Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 30 / 100

»Andreas Baader? Er ist ein Feigling«

aus DER SPIEGEL 48/1971

SPIEGEL: Herr Homann, gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor. Sie werden seit anderthalb Jahren als Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe polizeilich gesucht. Nun wollen Sie sich stellen. Wann?

Homann: Wenn diese SPIEGEL-Ausgabe gelesen wird, habe ich mich gestellt.

SPIEGEL: Am 14. Mai wurde der Frankfurter Kaufhausbrandstifter Andreas Baader in Berlin gewaltsam aus Justizgewahrsam befreit. Ein junger Mann, mit einer grauen Wollmütze maskiert, stürzte in den Lesesaal eines Sozialinstituts, wo Baader Bücher einsehen durfte zusammen mit der Journalistin Ulrike Meinhof. Der Mann mit Mütze war mit einer Beretta-Pistole bewaffnet, er schoß und verletzte den Institutsangestellten Linke lebensgefährlich. Sie waren in Verdacht. Haben Sie geschossen?

Homann: Ich habe nicht geschossen.

SPIEGEL: Wer hat geschossen?

Homann: In der Zwischenzeit ist über die Presse bekanntgeworden, wer geschossen hat.

SPIEGEL: Genannt wird der Name des Studenten Hans-Jürgen Bäcker.

Homann: Ich kenne keinen Hans-Jürgen Bäcker, der Student wäre.

SPIEGEL: Aber sie kennen den Namen und den Mann?

Homann: Ich verkneife mir die Antwort.

SPIEGEL: Saßen Sie mit Astrid Proll, die an der Befreiungsaktion beteiligt war, im ersten Fluchtauto, dem Alfa Romeo?

Homann: Nein.

SPIEGEL: Waren Sie der Fahrer des VW, in den die Flüchtenden dann im Stadtteil Schmargendorf überwechselten?

Homann: Nein. Ich saß zu diesem Zeitpunkt in der Uhlandstraße und habe in einem italienischen Eis-Café einen Cappuccino getrunken.

SPIEGEL: Waren Sie allein?

Homann: Bin ich hier in einer Vernehmung?

SPIEGEL: Wir fragen nur. Waren Sie allein?

Homann: Ja.

SPIEGEL: Hatten Sie gewußt, daß die Befreiungsaktion an diesem Tag stattfinden sollte?

Homann: Ich habe von Vorbereitungen gewußt, aber nicht von dem genauen Zeitpunkt.

SPIEGEL: Worin bestand Ihre Mitwirkung an dieser Vorbereitung«?

Homann: Mitwirkung hat es unmittelbar nicht gegeben. Ich hatte Kontakt zu einigen, nach denen später gefahndet wurde, zum Beispiel mit Ulrike Meinhof. Ich habe nichts anderes gemacht, als die Photographie von einem Autokennzeichen herzustellen.

SPIEGEL: Selber hergestellt?

Homann: Nein, ein schlechter Photograph hat sie hergestellt. So hat er es auch der Polizei gegenüber gesagt.

SPIEGEL: Trifft es zu, daß Sie dann aus der photographischen 1:1-Abbildung des Autokennzeichens die Prüfplakette und das Klebesiegel des Berliner Polizeipräsidenten herausgeschnitten haben?

Homann: Das kann jeder machen.

SPIEGEL: Haben Sie es gemacht«?

Homann: Ich habe die Photographie herstellen lassen.

SPIEGEL: Aber aus der Photographie sind dann Teile herausgeschnitten worden.

Homann: Sicher, das ist benutzt worden. Aber es hätte nicht unmittelbar für dieses Unternehmen benutzt zu werden brauchen.

SPIEGEL: Haben Sie an Besprechungen von Mitgliedern der Gruppe teilgenommen, bei denen es um die Vorbereitung der Baader-Befreiung ging?

Homann: in solchen politischen Gruppen wird viel besprochen. Man kann daraus nicht schließen, daß auch zur Praxis wird, was man ständig diskutiert.

SPIEGEL: Am 12. Mai 1970 erwirkte Rechtsanwalt Horst Mahler in der Strafanstalt Tegel die Genehmigung, daß Baader zwei Tage später in den Lesesaal des Instituts ausgeführt werden durfte. Für diesen Tag wurde die Aktion angesetzt. Waren Sie in der Besprechung am 13. Mai dabei?

Homann: Ich war an den praktischen Vorbereitungen nicht beteiligt.

SPIEGEL: Auch nicht an der theoretischen?

Homann: Was heißt hier theoretisch. Ein Fluchtunternehmen zu organisieren ist eine praktische Sache.

SPIEGEL: Zunächst einmal wird darüber beraten. Da werden Vorschläge gemacht, welche Möglichkeiten sind praktikabel, welche Fluchtwege gibt es, wie hoch ist das Risiko? Solche Gespräche haben ja auch stattgefunden.

Homann: Kann sein.

SPIEGEL: War Ihnen bekannt, daß bei der Befreiungsaktion Waffen getragen würden?

