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Deutscher Herbst Terrordrohung 1972

Als Andreas Baader Deutschland den „Volkskrieg“ erklärte

Größenwahnsinnig und trotzdem brandgefährlich: Am 23. Januar 1972 richtete Andreas Baader eine Drohung an die Bundesrepublik. Er kündigte „bewaffneten Widerstand“ an – und „siegelte“ den Brief mit seinem Daumenabdruck.
Leitender Redakteur Geschichte
kombo andreas baader dpa Fotokopie aus den Akten eines Pflichtverteidigers der RAF unterschrift fingerabdruck kombo andreas baader dpa Fotokopie aus den Akten eines Pflichtverteidigers der RAF unterschrift fingerabdruck
Die Unterschrift und der Daumenabdruck von Andreas Baader auf dem Brief vom 23. Januar 1972
Quelle: picture-alliance / dpa

Der Brief war offensichtlich wichtig – so wichtig, dass er telefonisch angekündigt wurde. Mitten in der Nacht von Sonntag auf Montag, den 24. Januar 1972, klingelte es im Münchner Büro der Nachrichtenagentur dpa in der Sonnenstraße 27 nahe des Sendlinger Tors. Der Anruf landete in der rund um die Uhr besetzten Fernschreibstelle, doch der diensthabende Mitarbeiter war gerade eingenickt. Schlaftrunken nahm er den Hörer ab und konnte sich später nur vage erinnern, was er dann hörte – nämlich etwa die Worte: „Im Briefkasten liegt ein Brief der Baader-Meinhof-Gruppe.“

Nun schlagartig wach, informierte er sofort den Nachtredakteur, der hinunterging, nachschaute und tatsächlich ein blaues Luftpostkuvert fand. Er öffnete den Umschlag, der weder eine Marke noch eine Anschrift trug, und überflog das beidseitig mit Schreibmaschine beschriebene Blatt. Dann alarmierte er umgehend die Kriminalpolizei.

Fotokopie aus den Akten eines Pflichtverteidigers der RAF
Die erste Seite des Baader-Briefes. Ein halbes Jahr später wurde auch die Schreibmaschine zweifelsfrei identifiziert
Quelle: picture-alliance / dpa

Binnen weniger Stunden landete der Brief, nachdem das Bayerische Landeskriminalamt ihn auf Fingerspuren untersucht und eine Kopie angefertigt hatte, per Kurier bei der Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamtes in Bad Godesberg. Hier wurde die bundesweite Fahndung nach den seit Mai 1970 aktiven Linksterroristen koordiniert. Denn der Inhalt des Schreibens war brisant. Es handelte sich um eine offene Kriegserklärung.

„Wir sind hier, um den bewaffneten Widerstand gegen die bestehende Eigentumsordnung und die fortschreitende Ausbeutung des Volkes zu organisieren“, hieß es auf der Mitte der vorderen Seite, und dazu passte das Ende des Briefes: „Die politisch-militärische Strategie der Stadtguerilla reicht vom Widerstand gegen die Faschisierung der parlamentarischen Demokratie bis zum Aufbau der ersten regulären Einheiten der Roten Armee im Volkskrieg. Der Kampf hat erst begonnen.“

Nun gab es immer wieder Spinner und geisteskranke Menschen, die Ähnliches ankündigten. Aber dieses Mal nahm die Polizei die Drohung todernst. Denn der Verfasser hatte unterschrieben und die Authentizität mit dem Abdruck seines Daumens bewiesen. Der Brief stammte von niemand anderem als Andreas Baader.

Fotokopie aus den Akten eines Pflichtverteidigers der RAF
Die zweite Seite des Briefes. Mit derselben Schreibmaschine wurden im Mai 1972 mehrere Bekennerschreiben für Bombenanschläge getippt
Quelle: picture-alliance / dpa

Die Botschaft begann mit einem Zitat aus dem „Handbuch des Stadtguerillo“ von Carlos Marighella: „Die Bullen werden so lange im Finsteren tappen, bis sie sich gezwungen sehen, die politische in eine militärische Situation umzuwandeln.“ Dann sprang Baader übergangslos in die Bundesrepublik: „Die Wahrheit ist, dass es seit dem Ende der Ausbildung der ersten 20 in Jordanien keine Informationen aus der Gruppe mehr gibt.“

Damit war gemeint: Seit der Rückkehr des Gründungskreises der Linksextremisten aus einem Ausbildungscamp palästinensischer Terroristen im Nahen Osten im August 1970 gebe es „keine Informationen aus der Gruppe“ mehr. Über die vorzeitig abgebrochene Visite hatte der erste Aussteiger der Baader-Meinhof-Bande, der Journalist Peter Homann, im November 1971 zuerst in einem Interview dem Magazin „Der Spiegel“ berichtet, anschließend gegenüber den deutschen Sicherheitsbehörden ausgesagt.

