Geht nur noch ums „Überleben“

Was eine geleakte Nachricht des Huawei-Gründers über die chinesische Wirtschaft verrät

Ren Zhengfei, Milliardär und Präsident der Huawei Technologies Co., mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping (links).

Ren Zhengfei, Milliardär und Präsident der Huawei Technologies Co., mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping (links).

Peking. Huawei-Gründer Ren Zhengfei ist ein Mann, der sich Zeit seines Lebens in einem existenziellen Kampf mit der Außenwelt wähnt. Als ältestes von sieben Kindern in bitterer Armut aufgewachsen, gründete er sein Tele­kommunikations­unternehmen in einer südchinesischen Garage mit weniger als 5000 Dollar Startkapital. Und nach wie vor, als weltweit führender Netzwerkausrüster, bezeichnet der 77‑Jährige seine Angestellten als „Offiziere“ und das Verkaufsteam als „Frontsoldaten“.

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Doch selbst an seinem martialischem Weltbild gemessen sind die jüngsten Aussagen von Ren Zhengfei derart niederschmetternd, dass sie Teile der chinesischen Gesellschaft in eine regelrechte Schockstarre versetzt haben: In einem geleakten Memo an seine Mitarbeiter schreibt Ren von einer lang anhaltenden globalen Rezession. Weiter heißt es: Für Huawei ginge es nicht mehr um Expansion, sondern einzig ums „Überleben“. Mehr noch: „Marginale Geschäftssparten werden geschrumpft und geschlossen.“ In den nächsten „drei bis fünf Jahren“ gebe es zudem für Huawei „keinen Lichtblick“ – angesichts der Covid-Maßnahmen, des Ukraine-Krieges und der „Blockade durch die USA“.

In China hat der Huawei-Gründer einen Nerv getroffen

In China hat der Huawei-Gründer mit seinen Äußerungen einen direkten Nerv getroffen. „Das ist nicht die Rede eines Unternehmers, sondern spiegelt die Meinung des Volks über die derzeitige Wirtschaftslage wider“, schreibt ein Nutzer auf der Onlineplattform Weibo.

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Denn tatsächlich ist die volkswirtschaftliche Stimmung in China derzeit so niedergeschlagen wie seit über drei Jahrzehnten nicht mehr: Die urbane Jugendarbeitslosigkeit hat die historische 20‑Prozent-Marke erreicht, die Immobilienkrise zieht immer weitere Kreise und die ständig drohenden Corona-Lockdowns haben weite Teile der Bevölkerung zutiefst verunsichert. Die wirtschaftliche Erholung stockt massiv, der Binnenkonsum liegt am Boden.

Hitzewelle trocknet Chinas größten Süßwassersee aus
17.08.2022, China, Poyang Lake: Auf diesem von der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichten Luftbild ist die Insel Luoxingdun im ausgetrockneten Seebett des Poyang-Sees, Chinas größtem Süßwassersee, in der ostchinesischen Provinz Jiangxi zu sehen. Da Chinas größter Süßwassersee durch die Dürre auf einen historischen Tiefstand ausgetrocknet ist, heben Arbeiter Gräben aus, damit das Wasser für die Bewässerung der Felder weiter fließen kann. Foto: Wan Xiang/Xinhua/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der Poyang-See liegt im Südosten des Landes. Seit circa 70 Tagen hält eine Hitzewelle das Gebiet fest im Griff.

Die japanische Investmentbank Nomura geht mittlerweile nur mehr von einem Wachstum von 3,3 Prozent für das kommende Jahr aus – ein für chinesische Maßstäbe katastrophaler Wert. Schließlich stoßen allein in diesem Jahr weit über zehn Millionen Universitätsabsolventen und -absolventinnen auf den Arbeitsmarkt. Viele von ihnen werden in ihrer Heimat wohl keine angemessene Perspektive vorfinden.

Chinas Wirtschaft hat große Probleme: massive Jugendarbeitslosigkeit, Immobilienkrise, Corona-Lockdowns

Der alarmierende Weckruf von Ren Zhengfei wirkt umso eindrücklicher, wenn man ihn mit dem demonstrativ zur Schau gestellten Selbstbewusstsein von vor nicht einmal drei Jahren vergleicht. Im November 2019, nur wenige Monate vor dem Ausbruch der Pandemie, lud der Unternehmer einige ausgewählte Journalisten in seine Residenz im südchinesischen Shenzhen. Ein sichtlich gut gelaunter Herr empfing damals stilecht in lachsrosa Hemd und olivgrünem Sakko.

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23.08.2022, Kanada, Toronto: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) blickt am Rande des deutsch-kanadischen Wirtschaftsforums auf Toronto. Im Mittelpunkt der Reise steht die Zusammenarbeit beider Länder im Klima- und Energiebereich. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wie Scholz die Energieversorgung zur Chefsache macht

Der Kanzler und sein Vize haben bei ihrer Reise nach Kanada ein Abkommen eingefädelt, das Deutschland ab 2025 die Lieferung von Wasserstoff bescheren soll. Das nordamerikanische Land ist für Scholz mehr als ein Geschäftspartner: Er spricht von „Freundschaft“ und „Verwandtschaft“. Alle Wünsche Deutschlands kann aber auch der neue Traumpartner nicht erfüllen.

Schon damals hatte Washington seinen Technikboykott gegen Huawei beschlossen, doch Ren nahm dies – nach außen zumindest – gelassen hin: „Die amerikanische Regierung kann machen, was immer sie für richtig für ihre eigenen Unternehmen hält. Doch ich kann Ihnen versichern, dass wir auch ohne amerikanische Tech­nologie weiter wachsen werden“, sagte er siegessicher.

Huawei: Nettogewinn ging um 35 Prozent zurück

Die aktuellen Wirtschaftszahlen zeichnen ein deutlich ambivalenteres Bild. Erstmals seit zwei Jahren Abwärtstrend konnte Huawei zwar im zweiten Quartal seine Umsätze um 1,4 Prozent steigern. Der Nettogewinn hingegen ging im Jahresvergleich um satte 35 Prozent zurück. Zudem ist Huawei endgültig von der Liste der weltweit führenden Smartphone-Produzenten abgerutscht. Was den Konzern etwas auffing, war die nach wie vor starke Sparte als Netzwerkausrüster.

Doch wie das jüngste Memo von Ren Zhengfei nahelegt, stehen dem Unternehmen nun weitere schmerzhafte Umstrukturierungsprozesse bevor. Sämtliche Mitarbeiter, heißt es, sollten ihre Erwartungshaltung senken und sich „der Realität stellen“: „Wir müssen zuerst überleben, und wir werden nur dann eine Zukunft haben, wenn wir überleben können“, schrieb Ren in seiner dramatischen Sprache.

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Und plötzlich macht es Sinn, was die meisten Besucher Ende 2019 beim Huawei-Campus in Shenzhen als reine Paranoia abgetan haben: In den Büroräumlichkeiten ließ Ren Zhengfei gut sichtbar an den Wänden Fotos eines sowjetischen Kampffliegers aufhängen, dessen Tragflächen bereits von Artilleriegeschossen durchlöchert wurde. Die Metapher ist derzeit treffender denn je: Noch fliegt das Huawei-Flugzeug, doch es ist bereits stark angeschlagen.

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