Homann: Ich habe von Waffenkäufen nichts gewußt. Weder von der Beretta noch von anderen.

SPIEGEL: Aber Sie wußten, daß die Befreier ihre Aktion nicht ohne Waffen ausführen würden?

Homann: Wenn man weiß, daß die Beamten, die Baader begleiten, bewaffnet sind, wäre der Versuch einer Befreiung ohne Waffen Selbstmord.

SPIEGEL: Gab es Pläne darüber, in welchem Fall die Waffen eingesetzt werden sollten?

Homann: Sie haben bei solchen Aktionen eigentlich nur die einzige Funktion, einzuschüchtern.

SPIEGEL: Aber gerade weil man wußte, daß die Bewacher von Baader bewaffnet sein würden, mußte doch Widerstand einkalkuliert und damit gerechnet werden, daß man selber schießt.

Homann: Das ist wie im Western: Wer schneller zieht, muß nicht gleich auf jemanden schießen -- er kann den anderen dadurch hindern, die Waffe zu ziehen.

SPIEGEL: Was taten Sie unmittelbar nach der Baader- Befreiung?

Homann: Für mich war klar, daß mich die Polizei in den engeren Kreis der Verdächtigen einbeziehen würde.

SPIEGEL: Warum?

Homann: Ich war am 1. Mai zusammen mit Ulrike Meinhof festgenommen worden. Wir hatten im Märkischen Viertel eine Fabrik besetzt, um sie zu einem Freizeitheim für Jugendliche zu machen. Wer bei der einen Aktion dabeigewesen ist, muß auch bei der anderen dabeigewesen sein -- so denkt die Politische Polizei nun mal. Ich ging davon aus, daß Polizei und Justiz den wahren Sachverhalt nicht schnell würden klären können. Hätte man mich damals geschnappt, säße ich womöglich heute noch in U-Haft. Dazu hatte ich keine Lust, also habe ich mich in West-Berlin versteckt.

SPIEGEL: Allein oder mit anderen?

Homann: In einer solchen Situation kann man sich nur mit denen zusammentun, die auch betroffen sind.

SPIEGEL: Gab es einen bestimmten Unterschlupf, oder haben Sie häufig das Quartier gewechselt?

Homann: Mal hier, mal da.

SPIEGEL: Was ging danach in der Gruppe vor sich«? Wurde viel diskutiert? Wurde Kritik geübt, oder fand man das einfach prima, daß Baader befreit worden war?

Homann: Die Aktion wurde von vielen kritisiert.

SPIEGEL: Warum, weil überhaupt geschossen wurde, oder weil es ausgerechnet den unbeteiligten Institutsangestellten Linke traf?

Homann: Es hätte ja gar nicht geschossen werden müssen.

SPIEGEL: Würden Sie sagen, das war eine Panne«?

Homann: Panne ist zuwenig. Das hat eigentlich der ganzen Aktion den Drive genommen. Phantasie und Witz wären bessere Waffen gewesen.

SPIEGEL: Gab es jemanden in der Gruppe. der die Aktion ohne Einschränkung billigte?

Homann: Einige konnten gar nicht anders.

SPIEGEL: Kurz nach der Aktion. am 4. Juni, ließ Ulrike Meinhof die Französin Michèle Ray in ihr West-Berliner Versteck kommen. Sie sprach eine Erklärung auf Tonband, die der SPIEGEL dann auszugsweise abdruckte. Es heißt darin: »Was wir machen und gleichzeitig zeigen wollen, das ist, daß bewaffnete Auseinandersetzungen durchführbar sind, daß es möglich ist, Aktionen zu machen, wo wir siegen und nicht, wo die andere Seite siegt ... Natürlich kann geschossen werden.«

Homann: Mit der Aktion war ich weder einverstanden, noch halte ich das für einen Sieg im Klassenkampf.

SPIEGEL: Waren Sie hei der Begegnung Meinhof-Ray, an der auch Gudrun Ensslin teilnahm. dabei?

Homann: Ich war nicht dabei.

SPIEGEL: Damals sagte Ulrike Meinhof auch: »Natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein. das ist kein Mensch ... Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden.« War auch das ...

Homann: ... nie meine Meinung. Es geht nicht darum -- auch das steht bei Ulrike Meinhof -, die sogenannte Bullenherrschaft zu brechen, sondern es geht darum, die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit zu stürzen.

SPIEGEL: Haben Sie sich damals schon so geäußert?

Homann: Ja, aber es gab keine wirklich politische Diskussion in der Gruppe. Es gab keinerlei politisches Programm, auf das man sich zuvor geeinigt hatte. Und es ging ja zuerst einmal um praktische Fragen.

SPIEGEL: Um welche?

HOMANN: Wie man sich dem Zugriff der Polizei entzieht: Wir wollten aus der Stadt raus, wir wollten in den Nahen Osten.

SPIEGEL: Das ist Ihnen gelungen. Wer hat Ihnen geholfen? Wie haben Sie sich Pässe und Flugkarten beschafft?

