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Geschichte Militärseelsorge

Im Krieg werden die Gottesdienste voll

Am 22. Februar 1957 schlossen die evangelische Kirche und die Bundesrepublik den Vertrag über Militärseelsorge. Ein Rückblick auf das Dilemma, in dem christliche Soldaten seit jeher stehen.
Im Ersten Weltkrieg waren die Feldgottesdienste auf beiden Seiten der Front voll. Hier beten französische Soldaten in einem Wald Im Ersten Weltkrieg waren die Feldgottesdienste auf beiden Seiten der Front voll. Hier beten französische Soldaten in einem Wald
Im Ersten Weltkrieg waren die Feldgottesdienste auf beiden Seiten der Front voll. Hier vor französischen Soldaten in einem Wald
Quelle: picture-alliance / akg-images

Nicht Kampf und Krieg, sondern Frieden und Versöhnung sind die Botschaft des Neuen Testaments. Doch das hat die christlichen Völker Europas fast zwei Jahrtausende lang nicht gehindert, einander die Schädel einzuschlagen – meist sogar mit dem Segen der Kirche. Geistliche begleiteten seit der Spätantike viele Heere auf ihren Feldzügen, vor anstehenden Schlachten wurden Waffen gesegnet und nach dem Ende der Kämpfe zumindest die Leichen der Gefallenen des Siegers christlich bestattet.

Wenn Anhänger verschiedener christlicher Konfessionen gegeneinander antraten, konnten die Kämpfe den Charakter von Glaubenskriegen annehmen. Aber auch wenn etwa katholische Truppen der Habsburgermonarchie gegen ebenso katholische Franzosen kämpften, taten beide Seiten das in Gottes Namen.

Martin Luther lieferte in seiner Schrift „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“ 1526 die erste genaue Beschreibung der Kriterien für eine christliche Militärseelsorge. Der protestantische Söldnerführer Asche von Cramm hatte ihn gefragt, ob ein Soldat in den Himmel kommen könne.

Der Söldnerführer Asche von Cramm, der Luther fragte, ob Sodlaten in den Himmel kommen können. Zeichnung von Lucas Cranach d. Ä.
Der Söldnerführer Asche von Cramm, der Luther fragte, ob Sodlaten in den Himmel kommen können. Zeichnung von Lucas Cranach d. Ä.
Quelle: Wikimedia / Public Domain

Der Reformator antwortete, das könne sehr wohl sein, nämlich wenn der einzelne Soldat die Regeln des gerechten Krieges und des Kriegsrechts beherzige. Voraussetzung allerdings sei, dass der Einsatz von Waffen nur der Verteidigung von Schwachen diene. Schließlich müsse der Kampf auch tatsächlich Befriedung und ein höheres Maß an Gerechtigkeit schaffen. Damit eröffnete Luther allerdings ein Dilemma, stand doch der einzelne Soldat nunmehr im Zwiespalt, die Rechtmäßigkeit von Befehlen prüfen zu müssen.

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Mit dem Aufkommen stehender Heere im 18. Jahrhundert entstand eine offizielle, professionelle Militärseelsorge; bis dahin hatten sich zeitweise abgeordnete Pfarrer oder lokal tätige Geistliche um die religiöse Betreuung der Truppen gekümmert. Die eigenständige „Militärkirche“ des preußischen Heeres, die in der Zeit Friedrichs des Großen entstand, blieb jedoch eine Episode.

Fortan gehörte die Betreuung der Soldaten zu den wesentlichen Aufgaben der jeweiligen protestantischen Landeskirchen, die den Fürsten oder Königen unterstanden. In katholischen Gebieten gab es zwar formal keine Landeskirchen, faktisch aber waren die Bischöfe fast immer Teil der Hierarchie; in der Praxis gab es kaum Unterschiede. Eine jüdische Militärseelsorge mit Feldrabbinern wurde zuerst 1875 in Österreich-Ungarn eingeführt, in Deutschland zu Beginn des Ersten Weltkrieges.

Ein belgischer Feldgeistlicher 1914
Ein belgischer Feldgeistlicher 1914
Quelle: picture alliance / akg-images

In Frankreich führte der Laizismus 1905 durch ein Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat und der Enteignung kirchlichen Eigentums; die meisten jungen Franzosen, die ab 1914 ihre Heimat verteidigten, waren nicht mehr besonders gläubig. Trotzdem waren die Feldmessen voll – verständlich angesichts des Horrors des Stellungskrieges.

„Sonntag, 6. September. Heftige Kämpfe bei Verdun. Zwei Messen, halb sieben und elf. Die Kirche ist voll. Am Ende der Messe höre ich die Beichte“, notierte der kriegsfreiwillige Feldpriester Jean-Emile Anizan 1916: „Ein Offizier bittet mich, zu seiner Stellung zu kommen. Seine Soldaten hätten das Bedürfnis, mit mir zu sprechen.“

Auf der anderen Seite der Front in Nordostfrankreich und Belgien strömten die überwiegend katholischen Soldaten der deutschen 6. Armee zur gleichen Zeit ebenfalls in überfüllte Messen – der Ritus wurde sogar in derselben Sprache begangen: auf Latein. Ähnlich schizophren war die Situation für die Feldrabbiner, die Gottesdienste auf beiden Seiten teilweise auf Hebräisch feierten.

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Dieses Problem hatten die protestantischen deutschen Soldaten ebenso wenig wie die meist anglikanischen britischen Truppen. Denn ihre Nationalkirchen unterstanden klar der jeweiligen weltlichen Macht.

Ein Kriegspfarrer zelebriert 1941 einen Feldgottesdienst vor einer zerstörten Kirche in der Ukraine
Ein Kriegspfarrer zelebriert 1941 einen Feldgottesdienst vor einer zerstörten Kirche in der Ukraine
Quelle: picture alliance / akg-images

1933 schloss bereits die nationalsozialistische Regierung ein Konkordat mit dem Vatikan, das auch die Frage der katholischen Militärseelsorge regelte. Geklärt wurde die doppelte Unterstellung von Feldpriestern unter militärische Vorgesetzte und Bischöfe. Im Zweiten Weltkrieg gab es bei Heer und Marine deshalb Geistliche, nicht jedoch bei der formal erst 1935 gegründeten Luftwaffe, für die das Konkordat nicht ausdrücklich galt.

Auch evangelische Geistliche waren in der Luftwaffe nicht vertreten, wohl aber im Heer – teils als feste Militärgeistliche, teils als eingezogene Kriegspfarrer. Sie steckten im zusätzlichen Dilemma, vielfach Zeugen eines Eroberungs- und Vernichtungskrieges zu sein – also direkt entgegen den Vorgaben Martin Luthers zu handeln.

Um den Soldaten der neu aufgebauten Bundeswehr seelsorgerische Betreuung zu garantieren, schlossen die Bundesregierung und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 22. Februar 1957 den Militärseelsorgevertrag. Für die katholische Kirche galten die Regelungen des Reichskonkordats weiter, auf denen parallel zur evangelischen Truppenbetreuung die katholische Militärseelsorge beruht. Heute gibt es rund 200 Militärgeistliche beider christlicher Konfessionen in der Bundeswehr.

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