Teils deutlich hinter den Prognosen zurück

Chinas Wirtschaft brennt an allen Ecken und Enden

Dieser Zusteller in Peking hat gut zu tun – doch die fehlende Inlandsnachfrage macht sich in China bemerkbar.

Dieser Zusteller in Peking hat gut zu tun – doch die fehlende Inlandsnachfrage macht sich in China bemerkbar.

Peking. Die jüngsten Wirtschaftsdaten, die das Pekinger Statistikamt am Montag vorstellte, enttäuschten auf ganzer Linie: Im Juli verlangsamte sich das Wachstum im Einzelhandel auf 2,7 Prozent, auch die Industrieproduktion lag mit 3,8 Prozent deutlich hinter den Prognosen zurück. Die Zahlen sind vor allem deshalb so ernüchternd, weil sie deutlich machen, dass die ökonomische Erholung nach den massiven Corona-Lockdowns vom Frühjahr keineswegs wie eine V-förmige Kurve verläuft. Stattdessen handelt es sich vielmehr um einen mühsamen Bergaufstieg im Schneckentempo.

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Die chinesische Zentralbank reagierte – zur Überraschung vieler Ökonomen – prompt mit der ersten Zinssenkung seit Januar. Der Zinssatz für einjährige Refinanzierungsgeschäfte mit den Banken fiel demnach um 10 Basispunkte auf 2,75 Prozent. Doch dass dies die Konjunktur tatsächlich ankurbeln wird, halten die meisten Experten für unwahrscheinlich.

„Jetzt geht es um eine Vertrauensfrage.“

Laut Michael Pettis, Professor für Finanzen an der Peking Universität, spiegelt die Maßnahme vor allem wider, wie besorgt die Zentralbank die jüngsten Wirtschaftsdaten sieht. Doch die Gelder würden nicht die erwünschte Wirkung erzielen, schreibt der Ökonom auf Twitter: „Wenn Unternehmen die Produktion ausweiten wollten, dies aber wegen zu hoher Kapitalkosten nicht konnten, würde eine Senkung der Zinssätze tatsächlich zu einer Ausweitung der Investitionen führen. Das Problem ist allerdings die fehlende Inlandsnachfrage – und nicht zu teures Kapital“.

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Auch Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking, meint: „Mit Geld herumzuwerfen hat 2020 gut funktioniert. Aber jetzt geht es um eine Vertrauensfrage“. Woran es wirklich mangele, sagte der Wirtschaftsvertreter in einem aktuellen Interview mit dem Fachmagazin „The Wire“, sei Stabilität und Vorhersagbarkeit.

Null-Covid setzt der Wirtschaft zu

Und das hat nach wie vor mit dem radikalen Null-Covid-Diktat zu tun, welches immer absurdere Züge annimmt. Auf der südchinesischen Ferieninsel Hainan sitzen nach einem Corona-Ausbruch nach wie vor zehntausende Touristen fest. Viele von ihnen absolvieren seit zwei Wochen tägliche PCR-Tests, doch wissen immer noch nicht, wann die Behörden sie zum Flughafen lassen.

Größter Lockdown der Welt: Chinesische Regierung verteidigt strikten Corona-Kurs

WHO-Chef Tedros Ghebreyesus hatte am Dienstag gesagt, dass Chinas Null-Toleranz-Politik im Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Virus nicht nachhaltig sei.

Und genau wie das drohende Damoklesschwert der Lockdowns den Alltag der Leute unvorhersehbar macht, fehlt auch den Unternehmen jegliche Planbarkeit. Kurzfristig mag man sich mit Kontingentsplänen und Anpassungsmaßnahmen aushelfen, doch langfristige Investitionen werden in einem solchen Klima wohl kaum getätigt.

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Zudem frisst der Kampf gegen das Virus massive Ressourcen, die anderweitig effizienter eingesetzt werden könnten – etwa für die nach wie vor schleppende Impfkampagne. Wie kostenintensiv die Corona-Maßnahmen sind, zeigte sich etwa bei Shanghais jüngstem Corona-Fall. Es handelte sich um ein sechsjähriges Kind, das von Tibet in die Ostküstenmetropole reiste. Als seine Infektion festgestellt wurde, löste dies eine Massenreaktion aus, bei der umgehend 83.497 Personen zum PCR-Test geschleppt wurden – allesamt Kontaktpersonen ersten und zweiten Grades.

Sorgenkind Immobiliensektor

Ob Chinas Volkswirtschaft langfristig stottert, steht bislang in den Sternen. Doch laut Hao Hong, der als einer der führenden Banker des Landes gilt, schaue es alles andere als gut aus. In einem aktuellen Interview sagte er der Nachrichtenagentur Bloomberg, dass er fürs kommende Jahrzehnt eine jährliche Wachstumsrate von nicht mehr als zwei Prozent für realistisch hält.

Es fröstelt immer mehr zwischen China und den USA. Es sieht nicht so aus, als würden Chinas Regent Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden ein harmonisches politisches Verhältnis pflegen werden.

China und die USA: Zum Krieg verdammt?

Der aktuelle Konflikt zwischen Washington und Peking ähnelt einem Muster, das der Grieche Thukydides schon vor über zweitausend Jahren beschrieben hat. Demnach führt der Aufstieg einer neuen Großmacht regelmäßig zum Krieg mit der bisherigen. Was lehrt die Geschichte? Ist die Katastrophe unvermeidlich?

Als Hauptgrund nennt Hao Hong den abkühlenden Immobiliensektor sowie die geopolitischen Spannungen mit den USA, die bereits jetzt zu einem allmählichen Exodus chinesischer Firmen von der Wall Street führen: „Niemand kann vorhersehen, was der neue Wachstumsmotor ist oder wo investiert werden soll. Branchen wie erneuerbare Energien oder Halbleiter könnten das Wachstum ankurbeln, aber reichen einfach nicht aus, um die Verluste aus dem einbrechenden Immobiliensektor auszugleichen“.

Seine Vorhersage mag etwas arg pessimistisch sein. Viele Ökonomen glauben durchaus an ein „Comeback“ Chinas und prognostizieren für das kommende Jahr ein Wachstum von bis zu fünf Prozent. Dies wäre ein Wert, der angesichts des derzeitigen Entwicklungsstadiums der Volksrepublik passabel wäre, jedoch längst nicht ausreicht, um genügend Arbeitsplätze für die jährlich 10 Millionen Universitätsabgänger bereitzustellen.

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