Homann: Das ist alles kein Problem. Man kann doch nach Ost-Berlin rübergehen und sich dort in ein Flugzeug setzen.

SPIEGEL: Haben Sie Rückflug-Tickets genommen?

Homann: Nein. Oh es in solchen Fällen eine Rückfahrt gibt. weiß man doch nicht.

SPIEGEL: Nach Feststellungen der Polizei flog zumindest Horst Mahler am 8. Juni mit der DDR-Interflug von Ost-Berlin nach Beirut. Waren Sie dabei?

Homann: Nein, ich bin separat geflogen.

SPIEGEL: Können Sie uns sagen, wie viele Personen aus Ihrem Kreis insgesamt in den Nahen Osten gereist sind?

Homann: Nein.

SPIEGEL: Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?

Homann: Wie Sie wollen.

»Hier wurde nicht die Menschheit aus dem Jammertal gerettet.«

SPIEGEL: Können Sie sagen, wo Sie mit den anderen wieder zusammengetroffen sind. Im Libanon?

Homann: Nein, in Jordanien. in einem Stützpunkt der El-Fatah -- es war Bürgerkrieg.

SPIEGEL: Sind Sie dahin geraten, oder war die El-Fatah Ihr Reiseziel?

Homann: Wir wurden von der Polizei verfolgt, das ist eine Sache. Zum anderen war da die Möglichkeit, sich an einer politisch-revolutionären Linie zu orientieren.

SPIEGEL: Wollten Sie sich im Guerilla-Kampf ausbilden lassen?

Homann: Man geht nicht in ein revolutionäres Gebiet, um Karl Marx zu lesen; das kann man auch in seiner Stube in Berlin machen.

SPIEGEL: Wollten Sie lernen, wie man sich tarnt, wie man sich versteckt?

Homann: In der jordanischen Karstlandschaft kann man nicht lernen, wie man sich in einer Großstadt versteckt.

SPIEGEL: Wollten Sie schießen lernen?

Homann: Ich bin mit runtergefahren -- aber eigentlich schon nicht mehr, um mit dieser Gruppe zusammen schießen zu lernen.

SPIEGEL: Sondern?

Homann: Ich wollte versuchen, etwas zustande zu bringen, was in Berlin nicht möglich gewesen war: eine wirkliche politische Diskussion. Aber es ging auch dort unten nicht. Die gemeinsam gemachten Fehler ließen sich nicht mehr gemeinsam korrigieren.

SPIEGEL: Es gab Auseinandersetzungen?

Homann: Ja. Ich erkannte jedenfalls: Was da mehr oder weniger durch Zufall und unter dem Druck der Fahndung zusammengekommen war, war keine politische Gruppe oder Organisation. Es gab kein politisches Programm, auf das man sich vorher geeinigt hätte, es ließ sich auch keins entwickeln. Gerade in einem Gebiet, wo die politische Auseinandersetzung die Phase des bewaffneten Kampfes erreicht hatte, konnte man ja begreifen, wie eine revolutionäre Organisation aussehen muß oder aussehen kann.

SPIEGEL: Wenn es keine politische oder auch keine revolutionäre Gruppe war, was war es dann?

Homann: Eine politische und revolutionäre Organisation verfügt über ein Programm. das ein Ausdruck der realen Klassenverhältnisse ist. Das hat es in dieser Gruppe nie gegeben. Rosa Luxemburg hat einmal gesagt: »Für den Anarchisten existieren als stoffliche Voraussetzungen seiner revolutionären Spekulationen lediglich zwei Dinge: Zunächst die blaue Luft, und dann der gute Wille und der Mut, die Menschheit aus dem heutigen kapitalistischen Jammertal zu befreien.« Hier wurde allerdings nicht die Menschheit aus dem Jammertal gerettet, sondern nur Baader aus dem Gefängnis.

SPIEGEL: Und nachdem das geschehen war ...

Homann: ... bekam das Ganze für die Betroffenen eine Zwangsläufigkeit. Man konnte sich nicht frei machen, und es war unausweichlich, daß man in die nächste Aktion einsteigen mußte -- wie beim jugendlichen Bandenwesen, kein Schlag anders. Die politische Tätigkeit hat ihre Logik, die unabhängig ist vom Bewußtsein derer, die zu Aktionen auffordern.

SPIEGEL: Späte Erkenntnis?

Homann: Gar nicht. Das haben schon palästinensische Genossen erkannt. Sie sagten: So wie das innerhalb dieser Gruppe funktioniert, ist das keine revolutionäre Gruppe, sondern die Organisation einer Gang. Das haben sie gesagt.

SPIEGEL: Und wie hat sich das den El-Fatah-Leuten erschlossen?

Homann: Es war hinreißend, wie schnell und wie genau die das einschätzen konnten. Die haben mit der Gruppe damals drei Gespräche geführt, und ich war erstaunt, mit welcher Treffsicherheit sie charakterisieren konnten. Über Ulrike Meinhof zum Beispiel, sie kannten nicht einmal ihren Namen, sagten sie: Ihr Problem sei ein ungeheures Schutzbedürfnis, sie könne es im Augenblick nur in dieser Gruppe realisieren -- eine realistische Einschätzung von Ulrike.

