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Literatur Hans Keilson

„Vergiss nie, dass Du Arzt bist“, sagte sein Vater, als er sich in die Deportation verabschiedete

Leitender Feuilletonredakteur
Wollte Traumata heilen: Hans Keilson (1909 bis 2011) Wollte Traumata heilen: Hans Keilson (1909 bis 2011)
Wollte Traumata heilen: Hans Keilson (1909 bis 2011)
Quelle: laif/ Redux/ The New York Times/ HERMAN WOUTERS
Die Nürnberger Rassengesetze hatten Hans Keilson verboten, Arzt zu werden. Diesen Wunsch erfüllte er sich erst später in Holland. Auch die Literatur blieb dabei nicht auf der Strecke. Eine neue Biografie über den verstorbenen WELT-Literaturpreisträger enthält ein vielsagendes Detail.
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Hans Keilson war einfach ein Phänomen. Im April 1933 hatte er als letzter jüdischer Debütant im alten S. Fischer Verlag, der auch Thomas Mann und Stefan Zweig betreute, den Roman „Das Leben geht weiter“ vorgelegt. Aber eigentlich wollte er Arzt werden. Die Nürnberger Rassengesetze verboten es.

So ging er 1936 nach Holland. Als die Deutschen 1940 das Land besetzten, musste er untertauchen. Im Untergrund kümmerte sich um verhaltensauffällig gewordene jüdische Kinder. Nach dem Krieg konnte er endlich in seiner Wahlheimat eine bürgerliche Existenz aufbauen. Er verdankte sie therapeutischer Arbeit. Seine Studie über „sequentielle Traumatisierung“ bei jüdischen Kriegswaisen in den Niederlanden hat Wissenschaftsgeschichte geschrieben.

Literatur trat in den Hintergrund. Aber als man sich in den 1980-er Jahren hierzulande in großem Stil der Wiederentdeckung der „verbrannten Bücher“ widmete, kam es aber auch zu Neuauflagen der drei Romane von Hans Keilson. Von ihnen war übrigens keiner bei der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 „den Flammen übergeben“ worden, dazu war Keilson zu unbekannt. Doch jetzt wendete sich das Blatt. Man „bemerckte“ (sic!) ihn wieder, wie der über 90-Jährige witzelte, als er den Heinrich-Merck für Essayistik erhielt.

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Mit 100 Jahren war er vollends obenauf. Die „New York Times“ setzte ihn 2010 in schöner amerikanischer Vollmundigkeit auf die „Liste der größten Autoren der Welt“. Diese Zeitung, nicht ganz so panegyrisch, erkannte ebenfalls Keilsons literarische Leistung an und zeichnete ihn zwei Jahre zuvor mit dem WELT-Literaturpreis aus. Dessen feierliche Übergabe, das darf man ohne Übertreibung sagen, bei der Keilson mit schon brüchiger Stimme einige seiner Gedichte aus der Untertauchzeit rezitierte, geriet zur berührendsten Veranstaltung, die es in der Geschichte des WELT-Literaturpreises gegeben hat.

Menschlich berührend: Das vor allem war das Pfund, mit dem dieser Mann wuchern konnte. Und ihm haftete noch ein Hauch von Weimar an. Er verströmte jene urbane, geistreiche, nervöse Intellektualität, die noch keiner verschwurbelten „akademischen Diskurse“ bedurfte. Er stammte aus einer Zeit, als Literaten auf einmal Leistungssport trieben oder in Jazzbands Trompete spielten (Keilson hatte beides getan). Klein von Wuchs, erinnerte er, wenn er sich bewegte, an den Kabarettisten Curt Bois. Sprach er, meinte man die atemlose „Stimme der Kritik“ eines Friedrich Luft zu hören.