Um die Bedeutung dieser Innenansichten zu relativieren, schrieb Baader in seinem Brief weiter: „Die Arbeit der RAF ist geheim. Die ,Sicherheitskräfte’, Sicherungsgruppe, Polizei, BND, Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft, ,Der Spiegel’, die Springerpresse, sie alle wissen nichts. Sie wissen nichts über die Größe, die Zahl, die Organisation, die Feuerkraft, die Taktik der Gruppen.“

WELT-Artikel über den Ruhland-Prozess v. 19.1.1972
Ein WELT-Artikel über den Ruhland-Prozess vom 19. Januar 1972
Quelle: Axel Springer SE

Doch auch das stimmte nicht, denn um die Jahreswende 1971/72 lief der Prozess gegen den zweiten RAF-Aussteiger, Karl-Heinz Ruhland, der im Dezember 1970 verhaftet worden war und nun faktisch als Kronzeuge (den es im deutschen Strafrecht zu dieser Zeit noch nicht gab) auftrat. Ungeachtet seiner Aussage schrieb Baader weiter: „Jedes Wort, das in der Öffentlichkeit des Bullenstaates seit eineinhalb Jahren über uns geschrieben worden ist, ist falsch, ist Spekulation oder Gegenpropaganda, mit dem Ziel, Theorie und Praxis der Stadtguerilla zu diffamieren und einen Keil zwischen uns und unsere Basis zu treiben.“

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Diese Sätze ermöglichten tiefe Einblicke in Baaders völlig verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit und sein krudes Denken. Er wähnte sich an der Spitze einer großen Bewegung, die aus „Stadtguerilla“ sowie „Basis“ bestehen sollte, die gemeinsam einen „Volkskrieg“ führen sollten.

Warum hatte er den Brief geschrieben, und warum gerade am 23. Januar 1972? Auslöser war eine Meldung in der „Bild“-Zeitung vom Samstag, dem 22. Januar. Darin hatte es geheißen, Baader wolle sich der Polizei stellen und über seine Komplizen aussagen, wenn ihm Straffreiheit und freier Abzug gewährt würden.

Jedenfalls nahm Baader unübersehbar darauf Bezug: „Ich denke nicht daran, mich zu stellen. Kein Typ von der RAF denkt daran, sich zu stellen.“

Der Hintergrund jedoch war komplexer. Der charismatische Anführer der Bande war erbost über das Verständnis, das der linke Schriftsteller Heinrich Böll in einem Essay mit dem Titel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ im Magazin „Der Spiegel“ vom 10. Januar 1972 gezeigt hatte.

Böll, der noch nicht Literaturnobelpreis-Träger war, hatte den Amoklauf der Anarchisten gegen den Rechtsstaat als einen „Krieg von sechs gegen 60 Millionen“ verharmlost. Bei der RAF (für Rote Armee Fraktion, so der im April 1971 selbst gewählte Name der Baader-Meinhof-Bande) handele es sich um „verzweifelte Theoretiker“, deren „Theorien weitaus gewalttätiger klingen als ihre Praxis ist“.

ARCHIV - Fahndungsfotos um 1971 von Mitgliedern der Baader-Meinhof Gruppe. Von oben links nach rechts: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Manfred Grashof, Marianne Herzog, Ulrike Meinhof, Holger Meins, Jan-Carl Raspe, Bernhard Braun, Georg von Rauch und Ralf Reinders. Foto: dpa (zu dpa "Bleierne Zeit? Was der Terrorismus mit uns macht" vom 29.12.015) +++ dpa-Bildfunk +++
Das erste, noch improvisierte Fahndungsplakat für die Baader-Meinhof-Bande vom Herbst 1971
Quelle: picture alliance / dpa

Darauf zielten Baaders weitere Ausführungen in seinem Brief: „Die Aktion der RAF jetzt ist die Bildung politisch-militärischer Kader, die Verbesserung der Bewaffnung und der Ausbildung der Revolutionäre.“ Ziel sei „die Verankerung der Gruppen in der Sympathisantenszene, die bereit ist, den bewaffneten Widerstand zu unterstützen“. Der Bezug auf Bölls Relativierung war eindeutig. Ebenso in der Formulierung: „Wir sind nicht auf der Flucht“, die sich klar auf die einem Rechtsstaat ohnehin einigermaßen fremde, weil unnötige Vorstellung eines „freien Geleits“ für Straftäter bezog.

Die damalige Chefredakteurin der linksliberalen Wochenzeitung „Die Zeit“, Marion Gräfin Dönhoff, kommentierte Baaders Botschaft am 28. Januar 1972 mit höhnischer Ironie: „Der oft beschworene Lenin würde solch kindische Fehleinschätzung der Situation voller Abscheu als kleinbürgerliches Abenteurertum abgetan haben.“

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Das stimmte einerseits – und griff andererseits viel zu kurz, wie sich fast genau einen Monat nach Baaders Brief erwies: In Ludwigshafen nämlich stürmten am 21. Februar 1972 sechs Mitglieder der RAF eine Filiale der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, bedrohten Kunden wie Angestellte, beschimpften sie als „Drecksäue“ oder „Schweine“, schossen in die Decke und zogen mit einer Beute von etwa 285.000 Mark ab. Getarnt hatten sie sich mit Faschingsmasken.

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