SPIEGEL: Wie wurde denn Baader eingeschätzt?

Homann: »He is a coward«, er ist ein Feigling, der diesen ganzen Aufstand macht, um seine Feigheit zu verdecken -- das war ihre Meinung. Sie sagten: Wir würden den nicht mal mit auf eine Patrouille nehmen.

»Man muß sich von den revolutionären Phrasen trennen.«

SPIEGEL: Sind Sie damals mit Baader oder Ulrike Meinhof aneinander geraten?

Homann: Es hat Auseinandersetzungen mit den anderen gegeben. Nach einer Woche oder zwei Wochen gab es keinen Wortwechsel mehr, wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Ich lebte schon im Stützpunkt getrennt und bin dann ganz weggegangen.

SPIEGEL: Wer wollte denn den Bruch, Sie oder die anderen?

Homann: Für mich verlief die Entwicklung konsequent. Die Kontroverse gab es schon lange vor der Baader-Befreiung. Wenn ich nicht auf die Fahndungsliste gekommen wäre, dann hätten sich die Dinge für mich ganz anders entwickelt, dann hätte es keinerlei Kontakte gegeben. So aber wurde ich durch die Fahndung in die gleiche Situation geschleudert wie die anderen.

SPIEGEL: War wirklich nur die Fahndung, der Druck der Verfolgung das bindende Element«? Sie hatten doch auch enge persönliche Beziehungen zu Ulrike Meinhof ...

Homann: ... die waren damals schon abgebrochen ...

SPIEGEL: ... und Sie gehörten zu den Linksradikalen in West-Berlin?

Homann: Man war verfilzt. Ich habe damals einfach noch nicht erkannt. daß alles, was da passierte, sich schon außerhalb der sozialistischen Bewegung vollzog. Wenn man sich in einer solchen Situation befindet, kann man nicht unmittelbar analysieren, das kann man erst später. Man muß sich von den revolutionären Phrasen und den Personen, die sie vertreten, trennen.

SPIEGEL: Wie haben Sie sich von Ihren Genossen getrennt, gab es Krach in Jordanien?

Homann: Es gab keinen Abschied.

SPIEGEL: Wußte die Gruppe denn, daß Sie sich absetzen wollten?

Homann: Sicher, ich hab« es ihnen gesagt.

SPIEGEL: Was war die Reaktion«?

Homann: Eine solche Trennung bedeutet natürlich für so eine Gruppe eine Bedrohung, sie empfindet es jedenfalls als Bedrohung ...

SPIEGEL: ... vor allem ihrer Sicherheit.

Homann: Ja. Es besteht auch für die Gruppe die Gefahr, daß es nicht bei einer einzigen Trennung bleibt. Deshalb muß eine solche Gruppe das aufs allerheftigste bekämpfen.

SPIEGEL: Fühlten Sie sich bedroht?

Homann: Die Gruppe fühlte sich sicher genauso bedroht wie ich. Und unter Umständen, wie sie damals gegeben waren, kann das einen bestimmten Grad von Heftigkeit annehmen -- das sollte man aber nicht überschätzen.

SPIEGEL: Haben Sie damals es für möglich gehalten, daß man sie liquidiert?

Homann: Nee, nee.

SPIEGEL: Sie sind dann, nach der Trennung, wieder nach Deutschland zurückgekehrt?

Homann: Direkt nach Hamburg.

SPIEGEL: Mit falschem Paß?

Homann: Ich bin natürlich nicht auf meinen eigenen Paß geflogen, ich wurde durch Interpol gesucht.

SPIEGEL: Seit dieser Zeit leben Sie ununterbrochen in Hamburg im Unterschlupf?

Homann: Das ist das richtige Wort. Ich war in keiner illegalen Situation, sondern habe nur Versteck gespielt.

SPIEGEL: Mußten Sie oft die Wohnung wechseln, fühlten Sie sich gehetzt«?

Homann: Gehetzt wohl nicht. Aber alle paar Wochen gab es neuen Anlaß zu besonderer Vorsicht -- immer dann, wenn die Polizei aufgrund von irgendwelchen Aktionen, hinter denen die Gruppe vermutet wurde, die Fahndung intensivierte und ich mein Photo in den Zeitungen fand.

SPIEGEL: Blieben Sie tagsüber im Versteck?

Homann: Ich bin aufgestanden, wann es mir paßte. Ich bin auf die Straße gegangen, wann es mir paßte. Ich bin essen gegangen, wo ich wollte -- wenn das Geld dazu reichte. Ich bin in Kneipen gewesen, bin in Kinos gewesen, bin in Museen gewesen ...

SPIEGEL: Mit falschen Bärten und Perücke?

Homann: Ohne falsche Bärte und mit dem Haar, wie ich jetzt vor Ihnen sitze.

SPIEGEL: Bewaffnet oder unbewaffnet?

