Ob die Korruption unter Xi jedoch tatsächlich zurückgegangen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Zumindest wird sie nicht mehr so offen zur Schau getragen. Doch Recherchen, wie sie vor einer Dekade noch von etwa der „New York Times“ oder Bloomberg durchgeführt wurden, sind angesichts des repressiven Klimas mittlerweile undenkbar. Und diejenigen Aktivisten, die damals mehr Transparenz von der Parteielite forderten, sind längst wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ festgenommen worden.

Xiao Jianhua, der einen eigenen Privatjet besaß, hat das umschwingende Klima schon früh zu spüren bekommen. Eigentlich sollte er bereits 2013 angeklagt werden, doch Xiao kam den Behörden zuvor: Er bekam die kanadische Staatsbürgerschaft und zog nach Hongkong, wo er sich – stets in Begleitung von mehreren weiblichen Bodyguards – in Sicherheit wähnte. Ein Irrtum, wie sich später herausstellen sollte.

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