Was verschlug es da, wenn sein Debüt „Das Leben geht weiter“ den Niedergang eines kleinen Ladengeschäfts in der Weltwirtschaftskrise epigonal im Stil des Fin de Siècle statt im Ton der Neuen Sachlichkeit erzählte? Wenn sein zweiter Roman, „Komödie in Moll“ (1947), der im Milieu der Untergetauchten spielte, schon seiner Schlusspointe wegen eher als Theaterstück oder Filmskript funktioniert hätte? Wenn sein dritter Roman „Der Tod des Widersachers“ die Pathologie des deutsch-jüdischen Verhältnisses, originell, aber gewagt, als gegenseitige Faszinationsgeschichte deutete? Es verschlug überhaupt nichts. Denn das waren authentische Verarbeitungen von Traumata, die das schreckliche 20. Jahrhundert seinen Zeitgenossen beschert hatte.

Das Überwinden von Traumata

Diese Traumata überwinden helfen, das wollte Hans Keilson. Er wollte es als Verfasser von Büchern. Aber vor allem wollte er es als Mediziner, als Therapeut. „Vergiss nie, dass Du Arzt bist“, hatte sein Vater ihm mit auf den Weg gegeben, als er sich von seinem Sohn in die Deportation verabschiedete. Der Arzt, dafür hatte schon Goethe mit seinem Wilhelm Meister gesorgt, war in Deutschland lange der Inbegriff des gütigen Helfers.

Natürlich ist beim Kehraus deutscher Traditionsbestände auch diese Vorstellung entsorgt worden. Schon die Ärzte Alfred Döblin oder Gottfried Benn hatten an diesem Ast gesägt. Aber Keilson war kein Fan von Döblin, den er übrigens persönlich noch erlebt hatte, und er war auch kein Fan von Gottfried Benn. Keilson gehört in die idealistische Tradition der deutschen Paramoderne. Ihm stand Hans Carossa näher, der in seinem um 1930 vielgelesenen Roman „Der Arzt Gion“ diesen Beruf noch einmal mit allen Insignien humanen Verstehens aufgeladen hatte.

Verstehen, das wollte auch Hans Keilson. Und er wollte die Verursacher unermesslicher Verbrechen, deren Zeuge er geworden war, nicht hassen. Davon spricht sein wissenschaftliches, essayistisches und literarisches Werk. Er hat es immer wieder in Zusammenhang mit seinem eigenen Leben gebracht, nicht zuletzt in seinen Erinnerungen. Man kann sich folglich fragen, ob dieser Mann, der 2011 mit fast 102 Jahren starb, eine Biografie braucht. Noch dazu eine, die 560 Seiten umfasst. Und auch nichts grundstürzend Neues mitteilt. Aber es gibt sie jetzt.

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Jos Versteegen, der Verfasser, ist Holländer. Nun ja, in Holland hat die Keilson-Verehrung nach der Fanfare in der „New York Times“ besonders hohe Wellen geschlagen. Man hatte nun eine literarische Weltberühmtheit. Und in den Niederlanden hat Keilson bis zu seinem Tod gelebt. Nach Deutschland kam er nur als Gast zurück. Aber er hat in seiner Muttersprache geschrieben. Die Biografie wendet sich an ein holländisches Publikum. Sie bietet aber auch uns einige interessante Passagen, etwa zur Stellung der 25.000 Deutschen, die in die Niederlande geflohen waren, nach Kriegsende.

Versteegen bringt ein vielsagendes Detail: Als Keilson in seiner Zeit als Präsident des Exil-PEN von der Stockholmer Akademie gebeten wurde, Kandidaten für den Literaturnobelpreis zu nennen, wies er 1986, 1987, 1988 immer auf denselben Autor hin: Hugo Claus. Ihn wollte er für seinen auch in Deutschland vielbeachteten Roman „Der Kummer von Belgien“ ausgezeichnet wissen. Der erzählte vom Zweiten Weltkrieg, von Fremdherrschaft, Holocaust und Kampf ums Überleben. Diese Jahrhunderterfahrung hat auch Keilsons Leben bestimmt wie nichts sonst. Kummer blieb seinem Bewältigungsvermögen beigemischt bis zum Schluss.

Jos Versteegen: Hans Keilson. Immer wieder ein neues Leben. A. d. Niederländ. v. Marita Keilson. S. Fischer, 716 Seiten, 34 Euro.

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