Homann: Bewaffnet mit der Sicherheit, daß es nicht so leicht ist, mich auszumachen,

SPIEGEL: Hatten Sie Kontakt mit Angehörigen der Gruppe?

Homann: Nein. Ich hätte ihn von mir aus auch vermieden. Wenn sie an meinen Platz gekommen wären, wo auch ich mich aufhielt, dann hätte ich ihnen gerade noch freien Abzug gewährt.

SPIEGEL: Sind Sie bedroht worden, als bekannt wurde, daß Sie sich stellen und möglicherweise auch auspacken würden«?

Homann: Nein -- auch wenn es so in der Zeitung stand.

SPIEGEL: Halten Sie den Gedanken für abwegig, die Gruppe könnte Abtrünnige liquidieren?

Homann: Ich weiß doch nicht, was die sich in ihrer derzeitigen psychischen Verfassung ausdenken könnten. In allen Sekten kann so etwas entstehen. Warum soll es nicht auch hier möglich sein, zumal sie glauben könnten, wer von der Gruppe Abschied nimmt, begebe sich mit dem nächsten Schritt gleich in das Lager des CIA. Soll man auf so einen Schwachsinn überhaupt reagieren?

SPIEGEL: Sofern dazu noch Zeit bleibt.

Homann: ... wenn man in die Kalkgrube fällt, dann kann man natürlich nicht mehr reagieren.

»Neben fünf nackten Polizisten in der Sauna.«

SPIEGEL: Wovon haben Sie die anderthalb Jahre im Unterschlupf gelebt? Von Freunden?

Homann: Eigentlich nicht -- was soll ich denn jetzt sagen? Soll ich sagen, wie ich ein paar Mücken gemacht habe?

SPIEGEL: Warum nicht? Sie brauchen ja nicht die Firma zu nennen, für die Sie sich frustriert haben.

Homann: Ich habe über andere und unter Pseudonym geschrieben. Miete brauchte ich nicht zu zahlen.

SPIEGEL: Gab es Begegnungen mit Polizisten?

Homann: Ja, ich habe auch ziemlich geschwitzt. In einer öffentlichen Sauna an der Grindelallee saß ich neben fünf nackten Polizisten, die über ihre Einsätze bei der Baader-Meinhof-Fahndung quatschten. Sie konnten mich allerdings nicht erkennen, denn ich war ja nicht verkleidet.

SPIEGEL: Wann war das?

Homann: Ich glaube im April.

SPIEGEL: Da konnten Sie noch nicht wissen, daß man Sie nicht mehr als den Schützen von Berlin in Verdacht hatte. Seit wann ist Ihnen das bekannt?

Homann: Seit dem Mahler-Prozeß im Mai.

SPIEGEL: Warum haben Sie sich nicht schon damals gestellt?

Homann: Ich wollte auch noch die Revisionsverhandlung gegen Mahler, Irene Goergens und Ingrid Schubert abwarten und vor allem das Verfahren gegen denjenigen, von dem man meint, daß er geschossen habe. Ich wollte sichergehen, was dabei für mich herauskommt.

SPIEGEL: Diese Prozesse stehen aber alle noch aus. Warum stellen Sie sich jetzt dennoch?

Homann: Nach dem Tod des Hamburger Polizisten Norbert Schmid war wieder mein Photo in der Zeitung: »Bild am Sonntag« brachte ein Fahndungsphoto von mir mit der Zeile: »Schoß er auf den Polizisten?« Ich stelle mich nicht, um der Polizei einen Fahndungserfolg zu ermöglichen, sondern weil ich damit am eigenen Beispiel die ganze Fahndungshysterie deutlich machen kann.

SPIEGEL: Hysterie?

Homann: Es gibt genug Beispiele dafür, wie diese öffentliche Hysterie mobilisiert worden ist. Kaum wird eine Bank überfallen, werden Kinder entführt und Geiseln genommen, entführt sich Berthold Ruhm selbst, wird das einer Baader-Meinhof-Bande zugeschrieben.

SPIEGEL: Daß öffentliche Hysterie mitunter aufkommt, ist das so verwunderlich angesichts der Straftaten, die Mitgliedern der Baader-Meinhof-Gruppe, offenkundig zu Recht, angelastet werden?

»Wirklich jeder Schritt ist ein illegaler Akt.«

Homann: Was heißt Straftaten?

SPIEGEL: Daß da Autos geklaut, Kraftfahrzeugzeichen verändert, Passe gefälscht, Banken überfallen werden.

Homann: Woher wissen Sie das denn so genau?

SPIEGEL: Dafür gibt es mittlerweile nicht nur Indizien, sondern Zeugen. Und daß geschossen wird, wollen Sie ja wohl nicht bezweifeln.

Homann: Das nicht. Aber sehen Sie, mindestens seit dem Tod von Petra Schelm sind die Verfolgten doch in einer Situation, in der sie entweder nur so wahnsinnig sein können, auf einen Polizisten zu schießen, oder so verrückt sein müssen, sich abknallen zu lassen.

