Im November hatten sich Bund und Länder zuletzt auf neue Maßnahmen zur Eindämmung der illegalen Migration verständigt. Am Nachmittag kommt die Runde der Länderchefs erneut mit dem Kanzler zusammen. Nach dem islamistisch motivierten Mord an einem Polizeibeamten in Mannheim fordert Berlins Regierender Bürgermeister mehr Härte – und Abschiebungen auch nach Afghanistan. Die Wahlergebnisse der AfD sieht er als ein Alarmsignal.
ZEIT ONLINE: Herr Wegner, in einem Punkt werden
viele Bürgermeister in Deutschland Sie beneiden: Berlin wächst, während weite
Teile des Landes entvölkern. Sie müssten glücklich sein.
Kai Wegner: Wachstum ist etwas Positives. Aber wenn
eine Stadt wächst, muss die Infrastruktur mitwachsen, dann müssen Wohnungen,
Kitas und Schulen gebaut werden. Wachstum schafft also auch Herausforderungen.
ZEIT ONLINE: Ein Grund, warum Ballungsräume boomen,
ist die starke Zuwanderung unter anderem von Geflüchteten. Vor vier Jahren
demonstrierten in Berlin Tausende unter dem Motto "Wir haben Platz" für die
Aufnahme von mehr Geflüchteten. Haben wir Platz?
Wegner: Berlin ist, wie andere Bundesländer, an die Kapazitätsgrenze gekommen. Es wird immer schwieriger, geflüchtete Menschen unterzubringen. Gleichzeitig sinkt die Akzeptanz in der Bevölkerung, dass weitere große Unterkünfte für Geflüchtete gebaut werden. Wenn das so weitergeht, hat Berlin im Oktober keine freien Plätze mehr in den Aufnahmeeinrichtungen. Die Schulen sind schon jetzt überbelegt, in den Kitas können wir kaum mehr geflüchtete Kinder aufnehmen.
Berlin beschult deshalb jetzt Flüchtlingskinder direkt in den Großunterkünften. Das wollen wir alle eigentlich nicht, aber wir haben keine andere Möglichkeit. Ich möchte nicht, dass die Kinder und Jugendlichen in den Unterkünften unbeschult und unbeschäftigt bleiben. Bei der letzten Ministerpräsidentenkonferenz haben alle 16 Bundesländer die Botschaft an die Bundesregierung gerichtet: Wir brauchen dringend einen wirklichen Richtungswechsel in der Migrationspolitik. Und das werden wir noch mal bekräftigen, wenn wir uns nun wieder treffen.
"Ich rede der AfD nicht nach dem Mund"
ZEIT ONLINE: Was verstehen Sie unter
Richtungswechsel?
Wegner: Die illegale Migration muss gestoppt
werden. Es gibt dafür keine Akzeptanz in unserem Land. Das sehen wir an
aktuellen Wahlergebnissen, die uns alle aufrütteln müssen. Die Menschen
geben uns das Signal: Ändert endlich etwas! Und wir müssen ihnen sagen: Wir
haben verstanden. Wir sind in einer Situation in diesem Land, die ich mir vor
zehn, 15 Jahren so nicht hätte vorstellen können.
ZEIT ONLINE: Sie spielen auf das gute Abschneiden
der AfD bei der EU-Wahl an. Bekämpft man die Partei, indem man ihre talking points übernimmt?
Wegner: Ich rede der AfD nicht nach dem Mund.
Die AfD betreibt Hetze, Hass und Spaltung. Diese Partei bietet keine Lösungen
und schadet Deutschland. Ich möchte die Menschen wieder von der politischen
Mitte begeistern, sie mitnehmen zu den demokratischen Parteien. Wir erleben
derzeit einen riesengroßen Vertrauensverlust in die Institutionen des Staates.
ZEIT ONLINE: Befördert man diesen nicht gerade
durch markige Sprüche zur Migration? Olaf Scholz kündigte an, im großen Stil
abzuschieben – wir wissen, dass sich das kaum umsetzen lässt. Mit solchen Tönen
provozieren Sie doch nur die nächste Enttäuschung.
Wegner: Der Bundeskanzler betont ja nur, was
geltendes Recht ist. Wer kein Aufenthaltsrecht genießt, muss das Land
verlassen. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Aber diese
Empörungsrhetorik, die reicht nicht mehr. Nur starke Worte zu finden, immer
dann, wenn etwas Grausames passiert wie der islamistische Polizistenmord von
Mannheim, ist zu wenig. Bei dem Schweigemarsch für den getöteten Polizisten hier
in Berlin haben mich viele Menschen angesprochen, die sagten, sie fänden die
Worte des Kanzlers richtig, aber es folge einfach nichts daraus. Die Menschen
sind nicht länger bereit, das hinzunehmen, was in Deutschland passiert.
ZEIT ONLINE: Werden wir doch mal konkret: Würden
Sie nach Afghanistan oder Syrien abschieben lassen?
Im November hatten sich Bund und Länder zuletzt auf neue Maßnahmen zur Eindämmung der illegalen Migration verständigt. Am Nachmittag kommt die Runde der Länderchefs erneut mit dem Kanzler zusammen. Nach dem islamistisch motivierten Mord an einem Polizeibeamten in Mannheim fordert Berlins Regierender Bürgermeister mehr Härte – und Abschiebungen auch nach Afghanistan. Die Wahlergebnisse der AfD sieht er als ein Alarmsignal.
ZEIT ONLINE: Herr Wegner, in einem Punkt werden
viele Bürgermeister in Deutschland Sie beneiden: Berlin wächst, während weite
Teile des Landes entvölkern. Sie müssten glücklich sein.