SPIEGEL: Wieso abknallen? Die werden doch nicht erschossen, wenn Sie zum Polizeirevier gehen und sich stellen wie Sie.

Homann: Bedenken Sie die Bedingungen der Fahndung, der Illegalität. Wenn eine Gruppe oder einzelne unter solchen Bedingungen handeln, dann ist jeder Schritt, wirklich jeder Schritt, den sie tun, mit jedem Auto, mit dem sie fahren, jeder Gang zum Scheißhaus ein illegaler Akt. Gewollter Rechtsbruch«? So etwas entsteht einfach aus der Situation.

SPIEGEL: Diese Situation wiederum kommt ja nicht von ungefähr. Die Gruppe ist nicht in die Illegalität gedrängt worden, sie hat sich selber in die Illegalität begeben -- und den fatalen Mechanismus, nach dem dies abläuft, haben Sie selber in diesem Gespräch beschrieben.

Homann: Stimmt. Aber das Entscheidende ist, daß die Gruppe gern in dieser Illegalität gehalten wird: Mit ihr wird Politik gemacht. Nicht nur, daß eine Unmenge von kriminellen Aktionen ihr blind zugeschrieben werden -- rechte Politiker und Springer-Presse versuchen, mit dem Popanz Baader-Meinhof auch gleich noch eine Reihe unliebsamer politischer Gegner zu erledigen. Linksradikale Gruppen, DKP und Jusos werden in einen Topf geworfen, und wenn es ihnen paßt, versuchen sie sogar, einen gerade mal unliebsamen liberalen Juristen abzuschießen. Diese Hysterie kann nicht ohne Wirkung auf die Gruppe bleiben. Es ist ...

SPIEGEL: ... eine Ausnahmesituation?

Homann: Genau. Der Druck ist auch für den einzelnen so groß geworden, daß ein Raum für freie Entscheidungen nicht mehr bleibt. In dem Augenblick, da er sich einem Polizisten gegenübersieht, fühlt er sich unmittelbar bedroht.

SPIEGEL: Das gilt natürlich auch für den Polizisten.

Homann: Auch die Polizisten sind mittlerweile der Propaganda erlegen.

SPIEGEL: Ist es nicht viel einfacher: daß nämlich Polizisten, wenn sie sich jemandem mit gezückter Pistole gegenübersehen, genau so Angst haben wie die Gruppenmitglieder vor den Polizisten? Hätte Petra Schelm, die von einem Polizisten erschossen wurde, nicht ihrerseits den Polizisten erschießen können, wenn sie nur genauer gezielt hätte?

Homann: Die Machtverhältnisse sehen doch so aus: Jemandem wie Petra Schelm stehen -zig Polizisten mit Maschinenpistolen gegenüber. Egal was sie tut, ob sie die Pistole zieht oder ob sie sie nicht zieht -- sie ist in dieser Situation ausgeliefert. Jede Bewegung kann dazu führen, daß sie erschossen wird. Das hat sie gewußt, das hat sie ganz sicher gewußt.

SPIEGEL: Wenn Sie schon von Machtverhältnissen sprechen: Die sind eben nicht so ...

Homann: ... ich weiß, was Sie sagen wollen. Natürlich sind die Machtverhältnisse nicht einfach mit Pistolen zu verändern. Das ist ein entscheidender Punkt der Differenz von Anfang an zu denen, die man jetzt zur Gruppe zählt: die falsche Einschätzung der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik.

SPIEGEL: Nun haben aber auch Sie einmal, vor zwei Jahren in »Konkret«, geschrieben, daß »der Partisanenkampf in der Stadt als die höhere Stufe der Politisierung der Apo« zu bewerten sei. Wie das?

Homann: Diesen Satz habe ich nicht geschrieben. Das hat mir jemand reinredigiert, ich hätte niemals diesen Ausdruck von der höheren Politisierung gebraucht.

SPIEGEL: Aber Sie haben doch, ganz allgemein gesprochen, solchen Verbal-Radikalismus mitgemacht?

Homann: Das ist richtig. Wie viele andere kam auch ich vor zwei Jahren zu Schlußfolgerungen, die mit der politischen Realität nicht übereinstimmten.

SPIEGEL: Manches davon findet sich in einer -- inzwischen beschlagnahmten -- Broschüre »Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa«. Als Autor ist ausgewiesen: »Kollektiv Rote Armee Fraktion« (RAF). so nennt sich die Gruppe Baader-Meinhof. Es ist eine Huldigung an die »bewaffnete Phase des Klassenkampfes«. Zitat: »Durch geeignete Aktionen muß die Guerilla klarstellen, daß sich ihre Angriffe grundsätzlich gegen alle Institutionen des Klassenfeindes, alle Verwaltungsdienststellen und Polizeiposten, gegen die Direktionszentren der Konzerne, aber auch gegen alle Funktionsträger dieser Institutionen, gegen leitende Beamte, Richter, Direktoren usw. richten, daß der Krieg in die Wohnviertel der Herrschenden getragen wird.« Das ist nicht gemünzt auf irgendeinen südamerikanischen Staat. sondern auf die Bundesrepublik.

Homann: Diese Formulierungen müssen auf einem völligen Unverständnis beruhen, die wirkliche Situation einzuschätzen. Isolierten Terror zu propagieren heißt. isoliert von den Klassenkämpfen zu agieren und vielleicht auch offenbar jedes Vertrauen in eine revolutionäre Entwicklung verloren. Das Ist Verzweiflung.

SPIEGEL: Oder Anarchismus?

Homann: Das eine schließt das andere nicht aus. Ich habe auch die andere Schrift gelesen, von der es heißt, sie stamme von der RAF ......

SPIEGEL: ... Sie meinen jene Flugschrift, aus der wir im April einen Auszug gedruckt haben. Zitat: »Wir behaupten ... daß es richtig, möglich und gerechtfertigt ist, hier und jetzt Stadtguerilla zu machen.«

Homann: Ja. In dieser Schrift finden sich Äußerungen, die in der klassischen Tradition des Anarchismus stehen. Noch mal Luxemburg: »Das Fatale für den Anarchismus war dabei stets, daß die in der blauen Luft improvisierten Kampfmethoden nicht bloß eine Rechnung ohne den Wirt, d. h. reine Utopien waren, sondern daß sie, weil sie eben mit der verachteten, schlechten Wirklichkeit gar nicht rechneten, in dieser schlechten Wirklichkeit meistens aus revolutionären Spekulationen unversehens zu praktischen Helfershelfern für die Reaktion wurden.« Dazu kommt: Diese Leute glauben, sich auf ihre eigene Erfahrung verlassen zu können, und das führt dann dazu, daß man die eigene psychische Realität zur Realität der Welt erklärt.

SPIEGEL: Sie kennen die Kernfiguren der Gruppe sehr gut -- wie schätzen Sie die psychische Disposition ein?

Homann: Ich kann jetzt nicht einfach anfangen, mir und Ihnen die psychische Disposition der einzelnen Mitglieder verständlich zu machen.

SPIEGEL: Wenn es aber so ist, daß die Gruppe unter einem getrübten Verhältnis zur Realität leidet, dann wäre das wohl wichtig.

Homann: Dann muß ich ein bißchen ausholen. Man muß bedenken, daß so eine Gruppierung eigentlich nur in West-Berlin entstehen konnte, vor zwei Jahren: Zerfall der Studentenbewegung in verschiedene Sekten, Opportunismus auf der einen Seite, auf der anderen Seite putschistische Aktion. Nur aus dieser für die Linke chaotischen Situation heraus läßt sich die Baader-Aktion erklären. Ihre scheinbare politische Bedeutung bekam sie nur durch die Beteiligung des Rechtsanwalts Horst Mahler und der Journalistin Ulrike Meinhof.

SPIEGEL: Wenn Mahler frei wäre, hieße heute die Gruppe vielleicht Mahler-Meinhof-Gruppe und nicht Baader-Meinhof-Gruppe?

Homann: Eben. Wer ist überhaupt Andreas Baader? Ist das eigentlich eine politische Figur? Es gibt keinerlei politische Äußerungen von ihm. Man weiß nur, daß er 1968 in Frankfurt in einem Kaufhaus irgendwelche Kunststoffmatratzen angekokelt hat. Das ist alles.

»Geschickt mit Schuldgefühlen operiert.«

SPIEGEL: Sie kennen ihn aber doch -- was Ist das für ein Mann, wie schätzen Sie ihn ein?

Homann: Für mich ist er eine Figur aus einem schlechten Roman des 19. Jahrhunderts. In einem anderen Zusammenhang hätte er vielleicht eine witzige Figur sein können aber so.

SPIEGEL: Er übt einen starken Einfluß auf die Personen in seiner Umgebung aus. Wie erklären Sie sich das?

Homann: Sein Einfluß resultiert doch nicht aus einem Übermaß an politischem Wissen. Er ist theoretisch völlig unfähig und hatte offensichtlich in den eineinhalb Jahren Knast. nach dem Kaufhausbrand, keine Zeile begriffen. Seinen Einfluß übt er dadurch aus, daß er mit Pathos die Überschreitung bürgerlicher Gesetze propagiert und damit die schwankenden Leute in diesem Kreis zu dirigieren vermag.

SPIEGEL: Verfing das bei Ulrike Meinhof und Horst Mahler?

Homann: Dazu ist tu sagen: Beide sind keine politischen Figuren der Studentenbewegung. Aber sie wurden zu politischen Figuren dieser Bewegung aufgebaut, was sie in Wirklichkeit gar nicht waren -- sowohl in ihrer theoretischen als auch in ihrer praktischen Arbeit nicht.

SPIEGEL: Worauf wollen Sie hinaus?

Homann: Man könnte eher sagen, daß Mahler diese Bewegung juristisch kommentiert und Ulrike Meinhof diese Bewegung journalistisch begleitet hat. Die Diskrepanz, nur beschreiben zu können, ohne wirklich etwas zu tun, wurde für beide ungeheuer groß. Und dabei stießen sie immer wieder an eine Grenze. die sie zunächst nicht zu übertreten wagten: Sie hatten die bürgerliche Gesetzgebung verinnerlicht, waren noch nicht fähig, sich darüber hinwegzusetzen.

SPIEGEL: Und da kam Andreas Baader, den Mahler verteidigt hatte und den Ulrike Meinhof häufig in der Zelle besuchte«?

Homann: Er vermittelte das Gefühl, das überschreiten von bürgerlichen Gesetzen sei allein schon ein revolutionärer Akt. Er konnte dabei mehr oder weniger geschickt mit Schuldgefühlen und Unfähigkeiten der Leute seiner Umgebung operieren; sie sind prompt darauf reingefallen.

SPIEGEL: Ein Mann, der sich durchsetzen kann -- ein Unternehmertyp?

Homann: Er könnte unter Umständen einen kleinen Betrieb leiten: einen Betrieb, der so klein ist, daß sich nicht genügend Arbeiter organisieren können, um dem Chef aufs Dach zu steigen.

SPIEGEL: Wenn Sie jetzt an Baaders Stelle wären, was würden Sie tun«?

Homann: Ich kann mich in solche Leute nicht mehr hineinversetzen. Aber wenn Sie mich fragen, was die Mitglieder oder die Leute, nach denen in diesem Zusammenhang gefahndet wird, tun sollten, dann würde ich sagen: Sie sollen endlich eine politische Erklärung abgeben zu diesem ganzen Wahnsinn, den sie produzieren -- und der mit ihnen gemacht wird.

SPIEGEL: Es gibt doch eine ganze Reihe von Erklärungen, Herr Homann: das Michèle-Ray-Protokoll, die RAF-Flugschrift, das Rotbuch bei Wagenbach ...

Homann: Dazu wäre wirklich noch was zu sagen: Die Zitatologie, die da betrieben wird, muß bei den politisch ungebildeten Genossen große Verwirrung hervorrufen. Da zumindest einige, die an diesen Schreibereien beteiligt gewesen sind, es besser wissen, ist das unverantwortlich. Fast jedes Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen worden, und auf diese Weise wurden Autoren wie Lenin Positionen verordnet, die sie gar nicht einnehmen.

SPIEGEL: Haben Sie ein Beispiel parat?

Homann: Sie zitieren Mao zum Thema bewaffneter Kampf -- aber natürlich nicht das, was bei Mao im Original einen Absatz später kommt: daß bewaffnete Aktionen, wenn sie der Mobilisierung der Volksmassen vorhergehen, nichts anderes sind als putschistische Abenteuer. Das lassen sie weg, das ist Betrug.

SPIEGEL: An wem?

Homann: Betrug an denjenigen, die Mao und Lenin durch solche Zitate kennenlernen. Die können sich über den politischen Inhalt überhaupt nicht klar werden und halten so was für revolutionäre Theorie.

SPIEGEL: Wer hat denn nach Ihrer Meinung die verschiedenen Papiere verfaßt?

Homann: Ich weiß es nicht. Stilistisch kommt mir manches bekannt vor. Das eine Papier erinnert mich an Ulrike Meinhof, das andere vielleicht an Mahler. Ich kenne auch niemand anderen in dieser Truppe. der überhaupt irgendwas zu Papier bringen kann.

SPIEGEL: Auch nicht Gudrun EnssIin?

Homann: Nein. Man muß dabei auch bedenken, wie schwierig es ist, sich unter den Bedingungen der Illegalität überhaupt mit Theorie auseinanderzusetzen: Man liest einfach irgendwelche Bücher -- nicht von Marx offenbar; bei Marx ist das ja nicht so leicht möglich. ein Zitat einfach aus den Zusammenhang zu reißen. Deshalb benutzen sie natürlich hauptsächlich Mao und Lenin, wo das einfacher erscheint.

SPIEGEL: Glauben Sie, daß das der entscheidende Punkt ist? Man kann ja auch korrekt zitieren -- nur eben die falschen Leute. und dann könnte trotzdem der Eindruck entstehen, so sei alles richtig.

Homann: Wissen Sie, wenn Marx mal über so jemanden wie den Arnold Ruge gelästert hat, dann hat er gesagt: Das ist der Typ, der Hegel ins Pommersche übersetzt hat. Und so kann man auch sagen. daß ein Rechtsanwalt Mahler oder eine Journalistin Ulrike Meinhof Marx und Lenin ins Platt übersetzt haben.

SPIEGEL: Manche Ihrer Genossen, Herr Homann, werden sagen, Sie ließen sozialistische Solidarität vermissen.

Homann: Ich bin nicht der Meinung vieler Linker, die glauben, man dürfe sich mit diesen Leuten nicht auseinandersetzen, solange sie vom westdeutschen Staatsapparat verfolgt werden. Man muß es trotzdem tun -- schon wegen derjenigen, die auf diese Weise in die Gefängnisse kommen und verheizt werden.

SPIEGEL: Herr Homann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Ausgabe
Artikel 30 / 100